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wur­de, wie ich nie­mals wie­der habe trin­ken se­hen. Grö­ße­re Hel­den des Suffs fin­den sich auch im »Gös­ta Ber­ling« nicht. Die Zahl der Schop­pen, die für eine Fuch­sen­tau­fe nö­tig sein soll­te, wage ich nicht zu nen­nen; über die bei die­sem Vor­gang an­ge­wand­ten Zwangs­maß­re­geln gin­gen gru­se­li­ge Gerüch­te. Selbst bei Tanz­ver­gnü­gun­gen konn­te es vor­kom­men, dass ein Part­ner plötz­lich nicht mehr sa­lon­fä­hig war und dass aus den Rei­hen der Kom­mi­li­to­nen ein Er­satz­mann ge­stellt wer­den muss­te. Schan­de war kei­ne da­bei, sie be­haup­te­ten ihr An­se­hen auch noch in die­sem Zu­stand. Nur wer sich im Schnaps be­rausch­te, wie es den Nord­deut­schen bis­wei­len ein­fiel, statt im lan­des­üb­li­chen Gers­ten­saft oder Wein, der galt für wirk­lich las­ter­haft.

      Da­bei sprach es doch für die Gut­ar­tig­keit die­ser aus­ge­las­se­nen Ju­gend, dass tät­li­che Aus­schrei­tun­gen ge­gen die Ne­ben­menschen äu­ßerst sel­ten wa­ren. Un­ser Haus am Markt­platz hat­te nach da­ma­li­ger Sit­te kei­ne Kor­ri­dor­tü­ren auf den ein­zel­nen Stock­wer­ken, aber ob­wohl im Un­ter­ge­schoss ein Stu­den­ten­café lag und die Haus­tür des­halb fast die gan­ze Nacht of­fen stand, fühl­te man sich doch in sei­nem Zim­mer völ­lig si­cher. Nur ei­nes Abends kam un­se­re schon be­tag­te Jo­se­phi­ne vol­ler Un­wil­len aus ih­rer Dach­kam­mer zu­rück­ge­stürzt, denn sie hat­te in ih­rem Bett einen un­be­kann­ten Schlä­fer ge­fun­den. Es war ein Stu­dent, der in tiefer Ver­dun­ke­lung die frem­den Trep­pen als sei­ne ei­ge­nen er­stie­gen und sich ohne wei­te­res zur Ruhe ge­legt hat­te. Mei­ne Brü­der, da­mals schon sel­ber Stu­den­ten, hat­ten alle Not, den Uner­weck­li­chen wie­der die lan­ge Trep­pe hin­un­ter und ins Freie zu schaf­fen.

      Ab­seits von die­ser Bur­schen­herr­lich­keit trie­ben die »Stift­ler« ihr halb­klös­ter­li­ches, ei­gen­bröt­le­ri­sches We­sen. Es wa­ren dies Sti­pen­dia­ten, die, von klein auf zur theo­lo­gi­schen Lauf­bahn be­stimmt, erst in den nie­de­ren Se­mi­na­ri­en, dann im Tü­bin­ger evan­ge­li­schen Stift, ei­nem ehe­ma­li­gen Au­gus­ti­ner­klos­ter, für ih­ren Be­ruf her­an­ge­bil­det wur­den. Ob­gleich sie durch ihre Halb­klau­sur und viel­fa­che Be­schrän­kun­gen, de­nen sie un­ter­wor­fen wa­ren, ge­sell­schaft­lich hin­ter den glück­li­che­ren Stadt­bur­schen zu­rück­stan­den, bil­de­ten sie un­ter ih­rem un­schein­ba­ren und häu­fig un­ge­leck­ten Äu­ße­ren so et­was wie eine geis­ti­ge Aus­le­se des Lan­des und tru­gen viel zu der be­son­de­ren Phy­sio­gno­mie der Tü­bin­ger Uni­ver­si­tät bei. Kein Aus­wär­ti­ger kann zur Kul­tur des Schwa­ben­lan­des und zu sei­nen großen Söh­nen in ein nä­he­res Ver­hält­nis tre­ten, wenn er sich nicht ein­ge­hend mit dem Geis­te des Tü­bin­ger Stifts und sei­nen Ein­rich­tun­gen ver­traut ge­macht hat. Aus die­ser An­stalt ging ja be­kannt­lich die größ­te Zahl der füh­ren­den Geis­ter Alt-Würt­tem­bergs her­vor. Und zwar pfleg­te ent­spre­chend der Dop­pel­be­ga­bung des Stam­mes ein gu­ter Jahr­gang je einen Dich­ter und einen Phi­lo­so­phen gleich­zei­tig zu brin­gen: Höl­der­lin und He­gel, Mö­ri­ke und Strauß, mei­nen Va­ter und Ed. Zel­ler. Ge­le­gent­lich wuch­sen die großen Geis­ter im Stift so­gar bü­schel­wei­se wie in der so­ge­nann­ten »Ge­nie­pro­mo­ti­on«, der auch Fried­rich Vi­scher an­ge­hör­te. Der Mehr­zahl der Stift­ler ging aber die ein­sei­ti­ge Er­zie­hung le­bens­lang nach. Mit ei­nem äu­ßerst prall ge­stopf­ten Schul­sack ver­ban­den sie häu­fig die größ­te Un­kennt­nis des wirk­li­chen Le­bens und je­nes lin­ki­sche Un­ge­schick der äu­ße­ren Welt ge­gen­über, das man in Schwa­ben mit dem Wort »stift­ler­mä­ßig« be­zeich­net. Bei den sche­ma­ti­sche­ren Köp­fen ge­sell­te sich noch leicht eine geis­ti­ge Selbst­si­cher­heit hin­zu, die al­les, was nicht auf ih­rem ei­ge­nen Bo­den ge­wach­sen und ih­nen dar­um fremd­ar­tig war, als min­der­wer­tig be­trach­te­te. Man­cher der Bes­ten hielt es nicht bis zum Ende aus und ent­wand sich so oder so dem Zwan­ge. Ehe­ma­li­ge Stift­ler tru­gen deut­sche Wis­sen­schaft in alle Lan­de und wa­ren als Leh­rer wie als Er­zie­her gleich sehr ge­sucht. Die Da­heim­ge­blie­be­nen nah­men spä­ter­hin her­vor­ra­gen­de Kir­chen- und Schuläm­ter ein, sie ver­ewig­ten den Stift­ler­schlag, in­dem sie ihn wei­ter­züch­te­ten, und ga­ben dem gan­zen schwä­bi­schen Geist et­was von ih­rem Ge­prä­ge ab. Durch sie vor al­lem kam in die hohe geis­ti­ge Kul­tur des Schwa­ben­lan­des jene un­aus­füll­ba­re Kluft zwi­schen der Wei­te und Tie­fe des in­ne­ren Le­bens und der äu­ße­ren Form­lo­sig­keit, die nicht sel­ten bis zur be­wuss­ten Ver­ach­tung des Schö­nen ging.

      In dem ehr­wür­di­gen Klos­ter­bau an der obe­ren Neckar­hal­de mit sei­nen Kreuz­gän­gen, Hö­fen und Gärt­chen haus­te die­ser be­son­de­re Men­schen­schlag bei­sam­men. Dort stu­dier­ten, aßen, schlie­fen sie, stän­dig über­wacht, in Zim­mern, die ihre alt­ver­erb­ten Na­men und die über­lie­fer­ten Erin­ne­run­gen an die frü­he­ren Be­woh­ner fest­hiel­ten. In mei­nes Va­ters Nach­lass fand ich eine von un­be­kann­ter Hand in Ver­sen ge­schrie­be­ne Sze­nen­fol­ge, die eine nächt­li­che Ent­wei­chung des sonst so füg­sa­men Mö­ri­ke aus dem Stift un­ter dem Bei­stand dunk­ler Mäch­te dra­ma­tisch dar­stellt. Man pfleg­te sich, wenn man die Nacht au­ßer­halb des Stif­tes ver­brin­gen woll­te, an ei­nem lan­gen Seil in den »Bä­ren­gra­ben« hin­ab­zu­las­sen, um auf der an­de­ren Sei­te durch einen be­freun­de­ten Stadt­bur­schen hoch­ge­zo­gen zu wer­den. Wur­de die Ab­we­sen­heit ent­deckt, so stand auf der un­er­laub­ten »Ab­n­ok­ta­ti­on« eine Note. Eine ge­wis­se Zahl sol­cher No­ten be­ding­te die Aus­schlie­ßung von der An­stalt. Zu mei­ner Zeit aber war die Ver­welt­li­chung schon so weit ge­die­hen, dass die Stift­ler so­gar far­ben­tra­gen­den Ver­bin­dun­gen an­ge­hö­ren konn­ten, so­weit die­se nicht dem ver­pön­ten Pauk­kom­ment hul­dig­ten. Auch wa­ren sie auf al­len Bäl­len un­ter den eif­rigs­ten und be­schei­dens­ten, wenn schon nicht im­mer un­ter den ge­wand­tes­ten Tän­zern.

      Noch einen Schritt wei­ter ab­seits vom stu­den­ti­schen Trei­ben stan­den die Zög­lin­ge des ka­tho­li­schen Se­mi­nars, die Kon­vik­to­ren, auch »Hai­er­le« (Herr­lein) ge­nannt, meist Bau­ernsöh­ne aus dem schwä­bi­schen Ober­land, die schon durch ihr lan­ges schwar­zes Ge­wand, aber mehr noch durch ihre ober­schwä­bi­sche Mund­art und ihr gan­zes welt­frem­des Auf­tre­ten von der üb­ri­gen aka­de­mi­schen Ju­gend ab­sta­chen. Auch aus die­ser An­stalt sind be­deu­ten­de Per­sön­lich­kei­ten her­vor­ge­gan­gen. We­nig ließ es sich das Kon­vikt, das ehe­ma­li­ge Col­le­gi­um il­lus­t­re, das die­se fried­fer­tigs­ten al­ler Mu­sensöh­ne be­her­bergt, da­mals träu­men, dass es ein­mal im zwan­zigs­ten Jahr­hun­dert fran­zö­si­schen Flie­ger­bom­ben zur Ziel­schei­be die­nen wür­de.

      Ne­ben dem »Stift« und mit ihm ver­bun­den lag die »Höl­le«, das eins­ti­ge Wohn­haus des »Höl­len-Baur«, je­nes be­rühm­ten, um sei­ner Bi­bel­kri­tik wil­len viel an­ge­foch­te­nen Theo­lo­gen. Er hat­te zu den Leh­rern mei­nes Va­ters ge­hört, war aber um die Zeit, von der hier die Rede ist, schon ge­stor­ben. Der Spitz­na­me ent­hielt kei­ne Spit­ze ge­gen sei­nen Trä­ger. Die Pro­fes­so­ren wa­ren der Mehr­zahl nach mit sol­chen ver­se­hen, und man­che weit­ge­fei­er­te Leuch­te der Wis­sen­schaft ging in der klei­nen Stadt un­ter ir­gend­ei­ner när­ri­schen, zu­wei­len auch wirk­lich wit­zi­gen Be­zeich­nung ein­her. Was gab es aber auch für Ori­gi­na­le un­ter die­sen Pro­fes­so­ren! Grund­ge­lehr­te

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