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den Le­ben­den weilt. Ich hof­fe, sei­ne Ma­nen wer­den es mir nicht ver­ar­gen, dass ich mir nun ei­gen­mäch­tig sei­ne Zu­stim­mung an­ge­eig­net habe. Es wäre ver­lo­ckend, die Brie­fe voll­stän­dig zu dru­cken als Mus­ter ei­ner na­he­zu aus der Welt ver­schwun­de­nen Hoch­kul­tur, die im Va­ter­län­di­schen wur­zelt, aber den geis­ti­gen Be­sitz al­ler Völ­ker mit um­fasst, doch ich be­schrän­ke mich auf das, was zur Sa­che ge­hört.

      Ge­wiss ist die Wahr­neh­mung rich­tig, dass zwi­schen mei­nes Va­ters geis­ti­ger Struk­tur und der sei­ner Zeit­ge­nos­sen kein grund­sätz­li­cher, nur ein grad­wei­ser Un­ter­schied be­steht. – Es gibt ja in der Tat Dich­ter, die schlech­ter­dings von ih­rem Jahr­hun­dert nicht ver­stan­den wer­den kön­nen wie Höl­der­lin, des­sen ge­wal­ti­ger An­lauf drei Zeit­ge­schlech­ter über­schwang, dass man sei­ner eben erst wie­der an­sich­tig ge­wor­den ist. Aber es war kein Grund ge­ge­ben, dass die Kunst mei­nes Va­ters mit der ein­fa­chen zeit­lo­sen Men­sch­lich­keit ih­rer In­hal­te und ih­rer un­ver­welkli­chen Form un­be­grif­fen blei­ben muss­te. Wenn der Dich­ter zu Leb­zei­ten im Buch­han­del nicht durch­drin­gen konn­te, so liegt die Schuld ei­ner eng­her­zi­gen, by­zan­ti­ni­schen Um­welt am Tage. Mit­be­tei­ligt war die Arm­se­lig­keit des Zeit­ge­schmacks, die es mög­lich mach­te, dass Hein­rich Lau­be, dem Au­er­bach den Stoff der »Hei­mat­jah­re« zur Ver­ball­hor­nung vor­schlug, mit sei­nen al­ber­nen, durch und durch un­wah­ren, kei­nem heu­ti­gen Gau­men mehr er­trag­ba­ren »Karls­schü­lern« von der Büh­ne her­ab dem ewig jun­gen Buch den Platz ver­sperr­te. Den­ken zu müs­sen, dass Schil­lers ei­ge­ne Ju­gend­ge­nos­sen, vor­an sei­ne da­mals noch le­ben­de Schwes­ter, den »Karls­schü­lern« Lob spen­de­ten, viel­leicht nur weil sie in der Dür­re der Zeit sich freu­ten, ei­nem Schil­ler, wenn auch ei­nem grund­ver­zeich­ne­ten, auf der Büh­ne zu be­geg­nen, wäh­rend die »Hei­mat­jah­re«, in de­nen Schil­lers Ju­gend leib­haft lebt und glüht, un­ge­le­sen ver­gilb­ten! Es war Fol­ge der glei­chen Ver­derb­nis, dass ne­ben Au­er­bachs un­ech­ten, rühr­se­li­gen Bau­ern­ge­schich­ten die ech­te Dorf­no­vel­le, der aus den tiefs­ten Quel­len des Volks­tums ge­speis­te »Weih­nachts­fund« nicht auf­kom­men konn­te. – Ich wuss­te üb­ri­gens zu mei­nes Va­ters Leb­zei­ten we­nig von den ein­zel­nen Sta­tio­nen sei­nes Kreuz­wegs, er war zu fein­be­sai­tet und zu stolz, um je den Mund zu ei­ner Kla­ge zu öff­nen. Was soll man nun aber dazu sa­gen, dass nach sei­nem Heim­gang Storm den Ly­ri­ker Her­mann Kurz als un­eben­bür­tig nicht in ei­nem mit Hey­se her­aus­zu­ge­ben­den Dich­ter­buch dul­den woll­te – Storms dünn­blü­ti­ge Kunst ge­gen mei­nes Va­ters mäch­ti­gen Dich­te­ra­tem! –, und dass Hey­ses Freun­des­wil­le zwar die Auf­nah­me er­drang, aber ge­ra­de un­ter den schwä­che­ren Stücken die Aus­wahl traf? Bei­de Dich­ter konn­ten über ihre Zeit nicht hin­aus, die eine sat­te, ra­tio­na­lis­ti­sche war und für sol­che ah­nungs­tie­fen Töne wie »Die Glo­cken der Va­ter­stadt« oder das er­schüt­tern­de, fast my­thi­sche »Senkt die Ge­fall­nen hin­ab« kein Ge­hör hat­te. Ich zweifle, ob mein Va­ter selbst sich spä­ter noch be­wusst war, was er mit Ge­dich­ten wie die­sen bei­den, ja viel­leicht mit sei­nen Wer­ken über­haupt ge­schaf­fen hat­te, denn wenn sich der Ge­ni­us fort und fort mit falschem Maß­stab ge­mes­sen sieht, so muss er ja am Ende da­hin kom­men, dass er sich sel­ber nicht mehr fühlt und kennt.

      Wie steht es nun um das Gestirn mei­nes Va­ters in un­se­ren Ta­gen? Da­rauf ist zu ant­wor­ten, dass sei­ne Ge­sam­mel­ten Wer­ke in bei­den Aus­ga­ben, der neu­en Fi­scher­schen und der äl­te­ren, von Hey­se be­sorg­ten, ver­grif­fen sind, dass die ver­bil­lig­te Neu­be­ar­bei­tung der al­ten Li­te­ra­tur­ge­schich­te von Hein­rich Kurz (der so oft mit mei­nem Va­ter ver­wech­selt wur­de) von ei­nem Dich­ter­na­men Kurz über­haupt nichts weiß. Und dass in dem letz­ten Vier­tel­jahr­hun­dert Her­mann Kurz, der Dich­ter, für per­so­nen­gleich ge­hal­ten wer­den konn­te mit ei­nem gleich­na­mi­gen schwei­ze­ri­schen Ro­man­schrei­ber vom kras­ses­ten Na­tu­ra­lis­mus, da­her man im­mer wie­der in den Ka­ta­lo­gen der Sor­ti­men­ter un­ter dem­sel­ben Ver­fas­ser­na­men im bun­ten Strauß zu­sam­men­ge­stellt fin­den muss­te: Her­mann Kurz: Die Schar­ten­mätt­ler. Schil­lers Hei­mat­jah­re. Die ge­rupf­te Braut. Der Son­nen­wirt usw. (Die Ti­tel des Schwei­zers sind von mir ge­sperrt). Ge­gen den Scha­den, der hie­durch dem Na­men mei­nes Va­ters zu­ge­fügt wur­de, konn­te ich nie­mals dau­ern­de Ab­hil­fe fin­den. Zu al­lem Un­heil sei­nes Le­bens auch noch die­ses post­hu­me!

      Gibt es viel­leicht wirk­lich je­nes lau­ni­sche Nu­men, das man »das Glück« zu nen­nen pflegt und dem es nicht dar­auf an­kommt, die hohls­te Mit­tel­mä­ßig­keit für Le­bens­zeit auf den Schild zu he­ben, dem Ge­ni­us aber je­den Fuß­breit strei­tig zu ma­chen, bis er sieg­los ins Grab sinkt, ja, ihn noch über das Grab hin­aus zu ver­fol­gen? Wer sol­ches mei­nen will, braucht sich sei­nes Aber­glau­bens nicht zu schä­men, er ist in gu­ter Ge­sell­schaft: man weiß ja, dass Na­po­le­on an den wich­ti­gen Punkt nicht den fä­higs­ten Ge­ne­ral stell­te, son­dern den glück­haf­ten. Es scheint mir aber, dass man nicht im Reich der Mys­tik die Verant­wor­tung zu su­chen braucht. Der Li­te­ra­tur­ge­schich­te lag es ob, dem Dich­ter zu ge­ben was ihm das Le­ben ver­sagt hat­te. Aber auch die Li­te­ra­tur­ge­schich­te ist kei­ne gött­li­che Of­fen­ba­rung, auch sie ist von Men­schen ge­macht, von Men­schen, die über die Gren­zen des Sub­jekts nicht hin­aus kön­nen. Ein ge­fei­er­ter Hoch­schul­leh­rer kann einen ver­dienst­vol­len Dich­ter, für den ihm per­sön­lich das Ver­ständ­nis fehlt, auf lan­ge Zeit, viel­leicht auf im­mer, zu den Schat­ten wer­fen. Per­sön­li­che Miss­hel­lig­kei­ten spie­len auch eine Rol­le. Er braucht nicht ein­mal Nach­tei­li­ges von ihm zu sa­gen, blo­ßes Schwei­gen ge­nügt, da­mit die Hö­rer den Na­men über­haupt nicht ken­nen­ler­nen oder un­ter der Vor­stel­lung der Uner­heb­lich­keit. Tre­ten dann die un­selbst­stän­di­gen jun­gen Men­schen ih­rer­seits in den Lehr­be­ruf, so hat sich das Fehl­ur­teil viel­leicht schon so in ih­rem Den­ken fest­ge­rammt, dass sie es ohne Nach­prü­fung den ei­ge­nen Schü­lern wei­ter­ge­ben, die es dann spä­ter den ih­ri­gen ver­er­ben und so fort­wir­kend ver­ewi­gen. Wie wäre es sonst mög­lich ge­we­sen, dass der glän­zen­de aber ba­ro­cke Geist Fried­rich Theo­dor Vi­schers aus fest­ge­wur­zel­ter Wun­der­lich­keit sei­nen Deut­schen auf Ge­ne­ra­tio­nen hin­aus den Zu­gang zu Faust II sperr­te, das un­er­schöpf­li­che Spät­werk mit den letz­ten Blit­zen der Ti­ta­nen­kraft ob et­li­cher mat­te­rer Stel­len als Al­ters­gril­le ver­wer­fend. Vi­scher war am Stift mei­nes Va­ters Leh­rer ge­we­sen und be­wahr­te ihm von je­ner Zeit her eine Ab­nei­gung, die er auch dem rei­fen Dich­ter ge­gen­über nicht mehr ab­leg­te. Bei un­se­rer letz­ten Be­geg­nung vor sei­nem Tod be­kann­te sich der Hoch­be­tag­te vor mir aus in­ners­tem Drang der an mei­nem Va­ter be­gan­ge­nen Un­ge­rech­tig­keit schul­dig. Er war sich be­wusst, Gott­fried Kel­lers li­te­ra­ri­sche Stel­lung ge­macht zu ha­ben. Wie leicht hät­te der be­rühm­te Äs­the­ti­ker, des­sen Wort in ganz Deutsch­land und weit dar­über hin­aus über Wert und Un­wert ei­ner dich­te­ri­schen Er­schei­nung ent­schied, die Lose des ver­kann­ten Her­mann Kurz – das was man sei­nen »Uns­tern« nann­te – wen­den kön­nen. Er brach­te es fer­tig, in »Al­tes und Neu­es. Mein Le­bens­gang« die »Bei­den Tu­bus« eine »nied­li­che No­vel­le« zu nen­nen! Es war mei­nes Wis­sens das ein­zi­ge Mal, dass er sei­ner über­haupt Er­wäh­nung tat. Der hohe Schat­ten hat ihm, wie

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