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rot und blau gewürfelten Überzug. Die drei Männer hatten bequem Platz darauf; es tat ihnen auch in ihrem Behagen keinen Eintrag, daß sie mit den Ellenbogen zusammenstießen, wann einer sich rührte, um seine Pfeife frisch zu füllen. Sie waren alle drei Wiblinger Stadtkinder, der Rektor Cabisius, der Korbmacher Hollermann und der Meister Nössel. Einst waren sie miteinander auf einer Schulbank gesessen und hatten miteinander in den Freistunden ihre überschüssige Kraft vertobt. Dann waren sie ihrer Wege gegangen, ein jeder den seinigen, und hatten nichts mehr von einander gewußt. Und nun waren sie alte Männer und saßen eng beisammen, und waren hier zusammengekommen, um eine Reise in ihr Jugendland zu machen.

      Auf dem Tisch stand Frau Judiths braune Kaffeekanne, und Frau Judith hantierte am Ofen mit den Töpfen und bereitete den Trank. Sie konnte gut mitreden, denn sie war einst als wildes Mädchen mit den drei Jungen über die Hecken gestiegen, und sie war, wie sie selbst sagte, „jetzt noch jünger, als sie alle drei zusammen.“

      Die Frau Rektorin saß im Lehnstuhl und klapperte mit ihren Stricknadeln, als ob es ums Geld geschähe. Sie hatte einen kleinen Ärger zu verstricken. Denn erstens war sie kein Wiblinger Stadtkind und konnte darum die Reise nicht so recht mitmachen. Und zweitens verspürte sie einen unangenehmen Kitzel in der Nase, weil sich ihr Gemahl mitten zwischen die zwei alten Schulkameraden gesetzt hatte, und weil er nun soeben sagte: „Aber natürlich dutzen wir uns. Das wäre noch schöner. Wie, ich soll wohl Herr Hollermann sagen?“ Denn der alte Korbmacher war die ganze Zeit bisher in der Fremde gewesen und war nun vor kurzem in seine Heimat zurückgekehrt, ohne Frau und Kinder und ohne viel Habe, und wohnte in einem Häuschen ganz draußen an der alten Synagoge, die auf freiem Felde stand, und schien der Frau Rektorin ganz und gar kein Mann zu sein, mit dem sich ihr Gatte zu dutzen brauche.

      Er war ihm einerlei, das wußte sie wohl, was die andern „Herren“ des Städtchens zu dem Verkehr sagen würden, er war darum doch überall beliebt. Aber das schloß nicht aus, daß es ihr nicht einerlei war. Sie hatte sonst gute Augen, die wohl geeignet waren, durch abgetragene Kleider und kümmerliche Gesichter und Gestalten hindurch zu sehen und sich die Seele eines Menschen anzuschauen und zu fragen: „Was bist du für ein Mensch? Ich meine, du selbst, dein eigentlichstes Ich. Bist du ein froher Mensch, ein wackerer, ehrlicher, tapferer? Oder schleppst du dich mit dem Leben? Und warum?“

      Aber heute abend waren sie nicht so hell wie sonst. Sie war eine Dekanstochter, ihr Großvater war Oberamtsrichter gewesen. Das stieg ihr noch hie und da nackensteifend auf. Und nun saß ihr Mann hier auf dem alten Kanapee und tat, als ob er sein Leben lang als Handwerksbursche durch die Welt gezogen wäre. Er war ja doch auf Schulen gewesen. Er war ja doch akademisch gebildet und war Rektor der Lateinschule. Und nun sagte er eben: „Ach, Hollermann, weißt du noch, wie wir zu deinem Großvater auf die Weide gingen? Weißt du noch, wie sein schwarzer Schäferhund nach der Flöte tanzte, immer rundum, hinter seinem eigenen Schwanz drein?“

      Sie war noch nicht recht reif für die Jugenderinnerungen. Sie hatte heiße Backen. Warum war sie auch mitgegangen? Was hatte sie keuchen müssen die engen Wendeltreppen herauf. Aber ihr Gatte hatte es gewollt. „Du wirst deine helle Freude haben, Anne,“ hatte er gesagt. „Es wird sein wie eine laterna magica, immer ein Bild nach dem andern. Wie ein leibhaftiges Stück Jugend wird es sein.“ Er war ein großes Kind. Er sah es gar nicht ein, daß er denn doch etwas anderes geworden sei, als der Flickschneider und der Korbmacher. Warum hatten sie sich nicht auch geregt? Warum waren sie nicht auch so klug? „Was,“ dachte die Frau Rektorin, „nun soll ich wohl einen Kranz mit ihnen halten, immer reihum, bei uns, und auf dem Turm, und in der Villa Hollermann, dem windschiefen Lehmhäuschen? Das könnte eines Tags mit uns umfallen und dann hieße es in der Stadt, daß wir ganz ordnungsgemäß mit unseren besten Freunden zusammen unter den Trümmern liegen.“

      Die Phantasie der Frau Rektorin war im besten Zug, ins Kraut zu schießen und ganz üppige Blüten zu treiben. Die Stricknadeln klapperten dazu. „Man kann die Menschenfreundlichkeit auch zu weit treiben,“ eine Nadel; „wenn das mein Großvater wüßte,“ die zweite; „aber so ist mein Mann, immer ist er so,“ die dritte. Da fühlte die Frau Rektorin eine leichte Berührung am Arm. Sie kannte sie. Das war ihr Mann, der sie über den Tisch herüber mit der Mundspitze seines Pfeifenrohrs antippte, ganz leicht und leise. Und als sie aufsah, mit einem hellen, raschen Blick, da lagen seine Augen auf ihr; sein ganzes Gesicht fragte in das ihrige hinein und gab zugleich die Antwort, lächelnd und warm, und ein bißchen belustigt. „Ja, was ist denn, Anne? Was denkst du dir denn für krause Sachen zusammen, Weib? Bist doch sonst so klug. Ein bißchen Kastengeist, was? So, jetzt komm, jetzt laß das; jetzt paß einmal auf, was das für Leute sind, du hast ja selber deine Freude dran. Alle guten Geister, Anne. So, so.“ Er nickte ihr noch ein paarmal zu, kaum merklich, die andern sahen von dem allem nichts. Aber es war, als ob man einem Kind beschwichtigend auf den Rücken klopft, ganz sachte und gelind. Da glätteten sich die Wogen. Da fiel es ihr wieder ein, wie er sie gelehrt hatte, durch sich selbst, durch sein eigenes, ehrliches, aufgeschlossenes Wesen, all’ die Jahre daher, seit sie seine Frau war, an das unsichtbare Königreich der schlichten, frohen, kindlichen Menschen zu glauben und sie sich unter allen Hüllen herauszusuchen, und sie als Landsleute der besten Art zu begrüßen. Und sie war froh, daß nur er ihre Gedanken gelesen hatte, und nickte ihm auch zu und schüttelte sich ein wenig, als wolle sie etwas los werden. Und dann legte sie den Strickstrumpf in den Schoß und die Hände behaglich übereinander und hörte zu, wie die Bilder der Vergangenheit lebendig wurden und ins Reden kamen.

      Sie tat einen suchenden Blick nach dem alten Korbmacher hin. Der hatte ein braunes, hageres Gesicht und hängte die Schultern etwas nach vorn, und über den Augen liefen die dichten, struppigen Brauen zusammen. Die Augen selbst und der Mund aber waren weich, fast kindlich, als wären sie nicht auf einer beschwerlichen, weiten Lebensreise gewesen. „Der muß wohl fromm sein,“ dachte die Frau Rektorin, „so auf eine stille, in sich gekehrte Art. Der muß wohl nicht viel wissen von den Dingen rings um ihn her. Der hat sich da innen irgend etwas aufgebaut, das wird man ja noch erfahren, was.“

      Und sie war schon geneigter, ihm zu verzeihen, daß er’s im Leben nicht weiter gebracht habe.

      „Ja,“ sagte er jetzt eben, „ich habe oft an ihn gedacht, draußen herum, an meinen Großvater, meine ich, den alten Schäfer Hollermann. Meinen Vater hab’ ich nie gekannt und meine Mutter war so still und gedrückt, wie meine Großmutter laut, stark und entschlossen. Da sagte er, als ich noch ein kleiner Knirps war, oft zu mir: „Komm, Bub, geh’ mit mir hinaus, das ist nichts für uns zwei. Geh’ mit mir auf die Weide.“ Da saß ich denn unter einem Weidenbusch und ringsum war die Welt ganz rund um mich her, ich saß ganz in der Mitte. Die Schafe grasten auf den Brachäckern, die Staren saßen ihnen auf den Rücken, und flogen ab und zu, und mein Großvater stand und lehnte sich auf seinen Stock und sah still um sich. Es muß im Frühling gewesen sein. Er sagte nie viel. Aber wenn er auf der Flöte blies, dann verstanden wirs Beide, der Schäferhund und ich. So war es uns auch zu Mut, gerade so. Das kann man nicht sagen. Ich habe die Flöte überkommen, ich habe sie noch.“

      Er schwieg wieder und sah still vor sich hin. Da kam Frau Judith in den Kreis. „Jetzt das von dem Stock,“ sagte sie, „das war das Geheimnisvollste, was man sich denken kann, das ist ein Märchen.“

      „Ja,“ sagte er, „das ist es auch, warum ich so viel an ihn dachte in der Welt draußen. Wenn die Leute so alles wußten, und sich stritten um das Wahre, und dabei so unruhig wurden und arm. Dann dachte ich an den Stock.

      Mein Großvater war so, was man einen unwissenden Menschen nennt. Er konnte weder lesen, noch schreiben, und auswendig gelernt hat er nur einen einzigen Vers aus dem Lied: „Wer weiß, wie nahe mir mein Ende.“ Das verdroß die Großmutter und sie hielt ihm hundert Mal vor, daß sie ihn eigentlich lieber nicht hätte nehmen sollen, „wenn er,“ sagte sie, „nicht sonst solch ein guter Kerl wäre,“ und daß er eigentlich auch gar kein rechter Christ sei. Auch sagte sie des öfteren, daß sie über seine Zukunft in jenem Leben ihre starken Zweifel habe, da er ja nicht einmal den Katechismus könne, und daß sie sich jedenfalls werde einen anderen Platz aussuchen müssen. Dazu lächelte er aber nur vor sich hin und sah so nach seinem eisenbeschlagenen Schäferstock hin, der in der Ecke stand, als ob der es besser wisse. Und das war auch so, denn der Großvater legte ihn jeden Morgen quer vor sich hin auf die Erde,

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