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NOTIZEN EINER VERLORENEN. Heike Vullriede
Читать онлайн.Название NOTIZEN EINER VERLORENEN
Год выпуска 0
isbn 9783943408881
Автор произведения Heike Vullriede
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Ich bin hier, um … ich meine … diesen Umschlag soll ich hier abgeben.«
Meine unbeholfenen Worte weichten die Starre seiner Augen etwas auf. Nicht, dass ich seinen Blick nun als freundlich empfunden hätte, nur ein wenig interessierter.
»Ich glaube, ich weiß, was Sie mir sagen wollen.«
Er wies mit einer gewandten Armbewegung in Richtung der Innenräume. »Aber bitte, gehen wir doch rein.«
Während ich mich an ihm vorbeidrückte und betete, dass die Hunde neben ihm mich nicht zerfleischen würden, nahm er mir den Umschlag aus der Hand. Gerade jetzt, als ich das Gefühl bekam, diese letzte Erinnerung an Jens nicht abgeben zu dürfen, bevor ich sie selbst gelesen hatte. Doch dafür war es nun zu spät. Der feste Griff des Mannes zog mit einem Ruck Jens' Nachricht aus meiner Faust. Dann schloss der Kerl die Tür hinter mir und machte mich endgültig zu einer Gefangenen des Hauses. Ich sah, wie er den Schlüssel umdrehte, ihn abzog und in seiner Hosentasche verstaute.
Wo war ich hier nur hineingeraten?
»Warum schließen Sie ab?« Ich hatte Mühe, meinen Atem zu kontrollieren.
»Wegen der Hunde!«
Fast schmückte ein kleines, aber unschönes Lächeln seine steinernen Lippen. »Sie sehen ängstlich aus! Keine Sorge, die Hunde gehorchen mir aufs Wort.«
Mein Magen begann zu drücken und ganz allmählich meldete sich der Puls in meinem Kopf. Diese Kopfschmerzen – es ging schon wieder los!
Er wendete den absenderlosen Briefumschlag neugierig um.
»Lassen Sie mich raten … von Jens Klein?«
Woher wusste er das?
Ich wollte fast schreien, als er plötzlich seine Hand auf meine Schulter legte, eine große Hand, der ich das Fremde in ihr anfühlte und ich spürte förmlich, wie es in mich hineinkroch. Statt zu schreien, zuckte ich zusammen und mein Zucken schien dem Mann zu gefallen. Es löste ein flüchtiges Lächeln auf seinem Angesicht aus. Mit barschem Griff schob er mich weiter in den Raum hinein. Ein Raum, dessen Ausmaße ich nicht erwartet hatte. Ich stand in einem Saal, an dessen Vergangenheit als getrennte Altbauzimmer nur noch ein paar tragende runde Säulen erinnerten. Altmodischer Stuck zierte die hohe Decke. An einer Wand stand eine große Bar mit Barhockern und sehr vielen Flaschen. Die schwache Beleuchtung aus einem gusseisernen Kronleuchter reichte nicht aus, um alle dunklen Nischen und Hinterräume um mich herum so auszuleuchten, dass ich mich beruhigt gefühlt hätte. Wer wusste schon, wie viele abgerichtete Köter noch in diesen Winkeln lauerten?
Mitten im Raum ließ mich mein ungemütlicher Begleiter los und nahm einen Brieföffner von einem Sideboard zur Hand. Er nahm ihn ganz langsam aus der Halterung. Man hätte zusehen können, wie er die Luft damit durchschnitt und sein Gesicht wirkte dabei fast gehässig. Der Öffner selbst sah aus wie ein kleiner Dolch. Ich zog mich zurück, machte ein paar Schritte rückwärts und landete unabsichtlich in einer dieser finsteren Nischen, wo ich mir schmerzhaft die Hüfte an etwas stieß. Nur langsam gewöhnten sich meine Augen an die Dunkelheit und sie offenbarten mir einen Tisch, gegen den ich gelaufen war, ein Sofa und zwei Sessel. Auf dem Tisch stand ein Tablett mit Teegeschirr. Aus zwei halb gefüllten Tassen daneben dampfte Tee und auf der Tischdecke hinterließ ein kleiner Löffel einen nassen Fleck. In der Mitte des Tisches lag ein schwarzes Buch.
Ein Luftzug in meinem Nacken holte meine Aufmerksamkeit zurück. Ich zog den Kopf ein und drehte mich um. Der Mann mit Jens' geöffnetem Briefumschlag nickte mir zu.
»Nehmen Sie Platz!« Er wies auf das Sofa.
Dann setzte er die Brille auf und las kurz, aber aufmerksam in Jens' Zeilen, die ich liebend gern selbst gesehen hätte; mir vorenthaltene Gedanken eines toten Freundes!
Auf einmal bewegte sich etwas im schwachen Licht. Ich sah es im Augenwinkel. Kleidung raschelte in einer Ecke des Sofas neben mir und unerwartet sah ich mich einem dort sitzenden Mann gegenüber. Sein schwarzer Pullover und eine ebenso schwarze Hose verschmolzen ihn, bis auf das Gesicht und die Hände, mit dem Dunkel des Raumes. Er grinste mich an, aus der Gewissheit des heimlichen Beobachters heraus. Als er sah, dass ich ihn entdeckt hatte, stand er auf, kam geschmeidig näher und streckte mir seine Hand entgegen, die in dem Dämmerlicht wie die Hand eines Pantomimen wirkte.
»Alexander! Und der Mann hinter Ihnen ist Günter Buchheim! Ich glaube nicht, dass er sich Ihnen vorgestellt hat.«
Ich blickte ihn an – und meine Lunge stellte für Sekunden das Atmen ein. Dieser Mann sah aus, wie die Inkarnation meiner eigenen Vergangenheit! Dieses Gesicht mit den hellen blauen Augen in gebräunter Haut – volle Lippen, welche einen der Mundwinkel im Lächeln eine Spur nach oben zogen. Der Blick dieses Menschen – so selbstsicher, überlegen und so herablassend nachsichtig. Ich stand ihm regungslos gegenüber, einem Fremden, und doch kam es mir vor, als kannte ich ihn. Sein Griff fest und warm, die Stimme tief, zwinkerte er mir zu, während er mich unverhohlen betrachtete und meine Hand festhielt. In meinem Bauch wüteten lebende Steine, die sich an den Innenwänden des Fleisches rieben. Ich kann heute noch nicht sagen, ob ich ihn an diesem Tag grenzenlos selbstbewusst fand oder bloß anziehend anmaßend. Was ich fühlte, war ein Tsunami gemischter Erinnerungen, sprudelnd vor Sehnsüchten und Ängsten. Er war die Wiedergeburt meiner dunkelsten, verdrängtesten und erotischsten Lebensgeschichte. Er sah fast so aus wie Manuel!
Aufmerksam behielt er mich im Auge und umschloss meine gereichte Hand so lange, bis ich zögerlich auch meinen Namen nannte.
»Sarah – ein schöner alter Name! Gefällt mir sehr gut«, sagte er.
Dabei drückte er sanft mit den Fingern in meinen Handteller, und ich konnte nicht anders, als eine ganz leichte Gänsehaut zu empfinden, auch, wenn ich es nicht wollte. Es fühlte sich wie eine Massage an, deren minimaler Druck mich erschaudern ließ. Verlegen entzog ich ihm die Hand, wich diesem nicht enden wollenden Blick von ihm aus, der bis in meinen Unterleib kroch.
»Was führt Sie zu uns?«, fragte er.
Ich räusperte mich. Verdammt, warum war ich nur so leicht berührbar? Verstört suchte ich, meine Gedanken zu sammeln.
»Da Sie ja scheinbar eine Bekannte von Jens sind … ich meine, waren … muss ich Ihnen leider mitteilen, dass …« Mein Herz stotterte gleichlaufend mit meiner Stimme. »… Jens hat sich umgebracht. Es tut mir leid, das sagen zu müssen. Fragen Sie mich bitte nicht, warum.«
Mit hochgezogenen Augenbrauen musterte ich die beiden Gesichter im Raum. Meine Nachricht verursachte nicht die Spur dessen, was ich erwartete; kein Zusammenzucken, kein erschrockenes Aufseufzen, keine bedrückten Blicke angesichts des Unfassbaren. Sie sahen sich lediglich einen Moment lang bedeutsam an. Es gefiel mir nicht, dass Jens ihnen offensichtlich mehr anvertraut hatte als mir. Ich riss mich zusammen, um nicht erneut zu stottern.
»Darf ich fragen, was Jens Ihnen geschrieben hat?«
Ich nahm an, dass Buchheim mir das Blatt Papier wenigstens einmal kurz unter die Nase halten würde, doch der faltete den kleinen Brief langsam und sorgfältig zusammen und reichte ihn an Alexander weiter, der ihn überflog. Breit grinsend stopfte dieser ihn in die Hosentasche.
»Erzählen Sie uns lieber, was geschehen ist«, forderte er mich auf.
Sie drängten mich, endlich Platz zu nehmen. Obwohl ich widersprach, saß ich bald auf dem Sofa. Rechts körpernah flankiert von diesem Abbild Manuels, der mich ab da an in einer ergreifend anmutenden Weise anlächelte. Beharrlich versuchte ich es zu ignorieren, schaffte es aber nicht. Sein aufdringliches Lächeln war immer da. Ich wich ihm auf dem Sofa etwas aus. Vor uns am Tisch stand Buchheim, mit seinen Oberschenkeln an der Tischkante angelehnt und noch immer mit dem Brieföffner in der Hand, den er