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Aber im letzten Augenblick besann er sich. Und als er den Kopf hob, sah er oben am Fenster das Gesicht eines Mädchens. Es mochte vielleicht achtzehn Jahre alt sein, hatte dunkles Haar und tiefblaue Augen. Ein zierliches Gesichtchen von bezaubernder Schönheit.

      Tom wandte sich ab und ging die Verandatreppe hinunter.

      Da hörte er den Alten rufen: »Das ist Tom Coogan, Miß Mary! Ein Mörder. Er hat Jonny Ray erschossen und…«

      »Geh an deine Arbeit, Mac!« rief das Mädchen.

      Als Tom im Sattel saß, warf er noch einen Blick hinauf zum Fenster. Die Mädchenaugen hafteten auf seinem Gesicht. Langsam ritt er aus dem Ranchhof.

      Es war fast schon dunkel, als er die Bauten der Ranch von Peter Loons vor sich auftauchen sah.

      Das Ranchtor war geschlossen.Tom öffnete es vom Sattel aus und ritt über das kurze Weidestück auf den Hof zu.

      Oben im Wohnhaus brannte hinter zwei Fenstern Licht.

      Drüben im Bungalow war schon alles dunkel. Sollten die Cowboys etwa schon zur Ruhe gegangen sein?

      Als er über den Hof ritt, schlug neben dem Geräteschuppen ein Hund an.

      Tom stieg aus dem Sattel, ließ das Pferd frei stehen und klopfte an die Tür des Ranchhauses.

      Gleich darauf hörte er Schritte im Flur.

      Die Tür wurde aufgeschlossen.

      Ein Lichtschein fiel auf die Veranda und beleuchtete den Mann.

      In der Tür stand eine junge Frau.

      Tom konnte nur ihre Silhouette sehen.

      »Evening«, sagte er halblaut. Er kam nicht weiter. Die Frau schrie auf und schlug die Tür zu.

      Der Reiter stand steif und reglos da, blickte auf die Tür und wartete.

      Nach wenigen Minuten wurde links von der Tür ein Gewehrlauf durch eine Schießscharte gesteckt, und eine Frauenstimme rief: »Verschwinden Sie augenblicklich! Ich schieße Sie sonst nieder…«

      Der Mann preßte die Lippen aufeinander und wandte sich zum Gehen. Unten vor der Verandatreppe hielt er noch einen Augenblick inne.

      Da rissen oben der Frau die Nerven.

      Sie drückte ab.

      Tom Coogan fühlte einen Schlag hoch oben gegen die rechte Schulter und gleich darauf einen stechenden Schmerz. Er preßte die Linke auf die Schulter, warf einen langen Blick hinauf zu der Schießscharte und ging ganz langsam zu seinem Pferd.

      Mühsam zog er sich in den Sattel, hob die Zügel an und ritt davon.

      In die Nacht hinaus, über das Bergland zurück zu der Stadt, dahin, wo er auch nicht willkommen war.

      *

      Es war dunkel in der Mainstreet. Dunkel wie früher. Nur drüben aus Walkers Saloon fiel Licht auf die Straße.

      Im Grand Hotel war die Halle beleuchtet.

      An den Tischen saßen ein paar Leute.

      Als Tom an der Rezeption seinen Schlüssel abholte, stand ein kleiner weißhaariger Mann neben ihm, der plötzlich einen Schreckensruf ausstieß. »He, Mann – Sie bluten ja!«

      Tom nickte. »Ich weiß.« Er nahm seinen Schlüssel und ging die Treppe hinauf.

      Der Kleine lief keuchend hinter ihm her. Er hatte eine dickbauchige Tasche in der Hand. »Kommen Sie!« Er schob den Cowboy ins Zimmer. »Los, die Jacke herunter, ich werde Sie verbinden!«

      Tom winkte ab. »Nicht nötig, Mister. Es ist nicht so schlimm!«

      Der Kleine riß die Augen auf und zwinkerte durch seine dickglasige Brille. »Nicht so schlimm? Na, hören Sie… Los, schnell! Ich bringe das in Ordnung.«

      Er brachte es in Ordnung.

      Die Gewehrkugel hatte glücklicherweise nur die Schulter aufgerissen. Es war eine tiefe Fleischwunde. Kein Steckschuß. Der kleine Mann hatte also keine Kugel herausoperieren müssen.

      »Ein ordentliches Loch«, sagte er, als er sich die Hemdsärmel wieder herunterkrempelte.

      Tom, der die ganze Zeit über geschwiegen hatte, kramte einen Golddollar aus seinem Gürtel und reichte ihn dem Mann. »So, Doc – damit wären wir wohl quitt.«

      »Doc?« fragte der Kleine. »Gott bewahre, ich bin kein Arzt.«

      »Kein Arzt?« forschte Tom verblüfft.

      »Nein. Ich bin Barbier, mein Name ist Jim Owen. Ich wohne hier gegenüber. Ich komme nur abends manchmal auf einen Sprung herüber ins Hotel, um die Zeitungen zu lesen, die die Durchreisenden liegenlassen. Seit zwei Jahren hält die Postkutsche ja jede Woche zweimal hier. Verstehen Sie? Und heute abend habe ich gerade dem alten Robbers einen Zahn ziehen müssen, deshalb hatte ich meine Tasche bei mir, als ich hier vorbei kam.« Der Kleine zündete sich eine schon halb gerauchte Zigarre an. »Es muß übrigens etwas los sein in der Stadt. Ich sah den Sheriff vorhin hin und her laufen. Dann hörte ich von Jon Guffry, daß ein entsprungener Mörder in der Gegend sei. Er soll aus den Steinbrüchen von Sescatewa geflohen sein…«

      Tom setzte sich auf die Bettkante. »Ja, das wußte ich schon, Jim. Ich kenne ihn sogar ganz genau.«

      Der Kleine nahm die Zigarre aus dem Mund. »Was Sie nicht sagen!«

      »Doch. Ich kenne ihn genau, Jim. Er ist so groß wie ich, trägt einen schwarzen, schäbigen Hut, eine schwarze Weste, ein rotes Hemd und ein blaugrünes Halstuch. Sein Waffengurt ist ziemlich breit und altmodisch. Der Revolver hängt an seiner linken Seite und ist ein uralter Parker-Colt 45.«

      Der Barbier wurde nervös. »Aber wenn Sie ihn so genau kennen, so können Sie doch dem Sheriff einen Hinweis geben!«

      »Ich könnte, ja. Aber ich werde es nicht tun.«

      »Aber der Mann ist gefährlich!« gab Owen zu bedenken.

      »Die Leute hier sind viel gefährlicher. Vorhin hat eine Frau auf ihn geschossen.«

      »Auf wen?«

      »Auf den Mann, von dem wir sprachen.«

      »Eine Frau?«

      »Ja, oben in der Loon-Ranch.«

      »Die Loon-Ranch existiert doch längst nicht mehr. Der alte Loon liegt doch schon seit Jahren auf dem Gottesacker. Und da oben ist der Bursche also aufgetaucht? Und die Frau hat auf ihn geschossen? Ja, das kann stimmen, denn die Leute sind hinüber nach Eldorado geritten, da kommt Vieh für die Ranch mit der Bahn an. Und... ich muß jetzt schnell zum Sheriff und ihm davon berichten!« Er nahm seine Tasche auf und eilte zur Tür. »Also, er trägt einen schwarzen Hut, schwarze Weste, rotes Hemd…« Kurz vor der Tür blieb der Barbier stehen und wandte sich ganz langsam um. Aus weit geöffneten Augen starrte er den Fremden an.

      Der lachte grinsend.

      »Hey –«, preßte Owen durch die Zähne. »Sie wollen damit doch nicht etwa sagen…?«

      »Doch, das will ich, Jim. Ich bin der entsprungene Sträfling. Ich bin nach Hause gekommen, um mit dem Mörder eines Mannes abzurechnen, der mein Freund war.«

      Jim Owen nickte abwesend und ging hinaus.

      Tom wußte nun, daß er sich mit dieser Mitteilung den Aufenthalt auch hier im Hotel unmöglich gemacht hatte. Der kleine mitteilsame Jim Owen würde nichts Eiligeres zu tun haben, als nun den Sheriff zu informieren, wo er den Gesuchten finden könne.

      Tom warf Hemd und Jacke über, nahm seine Sachen und ging hinunter an die Rezeption. »Meine Rechnung«, brummte er.

      *

      Tom ritt wieder hinüber auf die LoonRanch. Den Weg, den er so oft geritten war. Er würde warten, bis Jack Donegan zurückkam.

      Was wollte er von ihm? Er wollte ihm sagen, daß er zurückgekommen war; er wollte mit ihm über Jonny Ray sprechen…

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