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ein Tep­pich üb­rig, nur dem Ein­ge­weih­ten deut­bar. Hier steht noch ein­mal der Herr d’Allè­g­re, und zwar mit­ten im päpst­li­chen Ge­mach vor Sohn und Va­ter Bor­gia. Aber nicht mit ge­beug­ten Kni­en, son­dern sol­da­tisch breit­spu­rig und selbst­be­wusst, den Schnauz­bart auf­ge­zwir­belt, als Herr der Lage. Was hat ihn her­ge­führt? Was schafft er ganz al­lein in der Höh­le des Lö­wen?

      Ein neu­er Krieg hat sich ent­zün­det und Mons­eigneur d’Allè­g­re hat nach Jah­res­frist zum zwei­ten Mal sein Heer über die Al­pen ge­führt. Er soll für Lud­wig XII. im Ein­ver­ständ­nis mit dem Papst das Kö­nig­reich Nea­pel er­obern. Un­be­kannt ist ihm das Los sei­ner ehe­ma­li­gen Ge­fan­ge­nen. Aber kaum dass er ita­lie­ni­schen Bo­den be­tritt, da er­rei­chen ihn Fet­zen ei­nes Kla­ge­ge­san­ges auf die Dame von For­li. Denn nicht ein Spott­lied ist sie ge­wor­den, son­dern die Hel­din ei­ner trau­er­vol­len Ro­man­ze, die von Ort zu Ort durch ganz Ita­li­en wan­dert. Die Sol­da­ten, de­nen der Hel­den­mut und die Schön­heit der »Dame Ca­théri­ne« un­ver­ge­ss­lich ge­blie­ben, hö­ren mit Un­wil­len, dass ihr Leid und Schimpf wi­der­fah­ren ist, denn wo­hin sie kom­men, da emp­fängt sie der­sel­be Kehr­reim:

       Schaut auf die­se jam­mer­vol­le

       Ca­te­ri­na von For­li­vi!

      Der Feld­herr stutzt und forscht und ge­rät au­ßer sich: so hat der Va­len­ti­no Wort ge­hal­ten! Aber erst in Vi­ter­bo, wo er ras­ten muss, er­fährt er von ei­nem Die­ner der Sfor­za die vol­le Wahr­heit: dass die Hel­din von For­li seit Jahr und Tag im Kel­ler der En­gels­burg schmach­tet und dass ihr Le­ben an ei­nem Fa­den hängt, denn all sei­ne an­de­ren Geg­ner, de­ren er hab­haft ge­wor­den, hat der Bor­gia be­reits in der Stil­le ver­schwin­den las­sen. Da sieht der Herr d’Allè­g­re die äu­ßers­te Ge­fahr im Ver­zug. Das Heer mar­schiert ihm viel zu lang­sam. Er wirft sich be­waff­net aufs Pferd, mit nur drei Knech­ten jagt er sporn­streichs nach Rom und un­mit­tel­bar vor das Tor des Va­ti­kans. Mit dem Na­men sei­nes Kö­nigs auf den Lip­pen schiebt er ohne Um­stän­de die päpst­li­chen Wa­chen zur Sei­te, eilt stau­big und schweiß­be­deckt wie er ist die Stu­fen hin­auf, und an den sprach­lo­sen Käm­mer­lin­gen vor­über be­tritt er un­an­ge­mel­det das in­ners­te Ge­mach Sei­ner Hei­lig­keit:

      Wo ist die Dame von For­li?

      Ce­sa­re will auf­be­geh­ren, aber er fügt sich auf einen Blick des rasch ge­fass­ten Paps­tes. Die fran­zö­si­sche Freund­schaft ist zu kost­bar, um sie an der Rau­heit ei­nes un­ge­schlach­ten Kriegs­manns schei­tern zu las­sen. Man gibt ihm gute Wor­te und sucht Zeit zu ge­win­nen, aber er lässt sich auf kei­ne Aus­flüch­te ein.

      Ich kann nicht mehr vor mei­nen kö­nig­li­chen Herrn tre­ten, wenn ich ihm sa­gen muss, dass sein ge­hei­lig­ter Name ent­weiht und sei­ne Ehre ver­letzt ist. Mei­ne Sol­da­ten glü­hen vor Em­pö­rung. Sie fol­gen mir auf dem Fuße. Ich weiß nicht, ob ich sie wer­de zü­geln kön­nen, wenn ich ih­nen nicht un­se­res Kö­nigs Schutz­be­foh­le­ne frei und wohl­be­hal­ten vor Au­gen stel­le.

      Arg­wöh­nisch hält er, in­des er spricht, die bei­den im Auge, ob nicht etwa hin­ter dem Wand­be­hang Don Mi­che­lot­to, Ce­sa­res Bu­sen­freund und Hen­ker, auf einen heim­li­chen Wink war­te, um die An­ge­le­gen­heit rasch in der Stil­le ab­zu­tun. Er weiß, von der En­gels­burg ist nur ein Schritt zum Ti­ber, der schon man­chen als Lei­che auf­nahm, der dem neu­ge­ba­cke­nen Her­zog der Ro­ma­gna un­be­quem war. Man er­bie­tet sich, die Ge­fan­ge­ne vor ihn zu füh­ren. Nichts da! Er muss selbst zu ihr, und zwar auf der Stel­le, er be­gehrt kei­ne Um­stän­de und Ze­re­mo­ni­en, er be­gehrt nur den Ein­lass.

      Es bleibt kei­ne Wahl, als ihm zu will­fah­ren, soll nicht das Bünd­nis mit Frank­reich und der Plan auf Nea­pel zu­schan­den wer­den. Atem­los, dass kei­ne ruch­lo­se Hand ihm zu­vor­kom­me, sprengt er nach der En­gels­burg.

      Un­ter­halb des Ge­machs der Bor­gia in der rech­ten Ecke des Bil­des öff­net sich eine Durch­sicht auf den Ko­loß des Ha­dri­an. Da sieht man un­ter dem Burg­tor in per­spek­ti­vi­scher Ver­klei­ne­rung den Herrn d’Allè­g­re, wie er die Ge­ret­te­te am Arm her­aus­führt mit der thea­tra­li­schen Ges­te des Fran­zo­sen, der bei sei­nem Tun vor al­lem sich selbst ge­nießt. Aber wie ist die stol­ze Dame von For­li ver­wan­delt!

      Ab­ge­zehrt, in schwar­zem, non­nen­haf­tem Ge­wand, das Haar schnee­weiß ge­wor­den, so tritt die Schwer­ge­prüf­te an der Sei­te ih­res Ret­ters in die Frei­heit. Vie­le Jah­re schei­nen hin­ter ihr zu lie­gen, seit sie zu­letzt das Son­nen­licht sah, je­der Tag der auf­ging, konn­te ihr letz­ter sein, denn noch im­mer war sie dem Her­zog im Wege. Da hat sie krank und fie­bernd, im en­gen son­nen­lo­sen Raum, Ge­richt über sich sel­ber ge­hal­ten und hat ihre Ver­ge­hen für schwe­rer er­kannt als ihre Stra­fe. Aber was ihr nach oben ge­rich­te­ter Blick aus­drücken will, ist nicht mit Si­cher­heit zu sa­gen. Sucht sie, schon nahe dem Grab, über gol­de­nen Wol­ken die Gna­de, die die Bü­ße­rin sich er­hofft? Oder ahnt sie noch ein­mal ir­di­schen Glanz – die Kro­ne von To­s­ka­na auf dem Haupt ei­nes En­kels, durch den ein­mal Blut von ih­rem Blu­te in al­len Herr­scher­häu­sern Eu­ro­pas flie­ßen wird?

      Es ist nicht ge­fahr­los, Geis­ter zu ru­fen, auch nicht für den Ein­ge­weih­ten. Da­mit sie er­schei­nen, muss er ih­nen von sei­nem Blu­te zu trin­ken ge­ben, das miss­brau­chen sie und las­sen ihn er­schöpft und blut­leer zu­rück. Dass er die zwei feu­er­spei­en­den Dra­chen mit sei­nem Blu­te ge­nährt hat, nimmt dem Ru­fer für den Rest der Nacht die Ruhe. Ihr wild­brau­sen­des Le­ben hat sich ja nicht wie eine matt­ge­wor­de­ne Wel­le am Ufer nie­der­ge­legt; sol­che Wel­len un­bän­di­gen Le­bens­wil­lens um­lau­fen die Erde, weiß Gott, wie vie­le Male, ehe sie auf den Le­ben­den tref­fen, an dem sie sich bre­chen und ih­ren In­halt aus­gie­ßen kön­nen. Dann trei­ben sie’s noch ein­mal aus dem Vol­len wie im stür­mi­schen Ablauf ih­rer ei­ge­nen Tage; ihre Bil­der sind nicht mehr blo­ße Bil­der, zwei­di­men­sio­na­le Sche­men, sie wer­den ih­nen zum neu­en Le­bens­raum für ihre un­ge­still­ten Trie­be. Dem Wan­de­rer klopft das Herz zum Zer­sprin­gen, das Zim­mer ist für ihn noch ganz voll von dem ge­schau­ten Spuk. Am liebs­ten stie­ge er durchs Fens­ter hin­un­ter und über die Park­mau­er, um in die bal­sa­mi­sche Nacht hin­aus­zu­wan­dern. Aber für einen Sprung ist es hier oben zu hoch, und zum Hin­un­ter­klet­tern feh­len im Mond­schein die si­che­ren Trit­te. So bleibt nichts üb­rig, als sich wie­der zu Bet­te zu le­gen, wo ein auf­ge­reg­ter Halb­schlaf ihn in un­zu­ver­läs­si­gen Ar­men her­um­wälzt. So oft es in ihm stil­le wer­den will, be­wegt sich die Dra­chin von der Wand, um sich männer­gie­rig auf ihn zu stür­zen; es hat ihr wohl zu lan­ge an Lie­bes­aben­teu­ern ge­fehlt, gan­ze vier Jahr­hun­der­te und mehr. Ein­mal da ihn ein stär­ke­rer Luft­zug vom Fens­ter her traf, spür­te er schon ih­ren stäh­ler­nen Pan­zer auf sei­ner nack­ten Brust. Dann wie­der sah er in ei­ner Ecke des Saa­l­es die rüh­ren­de Ione ste­hen, mit pul­ver­ge­schwärz­tem Ge­sicht und to­destrau­ri­gen Au­gen, sei­ne Ione, die er liebt wie der Künst­ler sein Werk, denn er, nicht der Ma­rullo, hat sie ge­zeugt. Und das Leid um sie würgt ihn im Hal­se. Er hät­te um sie wei­nen kön­nen – warum? Weil er sie hat ster­ben las­sen müs­sen? Oder weil sie nie ge­lebt hat? Er weiß es nicht, aber ein stil­les Heim­weih nach ihr, in der sei­ne zärt­lichs­ten Träu­me Ge­stalt ge­wor­den wa­ren, wird ihn in den wachs­ten Tag hin­über­be­glei­ten.

      1 Wie ein to­ter Kör­per fällt

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