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ge­kannt ha­ben.

      Die Rike aber hat­te sich über uns im Dor­fe be­klagt, und ei­nes Ta­ges rück­te die länd­li­che Ju­gend mit Ste­cken und Stei­nen be­waff­net vor un­se­re Gar­ten­tür und for­der­te un­se­re Hei­den­schaft zum Kampf. Wir sa­hen von der Gar­ten­mau­er, dass sie uns an Zahl und Kör­per­grö­ße sehr über­le­gen wa­ren. Da­für aber wa­ren wir Göt­ter und Hel­den, sie nur Bau­ern­jun­gen. Schnell wur­den die Rüs­tun­gen an­ge­legt, und als wir hin­ter dem Pfört­chen auf­ge­stellt wa­ren, drück­te Ed­gar, der den Ober­be­fehl hat­te, auf die Klin­ke, wir an­de­ren stie­ßen mit un­se­ren gol­de­nen Spee­ren die Tür vollends auf. Die Rot­te stand einen Au­gen­blick sprach­los vor so viel Gold­pa­pier, und wir glaub­ten schon Sie­ger zu sein. Da pras­sel­te ein Re­gen von Stei­nen und Kas­ta­ni­en auf uns, ein lan­ger Lüm­mel ging mit ei­nem großen Ste­cken auf un­se­ren schmäch­ti­gen aber tap­fe­ren Füh­rer los; so­wohl der di­cke Ares wie Pal­las Athe­ne woll­ten ihm zu Hil­fe kom­men, da wur­de letz­te­re von hin­ten am Arm zu­rück­ge­zo­gen, denn die gute Jo­se­phi­ne war auf den Lärm her­zu­ge­stürzt. Sie ver­scheuch­te mit Dro­hun­gen die Gas­sen­ben­gel und führ­te Göt­ter und Hel­den ins Haus zu­rück.

      In je­nen Ta­gen gin­gen auch die gu­ten Hol­den noch leib­haft auf Er­den. Ich mei­ne je­nes jetzt un­ter­ge­gan­ge­ne Ge­schlecht frei­wil­li­ger Hel­fe­rin­nen, das, als man von or­ga­ni­sier­ter so­zia­ler Ar­beit noch nichts wuss­te, mit sei­ner Für­sor­ge je­den kin­der­rei­chen Haus­halt um­schweb­te. Es wa­ren ein­sa­me, vom Glück ver­ges­se­ne Frau­en, die ihr Mut­ter­ge­fühl an­trieb, frem­de Kin­der zu be­treu­en und in der An­häng­lich­keit an frem­de Fa­mi­li­en Er­satz für die ver­sag­te ei­ge­ne zu su­chen. In Obe­reß­lin­gen sa­ßen ih­rer gleich meh­re­re bei­sam­men. Sie ka­men, wenn eine Krank­heit im Hau­se war, und pfleg­ten; sie stell­ten sich bei der großen Mo­nat­wä­sche ein und mach­ten, in­dem sie sich der Kin­der an­nah­men, häus­li­che Kräf­te frei, sie hal­fen in den Weih­nachts­ta­gen beim Ba­cken und beim »Do­ckeln« (Pup­pen­klei­der­nä­hen). Die Welt wäre ein gut Teil un­wohn­li­cher ge­we­sen ohne ihre Nähe. Sie be­gehr­ten und er­hiel­ten auch wie die rich­ti­gen Feen kei­nen Dank, als dass sie das nächs­te Mal wie­der­kom­men durf­ten. Wir nann­ten sie Tan­ten und ver­ehr­ten durch ihre häu­fig et­was frag­wür­di­ge Leib­lich­keit hin­durch die in­ne­re Feen­na­tur.

      Die edels­te un­ter ih­nen war die Be­sit­ze­rin ei­nes be­nach­bar­ten Kram­läd­chens, un­se­re ge­lieb­te »Tan­te Ber­ta«, der ich schon in der Le­bens­ge­schich­te mei­nes Va­ters ein klei­nes Ge­dächt­nis­mal ge­setzt habe. Sie ist aus mei­nen Ju­gen­derin­ne­run­gen schlech­ter­dings nicht weg­zu­den­ken. Wie oft kam sie und hol­te uns Kin­der zu lan­gen Spa­zier­gän­gen ab, um un­se­re ge­treue Jo­se­phi­ne zu ent­las­ten und mei­nem von ihr still ver­ehr­ten Va­ter ein paar Stun­den völ­li­ger Un­ge­stört­heit zu ver­schaf­fen. Sie strick­te von früh bis spät, im Ste­hen und Ge­hen, denn je­den Abend muss­te ein Paar St­rümp­fe fer­tig sein, wo­mit sie ih­ren gan­zen Be­kann­ten­kreis be­glück­te. Sie sprach ein ge­bil­de­tes, aber stark dia­lek­tisch ge­färb­tes Hoch­deutsch, in dem sich vie­le al­ter­tüm­li­che Wör­ter und Wen­dun­gen um­trie­ben, de­ren ich ver­schie­de­ne spä­ter mit großem Ver­gnü­gen in Grim­mels­hau­sens Sim­pli­zis­si­mus wie­der­fand. Für Steck­na­deln ge­brauch­te sie stets das schö­ne, aus­drucks­vol­le Wort »Glufen«, das ich ihr zwar nicht nach­sag­te, weil es mir selt­sam ver­al­tet und zu­gleich er­nied­rigt klang, das ich aber un­ge­mein ger­ne hör­te. Ich dach­te da­bei im­mer an eine schö­ne al­ter­tüm­li­che Fi­bu­la, ob­wohl das Wort jede Art von Steck­na­deln be­zeich­ne­te. Man müss­te in un­se­rer heu­ti­gen Sprach­not Prei­se auf die Wie­de­r­ein­füh­rung sol­cher al­ten schö­nen Wor­te set­zen. Wer wagt es und bür­gert das präch­ti­ge Wort Glufen statt der farb­lo­sen Steck­na­deln aufs neue in un­se­rer hö­he­ren Schrift- und Um­gangs­spra­che ein?

      Auf un­se­ren Spa­zier­gän­gen er­zähl­te uns Tan­te Ber­ta ur­al­te Ge­schich­ten und An­ek­do­ten, die von Ge­schlecht zu Ge­schlecht gin­gen und viel­leicht nie­mals auf­ge­zeich­net wor­den sind. So von der Bau­ers­frau, die im Ster­ben lag, aber gern noch ab­ge­war­tet hät­te, wie der »Go­cke­ler« (Turm­hahn) der aus­ge­bes­sert wer­den soll­te, glück­lich von dem ho­hen Kirch­turm her­un­ter­ge­bracht wür­de. Als es gar zu lan­ge dau­er­te, fass­te sie sich in Er­ge­bung und sag­te nur noch: Deant mir’s au nom ver­bia­da (lasst mich’s hin­über wis­sen), wenn wie­der eb­ber (je­mand) stirbt, wia’s vollends gan­gen ischt. Oder von dem Gast­wirt, der sei­ne in den letz­ten Zü­gen lie­gen­de Frau pfleg­te, und als er durch das Klin­geln der Gäs­te ab­ge­ru­fen wur­de, ihr ge­müt­lich die Hand gab mit den Wor­ten: So, jetzt komm halt vollends gut ’n­über! Fer­ner von der Wit­we des Mu­si­kan­ten, die der Lei­che ih­res Gat­ten folg­te und plötz­lich un­ter dem Wirts­haus, das der Schau­platz sei­ner künst­le­ri­schen Leis­tun­gen ge­we­sen, in den lau­ten Kla­ge­ge­sang aus­brach: O, wie oft hast du da drin­nen: Di­del­dum, Di­del­dum, Di­del­dum! (Da­bei ging der Ge­sang in die Ge­bär­de des Fie­del­strei­chens und Hüp­fens über.)

      In je­ner äl­te­ren Zeit, aus der ihre Ge­schich­ten stamm­ten, scheint im Schwa­ben­volk über­haupt noch ein Nach­klang der al­ten To­ten­kla­ge er­hal­ten ge­we­sen zu sein, denn sie er­zähl­te auch von ei­ner Mut­ter, die ih­rem Soh­ne ins Grab die fast ho­me­ri­sche Kla­ge nachrief: O du mei liebs Knecht­le (für Kind), du Zuckers­ten­gel, du sie­ben­hem­me­ti­cher (der sie­ben Hem­den be­sitzt), drei hosch g’het und vie­re hätt i dir no ma­che lau. Mit Vor­lie­be spiel­ten ihre Ge­schich­ten auf dem Got­tesa­cker, und sie lieb­te es, ih­nen, auch wenn sie noch so schnur­rig wa­ren, et­was Schau­ri­ges bei­zu­mi­schen. Au­ßer­dem wuss­te sie aber auch eine Rei­he rich­ti­ger Schwa­ben­strei­che, von de­nen ich hier ei­ni­ge mög­lichst mit ih­ren Wor­ten ding­fest ma­chen will, weil sie mir nir­gends noch ge­druckt be­geg­net sind:

       Wie’s ge­macht wird

      Her­zog Karl von Würt­tem­berg war ein großer Jagd­freund, wie auch in »Schil­lers Hei­mat­jah­ren« zu le­sen ist, und das Land­volk litt un­ter sei­ner Re­gie­rung schwer vom Wild­scha­den, ge­gen den es sich nicht weh­ren durf­te, denn es war streng ver­bo­ten, Wild ab­zu­schie­ßen. Ein Bäu­er­lein aber, dem wie­der­holt sei­ne Rü­ben und Krautä­cker ab­ge­fres­sen wur­den, wuss­te sich zu hel­fen und leg­te in sei­nem Hof eine Ha­sen­fal­le an, die so kunst­reich mit ei­ner Glo­cken­schnur ver­bun­den war, dass, so oft ei­ner vom Ge­schlecht Lam­pe sich fing, die Glo­cke von selbst das Zei­chen gab. Dann ging das Bäu­er­lein hin­aus und hol­te sich einen fet­ten Bra­ten für die Kü­che. Der Mann aber hat­te Fein­de, und die ver­rie­ten dem Re­vier­förs­ter sei­ne schö­ne Ein­rich­tung.

      Be­gibt sich der Re­vier­förs­ter zu dem Übel­tä­ter: Han­spe­ter, ich habe ge­hört, dass du dir eine Ha­sen­fal­le an­ge­legt hast. – Ja­wohl, Herr Re­vier­förs­ter, ant­wor­tet der Bau­er treu­her­zig. – Ja, weißt du nicht, dass du einen Dieb­stahl an un­se­rem Herrn Her­zog be­gehst und dass du in Stra­fe ver­fal­len bist? – Ha, sell wär’! sagt der Han­spe­ter und ver­si­chert, dass er von kei­ner ein­schlä­gi­gen Ver­ord­nung wis­se. Das scheint dem Förs­ter sehr un­glaub­haft und er setzt dem Er­staun­ten aus­ein­an­der,

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