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Gupa war daran gewöhnt, daß ich in kritischen Momenten stets allein handelte. Tübbicke dagegen paßte mein Ton nicht. »Vergessen Sie nicht meine Jahre, Mr. Lensen!!« — aber er lächelte dabei unsicher und fügte von selbst hinzu: »Die Berufung auf mein Alter ist allerdings sehr fadenscheinig begründet. Man schätzt mich meist auf fünfundvierzig ein …Gut, hier in diesem Falle gebe ich nach, obwohl …«

      Ich wanderte weiter, Tübbickes Nachsatz entging mir daher. Der Paß wurde schmaler, je höher ich kam. Aber die Fernsicht war dafür auch derart bezaubernd, daß ich fast den eigentlichen Zweck dieses steilen Anstiegs vergaß. Noch nie hatte ich die höchsten Zacken des Wadi Arabah in so intensiv violettem Schimmer gesehen wie heute, noch nie war in mir der Gedanke an ihre entfernte Aehnlichkeit mit dem freilich weit großartigeren Ausblick vom Grat des Zugspitzmassivs so eindringlich aufgetaucht wie jetzt.

      Dann wurde die Terrasse wieder breiter, das Geröll füllte sie wie mit Riesenkieseln, und … zehn Meter noch: Hier hatten die Gegner in Deckung gelegen, hier, wo der Paß in scharfer Krümmung nach Norden abbog, fand ich eine Blutlache, Patronenhülsen und ein blutgetränktes Taschentuch von feinstem Leinen mit bunter Kante, ein Herrentuch.

      Ich rührte nichts an. Ich wollte erst einmal sehen, ob der Gegner wirklich nur mit der Sprengung sich begnügt haben sollte. Mit größter Vorsicht bewegte ich mich weiter, meine Augen, durch die wochenlange Untätigkeit in freier Natur vielleicht ein wenig eingeschläfert, gewannen die frühere Schärfe und das rasche Erfassen jeder Einzelheit zurück.

      Ich hielt den Schild nun schräg, — ich kam um die Biegung, blickte den Paß abwärts, in der Tiefe lag eine enge Schlucht, schon mehr ein Canon, und dann sah ich auch die durch die Explosion zerstörte Stelle. Ich erkannte, wie klug die Gegner gerade den Platz gewählt hatten. Das Gestein mußte sich dort nach innen gewölbt haben, die Stelle mußte einer an die Felsen geklebten Brücke geglichen haben, und diese Brücke war in einer Breite von vier Metern verschwunden, der Paß, die Terrasse hatte ein Loch, und nur einzelne Zacken und Wülste ragten noch aus der senkrechten Wand hervor.

      Wenn irgendwo, dann lauerte die Gefahr dort vor mir — dicht vor dem zerstörten Paß. Wäre ich in der Lage unserer Feinde gewesen, hätte ich Verfolger nicht nur aufhalten, sondern auch vernichten wollen, dann würde ich damit gerechnet haben, daß der Feind hinter mir erst einmal die Wirkungen der Explosion genau in Augenschein nehmen würde — eben prüfen würde, ob es nicht eine Möglichkeit gäbe, dennoch irgendwie über den Abgrund hinüberzukommen und einen zeitraubenden Umweg zu ersparen.

      Menschen, die in engster Verbundenheit mit der Natur leben, eignen sich mit der Zeit eine über- Lensen, Mylady … Ihr Name ist mir gänzlich

      an, eine Art sechsten Sinn. Auch hierin sind uns die Tiere über, denn gerade sie meiden instinktmäßig jede Falle, und es bedarf schon großer Kunstfertigkeit, Erfahrenheit und Ausdauer, zum Beispiel einen scheuen Wüstenwolf durch einen Köder ins Verderben zu locken.

      Ich beäugte die kritische Stelle. Ich tat keinen Schritt, bevor ich nicht das Geröll untersucht hatte.

      Ich stellte den Schild weg. Meine Armmuskeln waren steif durch das Tragen der schweren Steinplatte geworden, die Finger schmerzten, der Schweiß rann mir über das Gesicht, ich war hier der prallen Sonne ausgesetzt, und das Gestein war schon derart durchhitzt, daß es einer glühenden Kesselwand glich.

      In sehr verdächtiger Weise lehnte da ein langer Felssplitter am Abhang. Das untere Ende lag auf einer kleinen Felsplatte auf, unter der ein Stein wie bei einer primitiven Wage einen Stützpunkt in der Mitte der Platte bilden mußte: Die Platte lag durch den Druck des Steinsplitters schräg.

      Das sah ja auf den ersten Blick sehr harmlos aus: Ein Zufall konnte diese Mausefalle zusammengefügt haben — konnte. Aber unter diesem hochgedrückten Teil der Platte blinkte es zwischen dem feinen Steinschutt metallisch. Ich bückte mich. Ein Taschenfeuerzeug war da zwischen Steinen so festgeklemmt, daß der Knopf, der das Hartstahlrädchen in Bewegung setzte, von der Platte getroffen werden mußte, sobald man etwa diese mit dem Fuße niederpreßte oder auch nur der lange Steinsplitter umfiel und dadurch die »Wage« zurückkippte. Eine höllische Einrichtung!!

      Das hatte niemals ein Beduine ersonnen, niemals irgendein farbiger Bewohner Aegyptens, das war so zweifellos das Werk eines Europäers, wie auch das blutige feine Taschentuch droben und dieses goldene Feuerzeug einem Weißen gehört hatten!

      Aber, — diese Falle zeigte, je mehr ich hinter ihre Eigentümlichkeiten durch vorsichtiges Wegräumen der Platte, des Steinsplitters und des Gerölls kam, noch weitere eindeutige Besonderheiten. Dicht an dem Zündstein lag das aufgerauhte Ende einer Zündschnur, die man noch mit Schwarzpulver eingerieben hatte. Sie führte, kaum zehn Zentimeter lang, zu einer Dynamitpatrone, die vollkommen mit Steinen umhüllt war.

      Welche Wirkung diese Höllenmaschine gehabt hätte, konnte gerade ich als einstiger Ingenieur mir unschwer ausmalen. Das Geröll ringsum hätte wie ein Hagel von Geschossen weithin alles zerschmettert. Wären Tübbicke, Gupa und ich blindlings hierher vorgedrungen, wäre von uns nicht viel übriggeblieben. Zerfetzt hätten wir dort unten im Abgrund gelegen, — wo nun der arme Teufel ruhte, der, vielleicht verlockt durch das Geld des satanischen Weißen, hier durch eine Kugel den Tod gefunden hatte.

      Ich schob die Dynamitpatrone in die Tasche. Sie war ja so weit ungefährlich. Das goldene Feuerzeug trug den Stempel eines Londoner Juweliers und unter einem eigentümlichen Wappen das verschlungene Monogramm

      J. C.

      J. C. … ?!

      Etwa Jane Cordy?! Ich mußte über meine eigene Torheit lächeln. Ich hatte ja das Kugelloch in Myladys Tropenhelm gesehen. Ich hatte selbst den Schützen verletzt, — das bewies das Taschentuch. Der Mann mit dem Tuareg-Gesichtstuch war ein Europäer gewesen.

      Wer?!

      Eine Hand legte sich auf meine Schulter. Hinter mir stand der jugendfrische, lächelnde Sechzigjährige, Adolar Tübbicke. Seine derben Stiefel hatte er mit den Senkeln zusammengebunden und über die linke Schulter geworfen. Auf farbigen Sportsocken war er herbeigeschlichen, — und allerhand Hochachtung vor seiner Fertigkeit im Anschleichen: Ich hatte nichts gehört!!

      »Das hätte drei Begräbnisse gespart, Mr. Lensen …!« und er deutete auf das Feuerzeug und auf meine Tasche. »Viel verstehe ich als Büromensch nicht von solchen Dingen, aber als früherer Soldat reime ich mir das Nötige schon zusammen.«

      Ich schaute ihn belustigt an.

      »Sie wollen Rechnungsrat im Ruhestande sein?!« Ich sprach jetzt deutsch, und auch das brachte ihn nicht weiter außer Fassung.

      »Daß Sie kein Londoner Gewächs sind,« meinte er ironisch, »merkte ich schon an Ihrem ganzen Gehabe.«

      »Ihr feiner Riecher für Nationalitätszugehörigkeit ist verblüffend!«

      »Die Kerle haben ziemlich ungenügend gesprengt,« sagte er mit einem Blick auf die Lücke in der Terrasse. »Wetten, daß wir unsere Tiere hier nach einer Viertelstunde in aller Sicherheit hinüberführen?!«

      »Ich wette nur auf Ja, denn auch ich sehe die übriggebliebenen Zacken und die Spalten im Gestein. — Hallo, Gupa!!«

      Der Mongole näherte sich schnell. Wir begannen sofort passende lange Steine in den Spalten festzukeilen. Paßten sie nicht, so schlug Gupa sie zurecht. Adolar, vor dem ich immer mehr Respekt bekam, half so eifrig und so geschickt, daß ich abermals die Bemerkung hinwarf, sein Beruf sei wohl kaum der Büroschemel und der Amtsschimmel gewesen. Ich betonte Schemel und Schimmel, ich sprach wieder deutsch, er lachte herzlich, er hatte wirklich eine geradezu erquickende Art an sich.

      Als wir nun große Platten herbeischleppten, — als Brückenbelag —, als diese Brücke von uns auf ihre Tragfähigkeit vorsichtig probiert wurde, erschien Lady Cordy mit meinem Hunde an der Leine und musterte wortlos unser Werk, folgte uns dann ohne weiteres über die etwas wackeligen Platten und zeigte dabei eine so stolze Verachtung jeder Gefahr, daß Tübbicke sehr zwanglos meinte: »Man scheint über die Königin der Bischarin nicht zu viel, eher zu wenig Gutes geredet zu haben, Mylady!«

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