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nicht?«, erkundigte Bettina sich. »Wenn Sie ihm doch scheinbar so gleichgültig sind.«

      »Oh, dafür gibt es eine einfache Erklärung, und die heißt … Geld und Besitz … als wir heirateten, hatten wir beide nichts, und so gilt für uns die Zugewinngemeinschaft, was bedeutet, dass alles geteilt wird … es wäre für uns beide genug da, aber ein halbiertes Unternehmen hat nicht mehr den Glanz wie ein ganzes, Steinbrecher wäre dann nicht mehr die Nummer eins. Ein solcher Gedanke wäre für meinen Mann unerträglich.«

      »Und wie verhält es sich mit Ihnen?«

      Sie winkte ab.

      »Es bedeutet mir nichts mehr, schon lange nicht. Aber irgendwann ist man in einem Trott, wo man nur noch funktioniert und automatisch weitermacht. Ich hatte, glaube ich, wohl auch noch im Hinterkopf, durch besondere Leistungen und Erfolge meinen Mann wieder für mich zurückzugewinnen. Das zu denken war wohl sehr töricht …«

      Wieder versank sie in Grübeleien.

      »Es wäre wohl immer so weitergegangen, wenn er nicht meinen Geburtstag und unsere Silberhochzeit vergessen hätte. Da ist etwas in mir zerbrochen, und mir ist klar geworden, dass er mich nur noch als Arbeitskraft verschleißt, die das Vermögen immer mehr vergrößert, damit er ein schönes Leben haben kann.«

      Sie blickte Bettina an.

      »Sind Sie verheiratet?«, wollte sie wissen.

      Bettina schüttelte den Kopf.

      »Nein, aber … verlobt«, sagte sie, und auf einmal fühlte sie sich ganz stolz und glücklich, als sie Dorothea Steinbrecher ihre linke Hand entgegenhielt.

      Die seufzte.

      »Dann haben Sie ein gemeinsames Leben mit einem Mann noch vor sich … ich wünsche Ihnen dazu alles Glück und ein dreifaches toi-toi-toi, dass es auch ewig hält.«

      »Das wird es«, sagte Bettina voller Zuversicht.

      »Es ist auf jeden Fall besser, verheiratet zu sein, als als ledige oder geschiedene Frau durch’s Leben zu gehen.«

      »Aber ignoriert zu werden ist auch keine Lösung«, wandte Bettina ein.

      »Das ist wahr«, antwortete Dorothea. Sie löste ihre Hand aus Bettinas Berührung, stand auf.

      »Es hat gutgetan, es einfach einmal aussprechen zu können. Danke.«

      »Danke, wofür, ich habe Ihnen doch nur zugehört, eine Entscheidung treffen müssen Sie allein, und dabei sollten Sie ausschließlich an sich denken. Das Leben ist zu kurz, um es zu vergeuden oder sich für andere zu opfern. Sie sind doch noch so jung.«

      »Jung? Ich bin fünfzig.«

      »Das ist heutzutage überhaupt kein Alter, Jahrzehnte liegen noch vor Ihnen, in denen Sie glücklich sein können. Vielleicht finden Sie eine neue Liebe …«

      »Doch nicht mit fünfzig.«

      Bettina musste lachen.

      »Klammern Sie sich doch nicht an einer Zahl fest, Frau Steinbrecher. Menschen verlieben sich mit siebzig und auch noch, wenn sie noch älter sind. Es gibt kein Limit, man muss nur bereit sein für ein neues Leben, eine neue Liebe. Wer mit Scheuklappen durch’s Leben geht, wer an alten, längst überholten Bindungen festhält, sieht nicht das Glück, das für einen blühen kann.«

      »Ach, Sie verstehen es wirklich, jemandem Mut zu machen, Frau Fahrenbach. Aber es geht mir nicht um eine neue Liebe, ich muss erst mit den Verletzungen fertig werden, die mein Mann mir zugefügt hat, die ich ja nicht einmal wahrgenommen habe, nicht wahrnehmen wollte. Es hat wohl dieser zwei Daten bedurft, um mir die Augen zu öffnen …«

      Sie wandte sich zum Gehen.

      »Fahrenbach ist so friedvoll, Ihre liebevoll eingerichteten Appartements auf diesem wunderschönen Hof die wahre Wohltat. Hier muss man einfach zu sich finden.«

      Sie lächelte leicht.

      »Nochmals danke.« Dann verließ sie die Kapelle.

      Es war schon merkwürdig, dachte Bettina, welch magische Wirkung die kleine Kapelle auf Menschen ausübte, die Probleme hatten, und wie leicht es ihnen fiel, darüber zu sprechen.

      Dorothea Steinbrecher war nicht die Erste, und sie würde auch nicht die Letzte sein.

      Welche Entscheidung sie wohl treffen würde? Weitermachen wie bisher? Nein, das glaubte Bettina nicht. Dazu waren die Verletzungen zu groß, saß der Schmerz zu tief. Die Silberhochzeit und der fünfzigste Geburtstag, so etwas war einfach zu wichtig, da konnte man einfach nicht zur Tagesordnung übergehen. Sie bekam einen unbändigen Zorn auf diesen smarten Herrn Steinbrecher, der nach außen hin den Edelmann spielte, in Wirklichkeit aber ein eiskalter Egoist war.

      Bettina zwang sich, ihre Gedanken in eine andere Richtung zu bringen und stand als Erstes einmal auf, um Kerzen anzuzünden, doch schon dabei stellte sie fest, dass ihre Sorgen, ihre Ängste sich verflüchtigt hatten.

      Sie musste sich ehrlich eingestehen, dass sie sich da in etwas hineingesteigert hatte und es in Wirklichkeit überhaupt kein Unheil gab, das wie ein Damoklesschwert über ihr schwebte, sondern nichts als Glück. Und dass Jan ihr den Antrag gemacht hatte, war ein spontaner Entschluss gewesen, nachdem er schon Andeutungen gemacht hatte, dass eine Heirat für ihn durchaus möglich sei. Diese Hochzeitspräsentation hatte halt den Ausschlag gegeben, und er hatte Nägel mit Köpfen gemacht. Jan setzte sofort alles in die Tat um, das gehörte auch zu seinem Beruf.

      Sie setzte sich wieder hin und starrte glückselig auf den schmalen Ring an ihrem Finger.

      Du bist mein Herz, meine Seele, mein Ein und Alles, waren die letzten Worte seines Briefes gewesen. Das war er für sie auch, und zum ersten Mal konnte sie es denken, ohne dass sich Thomas’ Bild dazwischenschob.

      Die Ära Thomas Sibelius war vorbei, endgültig.

      Jan und sie, das war, was zählte.

      Ihre Angst war verflogen, sie war also nicht mehr gewesen als ein Phantasiegebilde, das ihr Kopf sich zurechtgelegt hatte.

      Aber dennoch …

      Vorsichtshalber schickte sie doch ein kleines Gebet zum Himmel: »Lieber Gott, bitte lass Jan wieder gesund und munter nach Hause zurückkommen.«

      Mit geschlossenen Augen blieb sie noch eine ganze Weile sitzen und genoss den unbeschreiblichen Frieden in der kleinen Kapelle, ehe sie sich darauf besann, dass sie auch noch so etwas wie einen Beruf hatte und es eine ganze Menge zu tun gab, besonders jetzt, da sie das Fahrenbach-Kräutergold auch noch in anderer Ausführung auf den Markt bringen wollten.

      Sie stand auf, aber ehe sie nach Hause fahren würde, nahm sie sich vor, einen kurzen Abstecher zu Linde zu machen. Die war ihre allerbeste Freundin und sollte als

      Erste erfahren, dass sie jetzt mit Jan van Dahlen verlobt war, dass er ihr, wenn auch auf etwas ungewöhnliche Weise, einen Heiratsantrag gemacht hatte.

      Als sie die Kapelle verließ hatte sie das Bild vor Augen, wie sie als Braut vor dem Altar stehen würde, es war wundervoll, sich das vorzustellen.

      Sie hüpfte den Weg hinunter, stieg auf ihr Fahrrad und radelte hinunter ins Dorf.

      Linde würde Augen machen, dachte sie und freute sich schon so richtig auf deren überraschtes Gesicht.

      *

      Bettina lehnte ihr Fahrrad ans Haus und wollte gerade die Treppen zum Seiteneingang hochsteigen, als eine Stimme sie zurückhielt.

      »Hey, Bettina, wenn du zu Linde willst, dann muss ich dich enttäuschen, die ist mit den Kindern zum Arzt gefahren … eine Routineuntersuchung.«

      Bettina drehte sich um und sah Yvonne, die quer über den Marktplatz auf sie zugelaufen kam.

      »Hallo, Yvonne«, sagte sie. »Jetzt, wo du es sagst, fällt es mir auch wieder ein, ich hatte es total vergessen. Sag mal, was machst du denn um diese Zeit hier?«

      Yvonne sah blass aus und

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