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in Scharen vorkommt.

      Der Schuß knallte, und der schwarze Vogel sank wie vom Blitz getroffen in das Geröll.

      »Weshalb?!« fragte ich erstaunt.

      Boche Boche drehte sich um, nickte mir zu und kletterte rasch in den Kahn der Feuerländer hinab, dessen rohe Planken innen noch die dicken schwarzen Blutkrusten der nächtlichen Metzelei zeigten, an die ich ungern zurückdachte, denn in jenen Minuten, wo ich wie ein Berauschter auf die Flüchtlinge gefeuert hatte, war mir das Verständnis für den in jedem Menschen schlummernden tierischen Vernichtungstrieb aufgegangen, der im Weltkrieg so furchtbare Orgien auf Geheiß einiger kaltherziger Diplomaten gefeiert hatte, – und dieser meiner Schwäche, nun selbst diesem Tierischen unterlegen zu sein, schämte ich mich.

      Der Kamerad löste die Leine des Kahnes, griff zu den Rudern und trieb das schwere Fahrzeug ans Ufer, bückte sich, hob etwas Weißes auf und trat die Rückfahrt zum Kutter an.

      Das Weiße, nein, das Grauweiße war ein kleines angeschmutztes Taschentuch mit schmalem Spitzenrand. Die eine Vorratskiste des Torstensen enthielt einige Dutzend gleicher Damentaschentücher.

      Boche Boche zeigte mir das Tüchlein. »Der Rabe, Olaf, kam von Nordost über die Randhöhen der Bucht mit diesem Tuche im Schnabel dahergeflogen. Ich sah, daß es ein Damentüchlein war. Und ein flüchtiger Gedanke ließ mich diese Beute des diebischen Raben mit Gerda Arnstörs Person in Verbindung bringen.«

      Ich schaute ihn an. Er hatte den Namen, vor dem er sich fürchtete, soeben nun doch über die Lippen gebracht. Sein Blick ruhte in dem meinen. »Olaf, ich habe mir Doktor Jörnsens unklare Angaben genau überlegt. Und das war gut. Meine Verzweiflung entwich vor dieser ablenkenden geistigen Arbeit. Die Jörnsens leben, und auch Gerda Arnstör lebt, und alles, was wir ihr als Schuld zugemessen haben, ist unserseits ein grober Irrtum. Wir werden sie suchen, die drei. Und wir werden sie finden. Der Rabe kam von Nordost. Dort müssen wir also suchen, dort hat er irgendwo das Taschentuch erwischt, das freilich ebensogut Frau Helga gehören kann, obwohl … – bitte, was sagt dir deine Nase?! Hast du jemals an der schmierigen Alten Parfüm wahrgenommen?!«

      Da roch ich ebenfalls den zarten Duft von Parmaveilchen. Und blitzartig kam mir die Erinnerung: Nach Parmaveilchen hatte Gerda Arnstörs Schlafzimmer geduftet, sie selbst, als sie neben mir damals nachts im Auto gen Trelleborg jagte.

      Ein verträumtes Lächeln war auf des Kameraden gerötetem Gesicht erschienen. »Olaf, ich kenne dieses Parfüm … Und dieser liebliche Duft der Veilchen hat mir abermals einen kurzen Einblick in die geschlossene Kammer meines Hirns gewährt. Olaf, ich hoffe wieder …! – Komm’ essen wir. Und dann Anker herauf, dann die Suche nach den dreien und ihrem Geheimnis – – und nach meiner Vergangenheit!«

      Wie sehr hatte ich mich doch vorhin getäuscht! Mir hatte ich eine Verantwortung eingeredet, und nun hatte der Kamerad genau wie mit der Gefangennahme Erik Jörnsens den Dingen eine entscheidende Wendung gegeben!

      Boche Boche war und blieb wie ausgewechselt. Bei Tisch hieb er mit einem beneidenswerten Appetit ein, und er war gesprächig, lebhaft, voller Unternehmungslust wie nie bisher. Ich merkte, daß die Fesseln, die gewisse Zentren seines Gedächtnisses umklammerten, sich gelockert hatten. Er sprach über die Ereignisse in Punta Garras mit der klaren Logik eines Menschen, der verworrene Fragen spielend leicht bewältigt. Er bewies mir haarscharf, daß Gerda niemals von dem Fünfmaster zum Kutter geschwommen sei … »Sie hat dich angeführt, Olaf … Sie war auch nie eine Verbündete Doktor Jörnsens! Überlege dir, daß dieser verkommene Mensch damals, als du ihn nachher am Kragen nahmst und in die Taxushecke warfst, Gerda bedrohte, etwas von ihr erpressen wollte. Wie sollte sie also sich dann mit ihm gegen die Jörnsens zusammengetan haben?! – Was hörtest du damals von dem Gespräch der beiden …? Erzähle es mir …«

      Ja – wenn ich nur gewußt hätte, was der Mensch von Gerda eigentlich gewollt hatte! Ich hatte ja so wenig von den rasch hin und her fliegenden Worten und Sätzen verstanden!

      Boche Boche schüttelte ärgerlich den dick verbundenen Kopf. »Etwas mußt du doch behalten haben! Etwas!«

      »Ja – einen einzelnen Satz: Gerda rief Erik Jörnsen weinend zu, daß sie ihm beim heiligen Gott nichts mehr aushändigen könne … Er wollte also offenbar Geld erpressen. Anderseits wird diese meine Vermutung wieder dadurch widerlegt, daß vorher das Wort »Briefe« von seiner Seite gefallen war. – Es tut mir leid, Kamerad, aber ich vermag über diesen Punkt wirklich nichts mehr anzugeben.«

      Wir waren mit dem Essen fertig. Boche Boche drängte zum Aufbruch. »Wir müssen das sonnige Wetter und den günstigen Wind ausnutzen … Nachts kann es schon wieder stürmen, und dann sind diese Kanäle draußen vielleicht die Hölle …«

      Die Anker gingen hoch. Der Schlußtrunk der Mahlzeit, Kognak, ein ganzer Becher, hatte uns zu Riesen gemacht.

      Den Kahn der Feuerländer im Schlepp, verließen wir die Bucht. Es war heiß, und jeder Luftzug war eingeschlafen. Neugierige Robben glotzten uns nach. Eine Fischotter, in diesen Gewässern überaus häufig anzutreffen, kreuzte mit einem Riesenlachs im Maule unseren Kurs. Des Kameraden Hoffnungsfreudigkeit hatte mich angesteckt. Wir wären auch ohne Kognak in gehobener Stimmung gewesen. So umrundeten wir die Insel zunächst nach Nordost in halber Fahrt. In jede noch so kleine Bucht liefen wir ein. Riffe bedrohten uns. Wir mußten dauernd auf der Hut sein, daß wir nicht Schiffbruch erlitten. Boche Boche steuerte, und ich stand vorn und prüfte das Fahrwasser. Trotz der Windstille machten sich die unheilvollen, unberechenbaren Strömungen überall bemerkbar. Unsere gehobene Stimmung ging allmählich in erwartungsvolle Nervosität über, denn die Nordostseite der Insel war eine Enttäuschung. Aber nach Nordost lagen noch zwei andere Inseln, nur durch schmale Kanäle getrennt, – Inseln, die noch unwirtlicher, noch höher waren als unsere Bucht-Insel. Trotzdem setzten wir erst mal die Umrundung fort. So wurde es acht Uhr, als der Kamerad mir von achtern zurief, jetzt die beiden anderen zu durchforschen. Die Sonne sank. In spätestens zwei Stunden war es dunkel. An schroffen Steilküsten des westlicheren Felseilandes glitt nun der Kutter entlang. Da auch diese Eilande mit zu Santa Ines gehörten, konnte uns auch Holger Jörnsens gestriges Geständnis, Santa Ines sei das Endziel, nicht irre machen. Von der Hauptinsel hatte er nie direkt gesprochen.

      Der Motor ratterte, und ich als Ausgucksmann starrte angestrengt in die grüne leicht gekräuselte Flut, sog hastig an der vierten Zigarre und staunte über diese himmelhohen Wände, die jedem den Zugang ins Innere verwehrt hätten.

      »Scharf Backbord!« brüllte ich Boche Boche zu. Einzelne hohe Klippen wuchsen aus der Tiefe empor wie ein granitener Zaun vor einer granitenen Burg.

      Mit einem Male beugte ich mich noch weiter über die Reling …

      Links öffnete sich die Steilwand zur schmalen Einfahrt, und gerade hier traten auch die Steinpfähle weiter auseinander …

      Das war nicht das wichtigste …

      Anderes fesselte meinen Blick. Auf dem Wasser schwammen ölige, bläuliche Streifen …

      Gerade in der Einfahrt …

      »Scharf Steuerbord,« schrillte meine Stimme … »Dort hinein, Boche Boche!«

      Er nickte, und der Torstensen schwenkte herum.

      Ich stiere auf die Wasseroberfläche …

      Der Ölfleck schaukelt vor uns. Nun zerteilt unser Bug ihn … Da – ein neuer, kleinerer.

      Der Kutter fährt langsamer. Diese Bucht hier ist etwa dreißig Meter breit, geschlängelt wie ein Gebirgsbach, der den Hindernissen ausweicht …

      Wieder ein Ölfleck …

      Öl – nur von einem Dampfer oder Motorschiff … Woher sonst?!

      Weiter …

      Krümmung an Krümmung … Rechts und links Granitmauern, in Spalten einzelne Dornbüsche, einzelne Grasflächen …

      Weiter …

      Noch eine scharfe Biegung, und keine zwanzig Meter vor uns das Ende der Bucht …

      Kein Schiff … Nur

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