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wir Gewehre finden, so nageln wir euch an die Kirchentüre. Wenn wir keine finden, laß ich euch über einem Feuer aufhängen.«

      Zwei Saptiehs fesselten Ter Haigasun und den Gemeindeschreiber. Der Müdir zog eine kleine Nagelfeile aus der Tasche und begann sich mit seinen kokett verlängerten Fingern zu beschäftigen. Wie eine Geste des Bedauerns über die staatsnotwendige Grausamkeit wirkte diese Nägelreinigung und zugleich wie ein Hinweis darauf, daß er als Zivilbeamter mit der bewaffneten Exekutive nichts zu schaffen habe. Dennoch vergaß er nicht, letztere mit gelangweilter Stimme zu mahnen:

      »Vergeßt die Friedhöfe nicht! Das sind sehr beliebte Verstecke für Gewehre und Patronen.«

      Dann erst wandte er sich zu einem Spaziergang von dannen, alles Weitere dem ungleichäugigen Muafin überlassend. Auf das Kommando dieses Furchtgebietenden stoben die Saptiehs in kleinen Rudeln auseinander. Bei den Verhafteten blieb nur eine kleine Wache zurück. Ter Haigasun wurde gezwungen, sich in seinem starren Seidenornat auf dem Lehmboden des Platzes niederzulassen. Indessen stürmten die Saptiehs mit wüsten Rufen in die Häuser ringsum. Sofort erhob sich hinter den Mauern ein rauhes Gepolter, Gekreisch und Klirren. Fenster flogen auf, und aus ihnen sausten Teppiche, Decken, Kissen, Matten, Strohstühle, Heiligenbilder und hundert andre Habseligkeiten herab, um die sich der schlachtenbummelnde Auswurf quäkend zu balgen begann. Zerbrechlichere Dinge folgten, Spiegel, Petroleumlampen, Lampenschirme, Krüge, Vasen, Geschirr, das unter den Wehrufen der gierigen Kundinnen unten zerscherbte. Sie lasen aber auch die Scherben auf und sammelten sie in ihren Tscharschaffs. Langsam umwanderte der Lärm und die Verwüstung den Kirchplatz, dann erst zog er sich die lange Ortsstraße hinan. Drei schreckliche Stunden hockten die Gefesselten auf der Erde, ehe die Saptiehs von ihrem Kriegszug zurückkehrten. Die Beute war mehr als kläglich: zwei alte Sattelpistolen, fünf rostige Säbel und siebenunddreißig Dolchmesser, die eigentlich nur Gartenrebmesser und größere Taschenfeitel waren. Den Friedhof freilich hatten die Saptiehs aus Mangel an Geräten und aus Arbeitsscheu nicht entweiht. Der Polizeiherr raste. Dieses Schwein von einem verschlagenen Priester hatte ihn um einen waffenstrotzenden Rapport geprellt. Welch eine Schmach für die Polizei von Antakje! Ter Haigasun wurde emporgerissen. Das starre und das dickverschwollene Auge drangen auf ihn ein. Die Atemwelle, die ihn umkeuchte, stank nach Haß und schlecht verdautem Hammelfett. Er wandte sich mit einer Grimasse des Ekels ab. Im nächsten Augenblick aber erhielt er mit dem harten Knauf der Lederpeitsche zwei Schläge mitten ins Gesicht. Der Priester verlor für einige Sekunden die Besinnung, schwankte, erwachte, staunte, wartete auf den Blutstrom. Endlich brach es hervor, das Blut, aus Nase und Mund. Ein seltsames, ja ein seliges Gefühl entfaltete sich in ihm, während er sich weit vornüberbeugte, damit sein geringes Blut nicht Christi Priesterkleid beflecke. Wie eine ferne Engelstimme sang es in seinem Hirn: Dieses Blut ist gut.

      Und dieses Blut war gut, da es auf den jungen Müdir aus Salonik, der von seiner Siesta eben heimgekehrt war, einen gewissen Eindruck nicht verfehlte. Er war ein eifriger Befürworter der Ausrottung, ohne das Bedürfnis zu haben, ihr Augenzeuge zu sein. Ittihad besaß in dem Müdir bei weitem nicht die härteste Seele. Er legte sich ins Mittel, wenn er es auch vermied, irgendeine Weichlichkeit zu zeigen. Die Zeit dränge. Man habe noch in sechs andern Ortschaften amtszuwalten. Da auch der Geltungsdrang und Machtbeweisungstrieb des Muafin durch die Züchtigung Ter Haigasuns vollauf befriedigt war, winkte er großartig. Der Priester und der Schreiber wurden von ihren Fesseln befreit. Sie durften nach Hause gehen.

      Der Tag verlief für Yoghonoluk glimpflich genug, glimpflicher, als derartige Tage in den meisten Städten und Dörfern des armenischen Volkes zu verlaufen pflegten. Nicht mehr als zwei Männer, die sich bei der Haussuchung widersetzten, wurden getötet, und zwei junge Frauen von den Saptiehs vergewaltigt.

      Volle vierundzwanzig Stunden mußte Gabriel Bagradian warten, bis die Reihe an ihn und sein Haus kam. Wiederum saßen sie alle die ganze Nacht hindurch wach. Es war, als ob es keinen Schlaf mehr gebe. Die Erschöpfung durchdrang die Glieder wie eine weiche Masse, die an der Luft langsam erstarrt. Das Knie zu biegen, die Hand zu heben, den Kopf zu wenden, dies alles kostete einen schier unerschwinglichen Willensaufwand. Dabei mußte man diese Erschöpfung noch preisen, denn sie entrückte die Wirklichkeit und schob zwischen die Welt und ihre Qual eine gute Nebelwand. Am wohltätigsten hüllte sie Juliette ein. Sie, die Lebensfreudige, die noch vor wenigen Tagen in ihren Rosen und Seidengeweben geschwelgt hatte, sie, die überlegene, die von ihrer französischen Höhe auf die Rasse ihres Gatten verächtlich hinabsah, sie, die Leichtsinnige, die es nicht für möglich hielt, daß sie in die Haßverstrickung von Halbwilden ernsthaft hineingezogen werden könnte, sie, Juliette, war nun von einem Keulenschlag betäubt. Ihre sonst so klaren Augen schauten wässerig aus dem schlaffen Gesicht. Das Haar war ausgetrocknet und in übernächtiger Unordnung. Sie trug dasselbe zerdrückte Reisekleid wie am Tage der Zeltprobe. Wie ein lästiger Körperschmerz, der unablässig geht und kommt, lief immer wieder der gleiche Gedanke durch ihren matten Geist: Er ist Armenier, ich bin Französin. Das ist doch trotz des Ehesakramentes zweierlei. Muß ich denn wirklich deshalb zugrunde gehen, weil er Armenier ist? Warum kann er nicht dadurch gerettet werden, daß ich Französin bin? Juliette wollte sich über das Los der Frau empören, die ihren Namen und ihr Volk in der Ehe opfert. Sie hatte aber nicht einmal geistige Kraft genug in dieser Stunde, um jenen Gedanken wirklich auszudenken. Er versiegte in ihrem Hirn jedesmal wie in Sand. Unwillkürlich und träge blätterte ihre Erinnerung immer dasselbe Bild auf: ihr Salon in der Avenue Kleber mit dem großen rötlichen Marmorkamin, den sie längst schon hatte entfernen wollen. Von Zeit zu Zeit aber wallte es in ihr auf, etwas Weiches und Schuldbewußtes. Sie bemühte sich, dieses weiche, schuldbewußte Gefühl in sich zu verewigen. Und dann preßte sie Stephan, der neben ihr lehnte, an die Brust:

      »Streck dich doch aus und schlaf, Stephan!«

      Sie sah dem Knaben in die müdigkeitsschwimmenden Augen, und das Schuldbewußte, Weiche in ihr fragte: Wer bist du, du mein ganz fremdes Kind?

      Im großen Empfangszimmer waren alle Hausgenossen versammelt: neben Iskuhi auch Howsannah Tomasian, die zu Juliette gezogen war, da Pastor Aram in Bitias weilte, um seinem Amtsbruder Harutiun Nokhudian und der protestantischen Gemeinde vor der Stunde des Auszugs Beistand zu leisten. Die Anwesenheit Gonzagues fiel gar nicht mehr auf. Er hatte die letzten Tage zumeist in der Villa verbracht. Sein Hauswirt, der Apotheker Krikor, so behauptete er, lebe seit der großen Versammlung in einer sonderbar gestörten Geistesverfassung. Er kümmere sich um nichts, bereite keine Lebensmittel und kein Gerät fürs künftige Lagerleben vor und vernachlässige, obgleich gewähltes Mitglied des Führerrates, die ihm zugewiesene Obsorge für die Allgemeinheit in sträflicher Art. In der Apotheke gehe es drunter und drüber. Der taube Hausknecht bediene, alles verwechselnd, die Kunden, die das Gewölbe belagerten, um sich mit Krikors mageren Heilmittelschätzen sowie mit Petroleum, Spiritus, Hanfstricken, Besen und ähnlichem Zeug rechtzeitig zu versehen. Wegen des kopflosen Verkaufswesens sei es zwischen so alten Freunden wie Bedros Altouni und Krikor zu einem beträchtlichen Krach gekommen. Der Arzt habe großen Lärm geschlagen und den Apotheker in seinem Allerheiligsten überfallen: Es gehe nicht an, daß der blödsinnige Büffel von einem Hausknecht den ganzen Laden an eigensüchtige Schurken ausverkaufe. Die lächerlich geringfügige Menge Tincturae Jodi dürfe nicht an Baghdassar, Howhannes, Dikran, Barsam und andre Hamster aufgeteilt werden. Ob Krikor denn nicht wisse, daß seine schäbigen Arzneien allgemeines Gut bedeuten, ebenso wie Salz, Gewürze, Petroleum nebst allen anderen staubigen Lumpensorten, die er schon seit Jahrzehnten feilbiete. Daraufhin habe sich der Apotheker ganz gegen seine sonstige Art sehr aufgeregt und gerufen, er sei nicht habsüchtig, seit Jahrzehnten opfere er sich schon auf, denn der ganze Apothekenmist bedeute für ihn eine Herabwürdigung seines Daseins. Und um dem Arzt zu beweisen, wer vor ihm stehe, habe Krikor hoheitsvoll das Fenster geöffnet (was nicht oft geschah) und den gesamten Verkauferlös des Tages, Paras, Piaster und Metalliks, auf den Kirchplatz hinausgeschleudert, den Buben zum Raub. Der Arzt, durch diese königliche Gebärde keineswegs erschüttert, habe darauf den Apotheker aufgefordert, seine Bibliothek den Münzen nachfolgen zu lassen, da das Fenster schon offen sei. Damit würde er für sich und andere ein verdienstvolles Werk tun. Gonzague Maris erzählte, daß es ihm selbst nur mit allergrößter Mühe gelungen sei, die zwei kämpfenden Alten zu versöhnen. Heute habe Krikor seine Apotheke für immer geschlossen. Nun halte er sich nur mehr unter seinen von dem neidischen Altouni verlästerten Büchern auf und lese, lese.

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