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und steigerte sich bei mir zu der Sorge, daß wir vielleicht zu spät kommen könnten.

      [pg 21]

      Diese Besorgnis erwies sich bald als unnötig. Der Kanonendonner wurde, nachdem wir aus dem Elbtal heraufgestiegen waren, immer deutlicher hörbar. Auch sahen wir gegen 11 Uhr einen höheren Stab zu Pferde auf einer Anhöhe neben unserem Wege halten, sorgsam durch die Ferngläser nach Süden spähend. Es war das Oberkommando der 2. Armee, an seiner Spitze unser Kronprinz, der spätere Kaiser Friedrich. Sein damaliger Generalstabschef, General von Blumenthal, hat mir nach Jahren über diesen Augenblick folgendes erzählt:

      „Gerade als die 1. Gardedivision auf unergründlichen Wegen an uns vorbeizog, bat ich den Kronprinzen, mir die Hand zu geben. Als dieser mich daraufhin fragend anblickte, fügte ich hinzu, daß ich ihm zur gewonnenen Schlacht gratulieren wolle. Das österreichische Geschützfeuer schlüge überall nach Westen, ein Beweis dafür, daß der Feind auf der ganzen Linie durch die 1. Armee gefesselt wäre, sodaß wir ihm jetzt in die Flanke und teilweise in den Rücken kämen. Angesichts solcher Lage war nur noch anzuordnen, daß das Gardekorps rechts, das VI. Korps links einer trotz des Nebels weithin sichtbaren, von zwei mächtigen Lindenbäumen gekrönten, bei Horenowes gelegenen Höhe weiter vorgehen sollten, während das I. und V. Korps, die noch im Anmarsch auf das Schlachtfeld begriffen waren, diesen Korps zu folgen hätten. Weiteres hatte der Kronprinz an dem Tage kaum noch zu befehlen.“

      Unsere Bewegung wurde zunächst noch querfeldein fortgesetzt, dann marschierten wir auf, und bald wurden uns die ersten Granaten von den Höhen seitwärts Horenowes entgegengeschickt. Die österreichische Artillerie bewahrheitete ihren guten, alten Ruf. Eines der ersten Geschosse verwundete meinen Kompagnie-Führer, ein anderes tötete dicht hinter mir meinen Flügelunteroffizier und bald schlug auch eine Granate mitten in unsere Kolonne ein und setzte 25 Mann außer Gefecht. Als dann aber das Feuer verstummte und die Höhen uns kampflos in die Hände fielen, weil es sich hier nur [pg 22]um eine aus der Überraschung heraus zum Zwecke des Zeitgewinns schwach besetzte vorgeschobene Stellung des Feindes gehandelt hatte, machte sich ein Gefühl der Enttäuschung geltend. Freilich nicht für lange, denn bald öffnete sich uns der Einblick auf einen großen Teil eines gewaltigen Schlachtfeldes. Halbrechts vorwärts von uns erhoben sich in der trüben Luft schwere Qualmwolken aus den Feuerstellungen unserer 1. und der gegnerischen Armee an der Bistritz. Aufblitzendes Geschützfeuer und die Glut brennender Ortschaften gaben dem Bilde eine eigenartig ernste Färbung. Der dichter gewordene Nebel, das hohe Getreide und die Bodengestaltung erschwerten dem Gegner das Erkennen unserer Bewegungen. Auffallend gering war daher das Feuer feindlicher Batterien, die uns nun bald aus südlicher Richtung beschossen, ohne uns aufhalten zu können. Sie sind später größtenteils nach tapferer Verteidigung erobert worden. So drangen wir mit der Schnelligkeit, die das Gelände, der schwere, tiefe und glatte Boden, das Getreide, Raps und Zuckerrüben gestatteten, vorwärts. Unser Angriff war nach allen Regeln der damaligen Kriegskunst aufgebaut worden, fiel aber bald auseinander. Kompagnien, ja selbst Züge begannen sich ihre Gegner zu suchen; alles drängte nach vorwärts. Den Zusammenhang für alle bildete nur der Wille: Heran an den Feind!

      Zwischen Chlum und Nedelist traf unser Halbbataillon – eine damals sehr beliebte Gefechtsformation – im Nebel und Getreide überraschend auf feindliche, von Süden vorkommende Infanterie. Sie wurde durch das überlegene Zündnadelgewehr bald zum Weichen gebracht. Ihr mit meinem Schützenzuge in aufgelöster Ordnung folgend, stieß ich plötzlich auf eine österreichische Batterie, die in rücksichtsloser Kühnheit herbeieilte, abprotzte und uns eine Kartätschlage entgegenschleuderte. Von einer Kugel, die mir den Helm durchbohrte, am Kopf gestreift, brach ich für kurze Zeit bewußtlos zusammen. Als ich mich wieder aufraffte, drangen wir in die Batterie ein. Fünf Geschütze waren unser, die drei anderen entkamen. Das war ein [pg 23]stolzes Gefühl, als ich hochaufatmend, aus leichter Kopfwunde blutend unter meinen eroberten Kanonen stand. Aber ich hatte nicht Zeit, auf meinen Lorbeeren auszuruhen. Feindliche Jäger, kenntlich an den Hahnenfedern auf ihren Hüten, tauchten im Weizen auf. Ich wies sie ab und folgte ihnen bis zu einem Hohlwege.

      Der Zufall wollte es, daß im Verlauf des letzten großen Krieges dieses mein erstes Schlachterlebnis in Österreich bekannt wurde. Ein verabschiedeter ehemaliger Offizier, Veteran von 1866, schrieb mir infolgedessen aus Reichenberg in Böhmen, daß er bei Königgrätz als Regimentskadett in der von mir angegriffenen Batterie gestanden habe, und belegte diese Tatsache durch eine Skizze. Da er noch einige freundliche Worte hinzufügte, dankte ich ihm herzlich, und so war zwischen den einstigen Gegnern ein recht kameradschaftlicher Briefwechsel zustande gekommen.

      Als ich den oben erwähnten Hohlweg erreichte, hielt ich Umschau. Die feindlichen Jäger waren im Regendunst verschwunden. Die umliegenden Dörfer – vor mir Wsestar, rechts Rosberitz und links Sweti – waren merkbar noch in Feindes Hand; um Rosberitz wurde bereits gekämpft. Ich selbst war mit meinem Zug allein. Hinter mir war nichts von den Unsrigen zu sehen. Die geschlossenen Abteilungen waren mir nicht südwärts gefolgt, sondern schienen sich nach rechts gewendet zu haben. Ich beschloß, meiner Einsamkeit auf dem weiten Schlachtfelde dadurch ein Ende zu machen, daß ich mich in dem Hohlweg nach Rosberitz heranzog. Bevor ich mein Ziel erreichte, brausten noch mehrere österreichische Schwadronen, mich mit meiner Handvoll Leuten nicht bemerkend, an mir vorüber. Sie überschritten vor mir den Hohlweg an einer flachen Stelle und stießen kurze Zeit darauf, wie mir das lebhafte Gewehrfeuer verriet, im Gelände nordöstlich Rosberitz auf mir unsichtbare diesseitige Infanterie. Bald rasten von dorther ledige Pferde zurück und schließlich jagte alles wieder an mir vorbei. Ich schickte noch einige Kugeln [pg 24]nach; die weißen Mäntel der Reiter boten in der trüben Witterung gute Ziele.

      Die Lage in Rosberitz war, als ich dort eintraf, eine ernste. Ungestüm vordrängende Züge und Kompagnien verschiedener Regimenter unserer Division waren daselbst auf sehr überlegene feindliche Kräfte geprallt. Hinter unsern schwachen Abteilungen befanden sich zunächst keine Verstärkungen. Die Masse der Division war von dem hochgelegenen Dorfe Chlum angezogen worden und stand dort in heftigem Kampf. Mein Halbbataillon, mit dem ich mich am Ostrande von Rosberitz glücklich wieder vereinigte, war daher die erste Hilfe.

      Wer mehr überrascht ist, die Österreicher oder wir, vermag ich nicht zu beurteilen. Jedenfalls drängen die zusammengeballten feindlichen Massen von drei Seiten auf uns, um das Dorf wieder ganz in Besitz zu nehmen. So fürchterlich unser Zündnadelgewehr auch wirkt, über die stürzenden ersten Reihen kommen immer wieder neue auf uns zu. So entsteht in den Dorfgassen zwischen den brennenden, strohbedeckten Häusern ein mörderisches Handgemenge. Von Kampf in geordneten Verbänden ist keine Rede mehr. Jeder sticht und schießt um sich, so viel er kann. Prinz Anton von Hohenzollern vom 1. Garderegiment bricht schwerverwundet zusammen. Fähnrich von Woyrsch, der jetzige Feldmarschall, bleibt mit einigen Leuten im hin- und herwogenden Kampf bei dem Prinzen. Dessen goldene Uhr wird mir überbracht, damit diese nicht etwa feindlichen Plünderern in die Hände fällt. Bald laufen wir Gefahr, abgeschnitten zu werden. Aus einer in unseren Rücken führenden Seitengasse tönen österreichische Hornsignale, hört man die dumpfer als die unserigen klingenden Trommeln des Feindes. Wir müssen, auch in der Front hart bedrängt, zurück. Ein brennendes Strohdach, das auf die Straße herabstürzt und sie mit Flammen und dichtem Qualm absperrt, rettet uns. Wir entkommen unter diesem Schutz auf eine Höhe dicht nordöstlich des Dorfes.

      [pg 25]

      Weiter wollen wir in wilder Erbitterung nicht zurückgehen. Major Graf Waldersee vom 1. Garde-Regiment zu Fuß, der 1870 vor Paris als Kommandeur des Garde-Grenadierregiments Königin Augusta fiel, läßt als ältester anwesender Offizier die bei uns befindlichen beiden Fahnen in die Erde stecken; um diese geschart werden die Verbände wieder geordnet. Schon nahen auch von rückwärts Verstärkungen. Und so geht es denn bald wieder mit schlagenden Tambours vorwärts, dem Feinde entgegen, der sich mit der Besitzergreifung des Dorfes begnügt hat. Auch dieses räumt er bald, um sich der allgemeinen Rückzugsbewegung seines Heeres anzuschließen.

      In Rosberitz fanden wir den Prinzen von Hohenzollern wieder, der aber nach kurzer Zeit im Lazarett zu Königinhof seinen Wunden erlag. Seine treue Bedeckung hatte der Feind als Gefangene mitgeführt. Auch aus meinem Zuge teilten mehrere Grenadiere dieses Schicksal, nachdem sie sich in einer Ziegelei tapfer verteidigt hatten. Als wir zwei Tage später auf dem Weitermarsch

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