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wis­sen­schaft­lich un­be­schwer­ten Geist, der auch ein­mal Ge­dach­tes wie­der um­denkt. »Nur wer sich wan­delt, bleibt mit mir ver­wandt.«

      Dass mei­nem Va­ter nicht nur der vol­le Dich­ter­kranz, der ihm ge­bühr­te, vor­ent­hal­ten wor­den ist, dass so­gar dem Ge­lehr­ten und For­scher Her­mann Kurz die Aner­ken­nung für sei­ne bahn­bre­chen­den Fun­de und Ent­de­ckun­gen auf wis­sen­schaft­li­chem Ge­biet Schritt für Schritt be­strit­ten wur­de, wird einen künf­ti­gen, ins ein­zel­ne ein­drin­gen­den Bio­gra­fen noch zu be­schäf­ti­gen ha­ben. 1906 schrieb mir Otto Cru­si­us, der Grä­zist und Poet: »Dass ich in Ihrem Va­ter nicht nur auf ger­ma­nis­ti­schem, son­dern gar auf klas­sisch ar­chäo­lo­gi­schem Ge­biet einen Fach­ge­nos­sen von ge­nia­ler Kraft zu ver­eh­ren habe, war mir neu. Sie ken­nen doch die en­thu­sias­ti­schen Wor­te, mit de­nen eben Furt­wäng­ler (in der Ju­bi­lä­ums­schrift un­se­rer Aka­de­mie) ihn ge­prie­sen hat als den ers­ten Ent­de­cker des Aphä­ahei­lig­tums auf Ägi­na. Die­se wis­sen­schaft­li­chen Auf­sät­ze ge­hör­ten ei­gent­lich ge­sam­melt ne­ben sei­ne Dich­tun­gen, um das Bild des gan­zen Man­nes zu vollen­den, wie Uh­lands Schrif­ten für Sa­gen- und Li­te­ra­tur­ge­schich­te.«

      Der Fund, von dem Furt­wäng­ler spricht, war nur im Vor­über­ge­hen ge­macht und teil­te das Los der an­de­ren wis­sen­schaft­li­chen Ar­bei­ten mei­nes Va­ters, von den Zünf­ti­gen zum Teil ver­ur­teilt, zum Teil nie­der­ge­schwie­gen zu wer­den! Nur zu wohl er­in­ne­re ich mich noch aus Kin­der­ta­gen die­ser Schol­len­wür­fe auf das Haupt ei­nes Le­ben­dig­be­gra­be­nen.

      Wer soll nun also die rich­ten­de Waa­ge hal­ten über einen Ge­ni­us, dem sein Jahr­hun­dert nicht ge­wach­sen war, vor dem die Li­te­ra­tur­ge­schich­te ver­sag­te und an dem so­gar der Spruch der Dich­ter­ge­nos­sen, nach ih­ren ei­ge­nen, schwä­che­ren Ma­ßen zu­ge­schnit­ten, fehl­ging? Ich den­ke, die Zeit, die ihr Got­tes­ur­teil schon da­mit ge­spro­chen hat, dass sie das Werk des Dich­ters un­ver­welkt der Zu­kunft ent­ge­gen­trug.

      Ich kann nicht ohne stil­le Trau­er dar­an den­ken, dass ich ne­ben die­sem wel­ten­wei­ten Ge­ni­us her­an­wach­sen durf­te und doch nicht an­ders an ihm teil­ha­ben als durch die schwei­gen­de Luft, die ihn um­gab, und dass ich mir spä­ter von dem ent­gan­ge­nen Erb­gut Stück für Stück, so­weit es mir er­reich­bar, al­lein er­wer­ben muss­te. War’s, dass sei­ner Na­tur je­der lehr­haf­te Zug fehl­te und er nur zu ein­ge­weih­ten Geis­tern über das spre­chen moch­te, was ihn in­ner­lich er­füll­te? Oder war’s, dass er sein Schwei­gen über­haupt nicht mehr bre­chen konn­te, hin­ter dem er das bitt­re Leid sei­nes Le­bens so streng ver­barg, dass sei­ne Um­ge­bung nichts da­von emp­fand? War’s mei­ne ei­ge­ne Schuld? Die Un­rei­fe und Scheue mei­ner Ju­gend, dass ich es ver­schob, ihn nach so man­chen Din­gen zu fra­gen, bis un­ver­se­hens die Stun­de da war, wo es kei­ne Ant­wort mehr ge­ben konn­te. – Ich habe nie be­grif­fen, dass man sich in den un­be­kann­ten Rei­chen eine Fort­dau­er in der ei­ge­nen ir­di­schen Per­sön­lich­keit wün­schen mag, da es doch nun­mehr an der Zeit schie­ne, auf eine hö­he­re Stu­fe zu ge­lan­gen und das hier Er­leb­te, bis zu Ende Ge­kos­te­te, von sich zu tun. Wenn ich mir aber doch ein Wie­der­se­hen den­ken könn­te, so wäre es mit der ru­he­vol­len Grö­ße und Güte mei­nes Va­ters, der mir ein un­er­füll­tes und un­voll­en­de­tes Stück Le­ben ge­blie­ben ist. Es war ei­ner der schöns­ten Träu­me, die ich je ge­träumt habe, dass er mir ein­mal in ei­ge­ner Ge­stalt, aber das Haupt in ein un­be­schreib­li­ches Licht ge­taucht, auf ei­nem Frie­dens­ge­fil­de schnell und freu­dig ent­ge­gen­kam; es schi­en mir, dass er mit mir zu­frie­den sei und dass er wohl wis­se, wie vie­le Lan­zen ich für ihn ge­bro­chen habe. Mir aber war bei die­ser Be­geg­nung zu­mu­te, als sei nun end­lich der alte Schmerz ge­sühnt und ihm sein Recht ge­wor­den.

      Kurz vor Aus­bruch des Welt­kriegs wur­de zwi­schen dem ju­gend­li­chen Be­grün­der und In­ha­ber des Ge­org-Mül­ler-Ver­lags und mir eine Ge­samt­aus­ga­be von Her­mann Kurz ver­ein­bart, die schlech­ter­dings ganz voll­stän­dig sein soll­te, alle dich­te­ri­schen und wis­sen­schaft­li­chen Wer­ke, Ge­druck­tes und Un­ge­druck­tes, je mehr de­sto bes­ser, die Über­set­zun­gen mit Ein­schluss des Tris­tan und so­gar des drei­bän­di­gen »Ra­sen­den Ro­land«, der »Lus­ti­gen Wei­ber« und der »Zwi­schen­spie­le«, dazu einen Band Brie­fe oder zwei, den köst­li­chen Text zu Ko­new­kas »Fal­staff und sei­ne Ge­sel­len«, ja – so weit ging die Groß­zü­gig­keit die­ses Ver­lags – auch die da­zu­ge­hö­ri­gen Sche­ren­schnit­te, um das Ver­ständ­nis des Tex­tes zu er­leich­tern. Es wäre ein ganz großes und ge­wal­ti­ges Werk von un­über­seh­li­cher Viel­sei­tig­keit ge­wor­den, das den Ma­nen des großen To­ten Ge­nü­ge ge­tan hät­te. Was dies­mal da­zwi­schen­trat, das war kein per­sön­li­cher Uns­tern mehr, son­dern ein Welt­ver­häng­nis. Und noch in den ers­ten Kriegs­mo­na­ten wur­de das Un­heil un­wi­der­ruf­lich, weil eine jähe Krank­heit den un­er­schro­cke­nen jun­gen Ver­le­ger hin­weg­riss.

      Was ju­gend­li­cher Wa­ge­mut und Op­fer­sinn ei­nes Ein­zel­nen ge­plant hat­te, ist nie­mals spä­ter zu­stan­de ge­kom­men. Wird nicht im Drit­ten Reich, das sich die Wah­rung al­ler na­tio­na­len Gü­ter zum Ziel ge­setzt hat, end­lich ein­mal eine Her­mann-Kurz-Ge­sell­schaft zu­sam­men­tre­ten, um die Ber­gung der wie Strand­gut an den Zei­tu­fern aus­ge­wor­fe­nen dich­te­ri­schen La­dung des deut­sche­s­ten Dich­ters durch­zu­füh­ren? Wer im­mer in der Zu­kunft an die­se Auf­ga­be her­an­tre­ten mag, der sor­ge da­für, dass ne­ben den er­zäh­len­den Wer­ken, die ja ein­zeln nie aus dem Buch­han­del ver­schwun­den sind, auch die längst ver­grif­fe­nen und die

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