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Leni, die jagte irgendwie alle Gäste in die Kapelle, von denen sie den Eindruck hatte, sie bedurften des Trostes.

      »Hallo, Frau Steinbrecher«, sagte Bettina freundlich. »So haben Sie unsere Kapelle also auch schon entdeckt.«

      »Sie ist doch jedermann zugänglich?«, fragte Frau Steinbrecher mit leiser, verunsichert klingender Stimme.

      Die arme Frau, sie war ja vollkommen verängstigt.

      »Aber ja«, entgegnete Bettina. »Ist das nicht jede Kapelle oder Kirche?«

      Die Frau zuckte die Achseln.

      »Sie ist sehr schön«, sagte sie, »man wird darinnen ganz ruhig. Vermutlich liegt das an den darin vorherrschenden sanften Farben und der Schlichtheit, durch die man nicht abgelenkt wird, sondern sich auf sich selbst besinnen kann. Ich habe eine Kerze angezündet, fand allerdings nirgendwo einen Hinweis, was die Kerzen kosten, es war auch nichts da, wo man Geld hineinwerfen kann.«

      Bettina lächelte.

      »So etwas gibt es auch nicht, wer mag, bringt Kerzen mit, die sind dann für all diejenigen bestimmt, die das Bedürfnis haben, Kerzen anzuzünden. Die Hauptabnehmerin der Kerzen bin ich, deswegen sorge ich auch hauptsächlich für Nachschub. Ich gehe so gern in unsere Kapelle, wenn ich mich freue, wenn ich für mich sein will, aber auch, wenn ich etwas auf dem Herzen habe.«

      Zum ersten Mal huschte ein leichtes Lächeln über Frau Steinbrechers Gesicht.

      »Das kann ich gut verstehen«, sagte sie, »mir hilft es auch. Ich bin niemand, der zu den sonntäglichen Gottesdiensten geht, aber an Kirchen oder Kapellen kann ich einfach nicht vorübergehen. Es gibt mir sehr viel, so ganz für mich allein Gott nahe zu sein. Allerdings habe ich das Gefühl,, wie viel Bitterkeit doch aus ihrer Stimme klang, »dass er mich seit langem vergessen hat.«

      »Das glaube ich nicht, Frau Steinbrecher«, widersprach Bettina. »Gott vergisst niemanden von seinen Schäfchen.«

      Sie seufzte.

      »Ach, Sie haben doch überhaupt keine Ahnung.«

      Sie wollte an Bettina vorbeigehen, aber die hatte auf einmal das Gefühl, sie nicht gehenlassen zu dürfen. Die Frau war so aufgewühlt, nicht einmal der Aufenthalt in der Kapelle hatte sie beruhigen können.

      »Möchten Sie … möchten Sie reden?«, erkundigte Bettina sich behutsam. »Ich höre Ihnen gern zu.«

      Dorothea Steinbrecher winkte ab.

      »Das ist sehr nett von Ihnen, danke. Aber mir kann niemand helfen.«

      Das hatte so mutlos, so traurig geklungen, dass es Bettina so richtig ans Herz ging.

      Sie überlegte einen Augenblick. Was sollte sie jetzt tun? Dorothea Steinbrecher wieder in die Kapelle führen oder zu der neben dem Eingang stehenden Holzbank?

      Nein, nicht die Bank. Es war zwar für die Jahreszeit erstaunlich mild, aber nicht mild genug, um lange draußen sitzen zu können, und wer weiß. Vielleicht würde die Frau ihr ihre Geschichte ja doch erzählen, und da wäre es unmöglich, wenn sie unterbrochen werden würde, weil ihnen kalt war.

      Es war nicht mehr als ein Reflex, als Bettina die unglückliche Frau einfach beim Arm packte und in die Kapelle führte, dort bis in die erste Reihe, in der sie immer saß.

      Ein einsames Kerzlein brannte. Bettina zog Dorothea neben sich, die alles wie willenlos geschehen ließ.

      Eine ganze Weile saßen sie still nebeneinander, Bettina ahnte instinktiv, dass sie die Frau jetzt nicht bedrängen durfte, aber mit der Anteilnahme um sie wurde sie von ihren eigenen Problemen abgelenkt und hatte vollkommen vergessen, weswegen sie eigentlich hergekommen war.

      Es war ganz still, aber nicht bedrückend.

      Dorothea weinte, Bettina nahm deren linke Hand, die unruhig über den Stoff der Jacke huschte, fest in ihre Rechte.

      Du lieber Himmel, die Hand der Frau war ja eiskalt!

      Wie angespannt sie innerlich sein musste.

      Allmählich ebbte das Schluchzen ab. Als Dorothea Steinbrecher anfing zu sprechen, zuckte Bettina richtiggehend zusammen, weil sie mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen war.

      »Diese Kälte ist ... nicht mehr auszuhalten … ich erfrier an … an … seiner Seite.«

      Es war unschwer zu erraten, dass sie von ihrem Mann sprach. Bettina verstärkte den Druck ihrer Hand, um ihr zu zeigen, dass sie da war.

      »Wir sind fünfundzwanzig Jahre verheiratet«, sagte Dorothea mit leiser Stimme. »Den Tag unserer Silberhochzeit hat er einfach ignoriert … er ist nicht mal zu Hause gewesen … und meinen fünfzigsten Geburtstag … den ist er auch übergangen … es gab nichts, keine Gratulation, geschweige denn ein Blümchen …«

      Wieder Schweigen, dann fuhr sie mit leiser Stimme fort: »Es geht lange schon so, aber … Silberhochzeit, der fünfzigste Geburtstag … das sind doch Meilensteine im Leben eines Menschen, das übergeht man nicht, oder?«

      Dieses aber veranlasste Bettina dazu, etwas zu sagen: »Sie haben recht, Frau Steinbrecher, so etwas übergeht man wirklich nicht. Haben Sie Ihren Mann darauf nicht angesprochen?«

      Sie blickte zur Seite, und Bettina erkannte erst jetzt, wie hübsch ihr Gesicht im Grunde genommen war, jetzt allerdings gezeichnet von Kummer, vielen, vielen Tränen.

      »Das habe ich längst schon aufgegeben. Aber diesmal habe ich wenigstens etwas unternommen, ich bin, ohne ihm etwas zu sagen, gegangen. Ich werde erst wieder nach Hause zurückfahren, wenn ich eine endgültige Entscheidung getroffen habe – Geld hin oder Geld her …«

      »Geld hin oder Geld her?«, wiederholte Bettina, die dem jetzt nicht so ganz folgen konnte.

      »Mein Mann und ich haben die Firma zusammen aufgebaut, so praktisch aus dem Nichts heraus, es ist ein florierendes Unternehmen geworden. Bestimmt haben Sie es auch schon mal gehört – Steinbrecher Autoverleih?«

      Aber ja, es war der größte Autoverleiher im Lande, deswegen war Bettina der Name auch so bekannt vorgekommen, als Dorothea Steinbrecher auf den Hof gekommen war, um ein Appartement im Gesindehaus zu beziehen.

      »Den Namen kennt doch jeder«, entgegnete Bettina. Es war unvorstellbar, dass der Besitzer dieses Unternehmens so grausam war, seiner Frau keine Blumen zum fünfzigsten Geburtstag zu schenken, die fünfundzwanzig gemeinsam verbrachten Ehejahre zu ignorieren. In der Öffentlichkeit spielte er den Großzügigen. Aber das war ja oft so, dass man die Wahrheit erst erfuhr, wenn man hinter die Fassade blickte.

      »Wir haben immer nur gearbeitet, haben unser Leben praktisch in der Firma verbracht, da ist alles andere, besonders unser Privatleben, auf der Strecke geblieben.«

      »Aber Ihr Mann ist doch ständig in der Öffentlichkeit zu sehen, bei Golfturnieren, bei großen gesellschaftlichen Ereignissen.«

      Bettina hatte sein Bild immerzu in den Zeitschriften gesehen, die bei Leni ständig herumlagen.

      »Ja, das muss er … das ist wichtig für das Geschäft«, sagte sie leise.

      »Aber warum gerade er und nicht Sie?«, begehrte Bettina auf.

      »Es ist nicht mein Ding, überall Small Talk zu machen. Das kann er viel besser als ich, ich bin dafür besser im Geschäft.«

      Bettina konnte es sich so richtig vorstellen, er trat als Herr Wichtig auf, und sie war das fleißigste Arbeitsbienchen im Hintergrund, das noch nicht einmal ein paar Blümchen wert war oder wenigstens eine Gratulation.

      Gruselig!

      Eines wusste Bettina, so etwas würde sie mit sich nicht machen lassen. Eine solche Ignoranz hatte niemand verdient!

      Am liebsten hätte Bettina der unglücklichen Frau geraten, diesen Mann zu verlassen, doch das würde in diesem Augenblick zu weit gehen. Sie kannten sich kaum, und ein solcher Ratschlag griff schon sehr in die Intimsphäre eines Menschen ein.

      Also sagte

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