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wie sie da­mals dem jun­gen Her­zen bei­ge­bracht wur­den, spur­los ver­narbt wä­ren. Zu­rück­hal­ten­de Mie­ne ge­gen­über der Au­ßen­welt war die dau­ern­de Fol­ge: man muss­te mich su­chen, ich such­te nie­mand. Um dem Phi­lis­ter­tum kei­nen Tri­umph über mich zu gön­nen, press­te ich mei­nen zor­ni­gen Schmerz so tief in mich hin­ab, dass er zu mir sel­ber nicht mehr spre­chen konn­te. Al­lein im un­ters­ten Grund ver­krampf­te sich et­was, das auf das see­li­sche Ge­fü­ge ein­wirk­te, so­dass ich nicht leicht an ein un­mit­tel­ba­res, un­be­fan­ge­nes Wohl­wol­len vom Men­schen zum Men­schen glaub­te und dass es im­mer­dar der stärks­ten Pro­ben be­durf­te, um mir zu be­wei­sen, dass ich wirk­lich ge­liebt war; zar­te, scheue Nei­gun­gen blie­ben über­se­hen. So konn­te sich nach­mals wie­der­holt der ge­wiss un­ge­wöhn­li­che Fall er­eig­nen, dass ein Zug des Her­zens, der in der Ju­gend den Weg zu mir nicht hat­te fin­den kön­nen, sich plötz­lich nach Jahr­zehn­ten, so­gar nach ei­nem hal­b­en Jahr­hun­dert, wie aus der Ewig­keit her­über of­fen­bar­te.

      An alle die See­len­not zu­rück­den­kend, durch die ich ge­gan­gen bin, möch­te mir zu­mu­te wer­den wie dem Rei­ter über den Bo­den­see. Aber der Gold­schaum der Früh­zeit, der da­mals alle Din­ge über­klei­de­te, ist ja eben­so gut da­ge­we­sen. So sei, be­vor ich wei­ter­ge­he, auch von die­ser Stel­le aus noch ein­mal ein Blick auf das Fest der Ju­gend im El­tern­hau­se ge­wor­fen, da­mit die ge­rech­te Waa­ge gleich ste­he zwi­schen Freu­de und Leid.

      Die Ju­gend gab in un­se­rem Hau­se den Ton an, denn es war al­les Ju­gend: die Kin­der, de­ren jun­ge Freun­de, die klei­ne be­weg­li­che Mut­ter oben­an; der erns­te Va­ter ging nur zu­wei­len gü­tig lä­chelnd durch den Raum. Bü­cher wur­den ge­leb­t, nicht ge­le­sen, und mit glü­hen­den Wan­gen um­strit­ten wie Ge­gen­wär­ti­ges. Ver­se wur­den ge­macht, von den einen wit­zi­ge, von den an­dern ge­fühl­vol­le, aber al­les auf den Au­gen­blick be­zo­gen; der da­von reich und viel­fäl­tig wur­de. Ein be­son­de­rer Sport war das Rät­sel­ra­ten. Ge­le­gent­lich stell­ten die jun­gen Leu­te eine Art Treib­ja­gen auf mich an, wer mich mit dem kniff­ligs­ten fin­ge, denn ich stand im Ruf, sie alle im Handum­dre­hen zu lö­sen. Wie­so mir das ge­riet, weiß ich nicht, ver­mut­lich weil ich mehr Lust und Zeit für Al­lo­tria hat­te als die männ­li­che Ju­gend. Im Grun­de war al­les Al­lo­tria, was wir trie­ben, war Spiel und geis­ti­ger Wild­wuchs, ohne eine Spur von In­tel­lek­tua­lis­mus, aber die geis­ti­gen Kräf­te wur­den doch ge­schärft, und der Ernst stand im Hin­ter­grund in Ge­stalt phi­lo­so­phi­scher, po­li­ti­scher, so­zia­ler Fra­gen, die letz­te­ren noch völ­lig em­bryo­nal, nur erst ge­ahnt. Dass mei­ne Aus­bil­dung auf die­sem Wege lücken­haft und dau­ern­der Nach­bes­se­rung be­dürf­tig blei­ben muss­te, liegt auf der Hand. Den­noch war, was den Brü­dern ord­nungs­mä­ßig in der Schu­le ge­bo­ten wur­de, in man­cher Hin­sicht arm da­ge­gen. Un­längst fiel mir ein frü­hes Kol­leg­heft Ed­gars in die Hän­de, worin er eine Vor­le­sung über Sapp­ho nach­ge­schrie­ben hat­te, die in ih­rer ge­dräng­ten Kür­ze gut war. Das ver­an­lass­te mich, den Ar­ti­kel Sapp­ho im »Pau­ly« nach­zu­le­sen, und ich staun­te nicht we­nig, als ich be­sag­tes Kol­leg dar­in Wort für Wort wie­der­fand. Der Pro­fes­sor hat­te sich ’s leicht ge­macht und sei­nen Schü­lern jahraus jahrein, ohne nur den Satz­bau zu än­dern, ein Stück aus der »Rea­len­cy­klo­pä­die der Al­ter­tums­wis­sen­schaf­ten« vor­ge­le­sen.

      Wer da­mals un­ser Haus be­trat, der at­me­te eine so von Ju­gend durch­duf­te­te, zu­gleich von al­len geis­ti­gen Kei­men ge­schwän­ger­te, von Er­den­schwe­re be­frei­te Luft, dass man­chem sol­ches Fern­sein vom All­tag le­bens­lang einen Glanz­punkt sei­ner Erin­ne­rung be­deu­te­te. Klei­nes mit Größ­tem ver­glei­chend, muss ich an den Vers ei­nes neu­la­tei­ni­schen Dich­ters über das Haus der Me­di­ce­er den­ken: Or­bis ter­rae in­star quod do­mus una fuit. So fühl­ten wir uns un­be­wusst mit un­se­rer Ver­floch­ten­heit und un­se­ren Ge­gen­sätz­lich­kei­ten als ein Ab­bild der Welt im Klei­nen. Ich durf­te mich als Mit­tel­punkt emp­fin­den, an den sich alle wand­ten und auf den sich al­les be­zog, wenn ich auch noch kein ei­ge­nes Eck­chen im Hau­se be­saß, an dem ich mei­ne Über­set­zun­gen för­dern konn­te, son­dern im größ­ten Durchein­an­der ar­bei­ten muss­te.

      Ich ge­noss eine Frei­heit, wie kei­ne an­de­re sie ha­ben konn­te oder sich auch nur ge­wünscht hät­te. Ich konn­te schlecht­hin tun und las­sen, was ich woll­te, und kann­te nur in­ne­res, kein äu­ße­res Ver­bot. Aufs tiefs­te dan­ke ich es mei­ner Mut­ter, dass sie mich trotz ih­rer Ängst­lich­keit nie an der Be­we­gung ver­hin­der­te; sie hat­te die ge­hei­me Vor­stel­lung, dass ich ir­gend­wie ge­feit sei. Wenn Ed­gar mich auf mei­nen Rit­ten be­glei­te­te, beb­te sie nicht für die Toch­ter, son­dern für den Sohn, für den sie seit der Ge­burt ge­bebt hat­te, weil ihr im­mer­dar eine Ah­nung sag­te, dass sie ihn wer­de ein­mal ver­lie­ren müs­sen. Mein Da­bei sein war ihr eher be­ru­hi­gend, als ob das Glück, das sie mir zu­schrieb, über­trag­bar wäre. Wel­chen Le­bens­ge­winn durch un­ver­lier­ba­re Ein­drücke brach­ten mir die­se Rit­te in mor­gend­lich damp­fen­den Wäl­dern, wo die Vö­gel eben er­wacht wa­ren, oder durch nächt­li­che, schlaf­trun­ke­ne Schwarz­wald­tä­ler, wo nichts hör­bar war als der Huf­schlag un­se­rer Pfer­de. Ein lang­auf­ge­schos­se­ner Theo­lo­ge, Freund Ju­li­us Hart­mann, pfleg­te das Ge­schwis­ter­paar zu be­glei­ten und er­leb­te mit uns hei­te­re und be­denk­li­che Aben­teu­er. Ge­le­gent­lich flog aus ei­ner Dorf­gas­se ein Stein nach mir, wo­durch die auf­ge­stör­te länd­li­che See­le ge­gen das nie­ge­se­he­ne Schau­spiel ei­ner Dame zu Pferd Ver­wah­rung ein­leg­te. Ein an­der­mal – es war an ei­nem Sonn­tag­vor­mit­tag – emp­fan­den die Her­ren an­ge­sichts ei­nes großen Dorf­wirts­hau­ses plötz­li­chen Durst nach ei­nem Bü­gel­trunk, und wäh­rend die­ser ge­reicht wur­de, sam­mel­te sich eine Kin­der­schar gaf­fend um mein Pferd, und von Gas­se zu Gas­se, wo­durch ich ge­rit­ten war, ging der Ruf: D’Kee­ni­che! D’Kee­ni­che kommt! D’Kee­ni­che isch do! Ich spiel­te mit An­stand mei­ne Rol­le als Kö­ni­gin, rief die Dorf­kin­der her­an, frag­te, ob sie auch flei­ßig sei­en in der Schu­le, was sie lern­ten, und trug ih­nen leut­se­lig Grü­ße an ihre El­tern auf. Ge­wiss habe ich durch mei­ne Herab­las­sung an je­nem Mor­gen vie­le länd­li­che Her­zen auf lan­ge Zeit glück­lich ge­macht; so leicht ha­ben es die Gro­ßen der Erde, um sich her Freu­de zu ver­brei­ten. Bloß ei­nes fehl­te bei die­sen Ge­le­gen­hei­ten zu mei­nem vol­len Glück: die Pfer­de wa­ren kein ed­les Blut, mit dem man in per­sön­li­che Be­zie­hung tre­ten konn­te, nur ab­ge­stumpf­te Miet­gäu­le, wor­auf je­den Tag ein an­de­rer saß. Ich aber ritt so halb und halb ein Traum­pferd, denn ein Ju­gend­freund mei­ner Mut­ter, ein Baron Rant­zau, der Ober­stall­meis­ter des Kö­nigs war, hat­te ein­mal ge­gen die­se ge­äu­ßert, dass es ihm leicht wäre, vom Kö­nig das Ge­schenk ei­nes Pfer­des für mich zu er­lan­gen, wenn ich es füt­tern könn­te. Ach, ich konn­te mit mei­nen klei­nen li­te­ra­ri­schen Ein­nah­men kaum noch mich sel­ber füt­tern, bloß mei­ne Klei­dung und an­de­re Son­der­aus­ga­ben be­strei­ten, aber gleich­viel, ich be­saß es nun doch in­ner­lich. Ich wähl­te es mir schwarz, weil ich blond war, nann­te es Lu­zi­fer, und es war das Pferd des Kö­nigs. – An­ders war es dann, wenn ich ne­ben dem Uni­ver­si­täts­stall­meis­ter Haff­ner auf sei­nem herr­li­chen ara­bi­schen Fuchs­hengst, dem ed­len Ab­del Ke­rim, saß, der mein See­len­freund ge­wor­den war. Dann war es ein schul- und stil­ge­rech­tes Rei­ten auf ei­nem Tier, das

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