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hier. Gib acht, daß der Mann nicht den Kahn drüben holt …«

      »Gut so … Geh’ nur …«

      Die Jörnsens sind nicht an Bord. Das ist schnell festgestellt. Als ich wieder an Deck komme, meldet sich unser Mann auf seine Weise. Mit feinem Singen streicht dicht an meiner Nase ein Geschoß vorüber, so dicht, daß ich den Hauch der verdrängten Luft spüre.

      »Hinwerfen!« brülle ich dem Kameraden zu. Der hat den Schuß vom nahen Ufer gerade gegenüber unserer Anlegestelle ebenso deutlich gehört wie ich.

      Wir liegen hinter der Steuerbordreling und mustern vorsichtig die zerklüfteten, von der Mondsichel schwach beschienenen Uferpartien. Unmöglich, dort einen versteckten Menschen herauszufinden.

      »Das hat man für seine Nachsicht,« brummt Boche Boche wütend. »Nun können wir hier Schnecken spielen und kriechen … Der Bursche löscht uns aus, wenn wir die Köpfe hochrecken.«

      Ich habe vorhin geschlafen. Ich habe diese Nachlässigkeit wett zu machen. »Oder ich lösche ihn aus,« sage ich mit allem Nachdruck. »Ich werde an Land schwimmen, nehme die Büchse mit. Der Feind ist lahm. – Ich tue es … Es ist gar keine Gefahr dabei.«

      »Es wäre das richtigste, Olaf … Wenn ich völlig bei Kräften wäre, würde es mir ein Spaß sein, den Kerl aus nächster Nähe zu betrachten. Spare die Kugel. Wir müssen ihn lebendig haben.«

      Eine zweite Feuertaufe … Der Gegner hat meinen Kopf erspäht … Und neben mir klatschen seine Geschosse ins Wasser – hier, dort … Doch auch Boche Boche feuert, hat wohl das Aufblitzen der Schüsse gesehen, macht dem Burschen das Zielen schwer … Dieser Steinkessel von Bucht hallt wider von dem hellen Klang der Repetierbüchsen – ein förmliches Feuergefecht …

      Als ich den hochbordigen Kahn der Feuerländer erreicht habe, als ich ihn abschleppe und vor mich her zum Kutter stoße, verstummt der Lärm der Schüsse. Ich beeile mich. Das Wasser ist kühl, aber nicht kalt. Es erfrischt. Meine Lebensgeister sind munterer, tatenfroher denn je. – Über die Reling wirft Boche Boche mir eine Leine zu. Ich vertäue den großen Kahn, und dann lasse ich mir die Zeit und ziehe mich an der Bordwand hoch. Vier stille Gestalten am Boden – vier. Also waren’s mit dem Weißen doch fünf gewesen.

      Dann schwimme ich zurück, wähle als Ziel eine schmale Felszunge mit hohem Geröll, das mich genügend schützt.

      Im Osten zeigt sich über den Randhöhen der Bucht der erste fahle Schein der Dämmerung. Der neue Tag bricht an. Der Tag, an dem sich alles klärt, der Tag der Überraschungen, der Freude …

      14. Kapitel

       Der Frieden des Todes

       Inhaltsverzeichnis

      Ich habe nur Unterkleider an, nur wollene Strümpfe. Die Repetierbüchse, die ich mir im Nacken festgebunden hatte, kann ich nicht vor Nässe schützen. Sie wird trotzdem nicht versagen. Ich krieche im Geröll entlang, die entsicherte Waffe in der Rechten. Wenn der Feind es überhaupt wagt, mir aufzulauern, dann habe ich ihn hier in der Nähe zu erwarten. Ich bin vorsichtig. Man hat nur ein Leben zu verlieren, und ich möchte zum mindesten noch erfahren, was Jörnsens unverständliche Geheimniskrämerei auf sich hat und was aus Gerda geworden. – Gerda … Die Gedanken an sie sind nicht zu verscheuchen. Nicht zu vergessen sind die drei Tage, wo sie in meiner nächsten Nähe schlief und wo die Liebe mir zusetzte.

      Es wird rasch heller. Die Mondsichel verblaßt, die Sterne erlöschen … Das Vorgelände ist auf fünfzig Schritt bequem zu überschauen. Nach einer halben Stunde stehe ich einsam auf der höchsten Spitze der südlichen Buchthöhen und lasse mich von den ersten Sonnenstrahlen umspielen. Der warme Wind vom Pazifik trocknet mein Unterzeug. Meine Strümpfe haben keine Sohlen mehr. Meine Füße sind wund vom scharfen Gestein. Wo ich hintrete, bleiben Blutflecken.

      Aber der Wille ist alles. Schmerzen sind nichts, wenn man inmitten von solchem Erleben dahinschreitet.

      Mein scharfer Blick prüft die Insel, tastet jede Einzelheit ab. Schimmernde Wasserstraßen ringsum, Insel an Insel. Nach Süden zu die Gestade und Gebirgsmassen von Santa Ines – so nah, daß eine Kugel gegen die Steilküste klatschen würde. Von dem Gegner nichts – gar nichts … Und ihn in dieser Steinwildnis suchen: Stecknadel im Heuschober! Ich habe mir diese Jagd auf einen Blessierten doch zu leicht vorgestellt. Ich wende mich um, und unter mir im Buchtbecken der Kutter, Boche Boche an Deck, erledigt Seemannsbegräbnis, wirft die Toten über Bord, jeder mit einem kleinen Sandsack an den Füßen. Er hat mir schon vorhin zugewinkt, winkt wieder, klettert in den Kahn hinab und treibt ihn zum Ufer. Ich beginne den Abstieg. Unzufrieden, enttäuscht und voller Sorgen, was die Jörnsens betrifft. Vielleicht leben sie nicht mehr. Vielleicht hat unser Mann sie wirklich abgetan, und die Leichen schwimmen irgendwo in den Kanälen.

      Der Kamerad empfängt mich mit der trockenen Bemerkung, daß auch die beiden Verwundeten inzwischen hinüber sind. »… Die vier im Kahn waren tot … Der eine hatte drei Schüsse. Das Wurfmesser, Olaf, das über deinem Bett in der Wand steckt, rechtfertigt dieses Blutbad … Trotzdem: arme Kerle! Verführt durch den, der unseren Alten marterte.«

      Wir behalten die Umgebung dauernd im Auge. Kehren auf den Torstensen zurück und lichten die Anker, wechseln den Liegeplatz. Mitten in der Bucht sind wir sicherer.

      Die Sonne lacht heiter auf uns herab, als wir Körper und Geist, die an der Grenze ihrer Leistungsfähigkeit angelangt sind, auf der Großluke sitzend durch ein derbes Frühstück und pechschwarzen Kaffee und Kognak anfeuern. – »Wenn die Jörnsens bis mittag nicht wieder da sind, suchen wir sie, Olaf …«

      »Und jetzt legst du dich nieder – auf jeden Fall! Schau’ mal in den Spiegel! Quittengelb bist du, und die Ränder um die Augen sollten dich gleichfalls warnen.« –

      Er ist verständig genug zu gehorchen. Nach drei Stunden, um zehn, will ich ihn wecken. Er verschwindet in der Back.

      In meinem Blut arbeitet der Alkohol. Trügerische Frische macht mir die Augen blank. Ich steige in die Heckkajüte hinab. Will einmal nachsehen, ob dort irgend etwas auf einen Überfall hindeutet. Aber die Kojen des Ehepaares sind unberührt. Die Decken liegen glatt, und es fehlen zwei Büchsen und zwei Pistolen. Es wird schon so sein: die drei Patagonier haben die beiden abgeholt – in aller Stille …

      Wieder an Deck …

      Wunderliches Land …! Die Sonne brennt wie im schwedischen Hochsommer, wenn Stockholms Felsenhafen unter dreißig Grad schwitzt. Wunderliches Land …! Gestern Eisbahn an Deck, heute rauchen die feuchten Deckplanken …

      Ich lehne am Rade, die Büchse im Arm, die Zigarre im Munde … Mein halb berauschtes Hirn zeigt mir die seltsamen Bilder dieser Abenteurerfahrt: Boche Boche und ich auf dem Floß in der Ostsee, das Auftauchen des Torstensen, der Zettel im alten Schweinslederschmöker … Boche Boches Wutanfälle auf die Drecksau … Das Kabinettbild, und Jörnsens Pistole dicht vor meiner Stirn … Panama, unser Mann … Gesang, Gitarrenspiel … Landung in Iquique, Einkäufe dort … Punta Garras … und so weiter: Merkpunkte der Reise nach Ultima Thule, Merkpunkte der ungelösten Rätsel!

      Gerda …!! Gerda und der Kamerad!! Der Kamerad, der das Wissen fürchtet … Gerdas wegen!

      Und das Ende nun?! Der Ausgang all dieses?!

      Wenn unser Mann mit seinen gedungenen Robbenfressern die Patagonier und die Jörnsens hat verschwinden lassen, wenn wir ihn nicht finden, dann wird der Vorhang nie gelüftet werden – nie! Die Aussicht, selbst bei eifrigstem Suchen den Ort hier zu finden, der das Endziel ist, dürfte äußerst gering sein. Gewiß, wir haben Zeit … Wir können die Inseln und die Gestade von Punta Ines durchstöbern, und wenn’s Monate dauert. Aber – etwas finden, von dem man nicht einmal ahnt, wo es sein könnte – eigentlich ein zweckloses Unterfangen!

      Das sind so meine Gedanken über unsere Lage. Es sind nüchterne Gedanken, die sich den Umständen anpassen. –

      Ich ziehe die Uhr aus der Hosentasche.

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