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Fas­se die Se­gel, dass auch der Wind,

       Dein ir­di­scher Bru­der, wie er treibt,

       Weit weit im Flug zu­rück­e­bleibt.

       Dir ists ein klei­nes, Aar und Pfeil

       Zu über­ho­len, des Win­des Eil,

       Du küs­sest und wirst nim­mer müd

       In Ei­nem Atem Nord und Süd,

       Die Zeit selbst, die dich will be­lü­gen,

       Sie muss sich dei­nem Ge­bo­te fü­gen.

       Du sau­sest nah, du sau­sest fer­ne,

       Ach, du auch stehst im Bann der Ster­ne!

       Auch du, o Kö­ni­gin der Ge­dan­ken,

       Auch du be­siegst nicht alle Schran­ken.

       Du Hohe, die alle Welt ge­winnt,

       Du bist oft nur ein wei­nend Kind.

       Sonst könn­ten die dein Ban­ner tra­gen

       Auf Er­den ja nim­mer nim­mer kla­gen. – –

       (Aus Her­mann Kurz: Tris­tan und Isol­de)

      Nach al­lem, was ich in mei­ner Her­mann-Kurz-Bio­gra­fie und spä­ter­hin in Auf­sät­zen und Vor­trä­gen über mei­nen Va­ter er­zählt habe, ge­schieht es nur mit Wi­der­stre­ben, dass ich hier die Tra­gik die­ses Dich­ter­lo­ses, wenn auch flüch­tig, wie­der auf­rol­le und die alte Kla­ge um die noch im­mer nicht voll ge­sühn­te Schuld des Va­ter­lan­des an ei­nem sei­ner bes­ten Söh­ne aber­mals er­he­be. Doch in der Le­bens­ge­schich­te der Toch­ter kann das Schick­sal des Va­ters nicht feh­len, auf das alle spä­te­ren Ge­schi­cke der Sei­ni­gen als auf den Ur­grund zu­rück­ge­hen. Ich sel­ber habe das Gestirn mei­nes Va­ters nicht mehr im Ze­nith ge­kannt. Den ge­nia­len Dich­ter­jüng­ling, der die »Hei­mat­jah­re« schrieb, der in­mit­ten größ­ter Le­bens­nö­te, frie­rend und hun­gernd bei der Nach­bil­dung der über­mü­ti­gen Stro­phen des »Ra­sen­den Ro­land« »Feen­brot aß«, der aus strö­men­der Fül­le den mäch­ti­gen Schluss des Tris­tan schuf, die­sen muss ich wie alle an­de­ren Le­ser in sei­nen Bü­chern su­chen. Ei­nen Schmack sei­nes We­sens ga­ben mir die Kind­heits­er­in­ne­run­gen der im Jahr 1920 als Neun­zi­ge­rin ver­stor­be­nen Ma­rie Cas­part, ge­nannt Wald­fe­ger­lein, die von dem Jüng­ling als klei­nes Kind auf den Ar­men ge­tra­gen wor­den war und ihn spä­ter als zier­li­che Mi­gnon um­gau­kel­te. Es er­gibt ein köst­li­ches Bild, wie er nach ih­rer Schil­de­rung mit ih­rem On­kel Kaus­ler, sei­nem liebs­ten Ju­gend­freund, in über­le­ben­di­ger li­te­ra­ri­scher Aus­ein­an­der­set­zung be­grif­fen im Zim­mer auf- und ab­rann­te, dazu mit hef­ti­ger Ges­ti­ku­la­ti­on das Kind im Arme schwen­kend, dass der On­kel ihm är­ger­lich die Klei­ne ab­neh­men woll­te, die sich je­doch lei­den­schaft­lich an ih­ren Ge­lieb­ten fest­klam­mer­te. Gern er­zähl­te sie auch, wie er mit ihr von La­den zu La­den ging, um ihr das Bes­te und Schöns­te zu kau­fen, was ein fünf­jäh­ri­ges Fräu­lein sich wün­schen kann, wie das zart­füh­len­de Herz­chen sich aus Be­schei­den­heit wehr­te und er im Glau­ben, die Sa­chen ge­fie­len ihr nicht, im­mer neue, noch kost­ba­re­re Din­ge auf­such­te und am Ende trotz ih­res ängst­li­chen Wei­nens ein mäch­ti­ges Pa­ket zu­sam­men­stel­len ließ, das ihr ins Haus ge­tra­gen wer­den muss­te. Aus dem Schrein, der ihre liebs­ten Re­li­qui­en ent­hielt, hol­te sie mir noch ein aus je­nem La­den stam­men­des glä­ser­nes Körb­chen her­vor, das sie als kost­ba­res Erb­gut in mei­ne Hän­de leg­te.

      Noch groß­ar­ti­ger, ja in wahr­haft fürst­li­cher Groß­ar­tig­keit er­scheint der jun­ge Her­mann Kurz in ei­nem Be­richt, den Herr En­gel­brecht Wit­tig, der ge­naues­te Ken­ner des Zi­geu­ner­we­sens, aus Erin­ne­run­gen des fah­ren­den Vol­kes ans Licht ge­bracht hat – wenn näm­lich mein Ge­währs­mann, wie nicht un­glaub­lich scheint, mit sei­ner Ver­mu­tung, dass die dar­ge­stell­ten Vor­gän­ge sich auf den Ver­fas­ser von »Schil­lers Hei­mat­jah­ren« be­zie­hen, auf der rech­ten Spur ist. Das klei­ne Stück alt­würt­tem­ber­gi­scher Zi­geun­er­ro­man­tik ist so ei­gen­ar­tig, dass ich den Le­sern einen Ge­fal­len zu tun glau­be, wenn ich es die­sen Blät­tern ein­fü­ge.

      Es war im Jah­re 1914, dass ich aus De­ger­loch bei Stutt­gart einen mich über­ra­schen­den Brief von un­ge­wöhn­li­cher Sei­te er­hielt. Der Schrei­ber, eben je­ner Herr Wit­tig, gab sich als einen Ver­sipp­ten des fah­ren­den Vol­kes zu er­ken­nen, da sei­ne Frau eine spä­te Nich­te des ge­wal­ti­gen Zi­geu­ner­haupt­manns Han­ni­kel sei, ein Name, der schwä­bi­schen Ohren so klingt wie im Rhein­land der des Schin­der­han­nes. Er, der Brief­schrei­ber, habe ge­hört, dass ich die Toch­ter des Dich­ters Her­mann Kurz sei, der mit zi­geu­ne­ri­schen Bräu­chen und Über­lie­fe­run­gen wohl­ver­traut in sei­nem Ro­man »Schil­lers Hei­mat­jah­re« Ta­ten und Ende des Han­ni­kel ge­schil­dert habe, und er leg­te mir nahe, dass es ihn freu­en wür­de, das Buch zu ken­nen und zu be­sit­zen. Ich war da­zu­mal schlecht bei Kas­se, aber mein Bru­der Er­win ließ ihm durch den Buch­händ­ler die Ge­sam­mel­ten Wer­ke von Her­mann Kurz über­rei­chen, da­mit er sich aus dem »Son­nen­wirt« über­zeu­ge, dass die Zi­geu­ner­stu­di­en un­se­res Va­ters in noch um­fas­sen­de­rer Wei­se wei­ter ge­zweigt ha­ben als in den »Hei­mat­jah­ren«. Der Emp­fän­ger über­reich­te sei­ner­seits ein klei­nes auf­schluss­rei­ches Wer­klein über Zi­geu­ner­le­ben und -bräu­che aus sei­ner ei­ge­nen Fe­der, wo­nach der Brief­wech­sel für lan­ge Zeit ein­sch­lief. Nach sech­zehn oder mehr Jah­ren fand sich der in mei­nem Ge­dächt­nis ver­sun­ke­ne Brief­schrei­ber wie­der ein. Er hat­te im Schüt­zen­gra­ben und nach der Heim­kehr das deut­sche Schick­sal gründ­lich mit­er­lebt und nach Ver­lust sei­ner Fa­mi­lie und al­ler sei­ner Habe aus dem nahr­haf­te­ren Ge­wer­be der Bürs­ten­bin­de­rei in das un­ge­wis­se des Schrift­stel­lers hin­über­ge­wech­selt. Zur Be­glau­bi­gung schick­te er mir einen Aus­schnitt aus dem »Stutt­gar­ter Ta­ge­blatt«, die von ei­nem schreib­kun­di­gen Sip­pen­ge­nos­sen auf­ge­zeich­ne­te, von E. Wit­tich aus der Zi­geu­ner­spra­che über­setz­te und mit Er­läu­te­run­gen ver­se­he­ne Über­lie­fe­rung ei­nes groß­ar­ti­gen Fes­tes im Schwarz­wald, das ein­mal ei­ner Grup­pe von Zi­geu­nern der leib­haf­ti­ge Gott­sei­bei­uns ge­ge­ben. Aus den un­ge­heu­er­li­chen Über­trei­bun­gen des Zi­geu­ner­be­richts von den da­mals er­leb­ten Herr­lich­kei­ten meint der mit der Stam­mes­art wohl ver­trau­te Über­set­zer die Spu­ren mei­nes Va­ters zu er­ken­nen, wie die­ser als jun­ger Mann un­ter dem fah­ren­den Volk im Schwarz­wald auf volks­kund­li­che Aus­beu­te für die Vor­stu­di­en zu sei­nem Ro­man fahn­de­te.

      Aber ich muss den Vor­gang mit al­len gro­tes­ken Ver­zie­run­gen, wie er sich den Au­gen der Fah­ren­den dar­stell­te, her­set­zen.

      »Hat­ten da ein­mal« – eine be­stimm­te Zei­t­an­ga­be darf man nicht er­war­ten – »die Zi­geu­ner an ei­nem schö­nen Som­mer­tag mit vie­len Sip­pen und vie­len Wa­gen im würt­tem­ber­gi­schen Schwarz­wald ein La­ger mit­ten un­ter den Tan­nen auf­ge­schla­gen, näm­lich die ›Ri­klen­ge­ri‹ (Sip­pen­na­me) mit fünf Wa­gen, die ›Schnur­mi­chel‹ mit zwei, die ›Lär­li‹, der Dorns­ted­ter Hans und die ›Mo­ad­len­ge­ri‹, um dem Erst­ge­bo­re­nen der ›Moad­l‹ das Tauf­fest zu fei­ern. Sie wa­ren ge­ra­de da­bei, ein paar von den Mo­ad­len­ge­ri mit ih­rem Hund Go­de­lo ge­fan­ge­ne Igel, be­kannt­lich die Lieb­lings­spei­se des fah­ren­den

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