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mußt dich ja auskennen mit Sommersprossen, Cousine Sophia“, sagte Susan zu Rillas Verteidigung. „Du warst doch als junges Mädchen scheckiger als jede Kröte. Rillas Sommersprossen kommen wenigstens nur im Sommer zum Vorschein, aber deine klebten doch jahraus, jahrein an dir. Und du hattest nicht so eine schöne Gesichtsfarbe darunter wie sie. Du siehst wirklich hübsch aus, Rilla, und deine Frisur steht dir gut. Aber du hast doch nicht vor, in diesen Stöckelschuhen zum Hafen zu laufen, oder?“

      „Nein, nein. Bis ans Wasser tragen wir alle unsere alten Schuhe, und die guten nehmen wir mit. Gefällt dir mein Kleid, Susan?“

      „Es erinnert mich an ein Kleid, das ich als junges Mädchen getragen habe“, seufzte Cousine Sophia, ehe Susan antworten konnte. „Es war auch grün mit rosaroten Blumensträußchen, und es war von der Taille bis zum Saum mit Volants besetzt. Wir trugen damals nicht solche Fähnchen wie die Mädchen heutzutage. Oje, die Zeiten haben sich geändert, und das nicht zum Besten, fürchte ich. An jenem Abend riß ich mir ein großes Loch in das Kleid, und jemand verschüttete eine Tasse Tee darauf. Es war völlig ruiniert. Aber ich hoffe, daß dir mit deinem Kleid nichts passiert. Ein bißchen länger könnte es allerdings sein, finde ich, deine Beine sind so furchtbar lang und dünn.“

      „Mrs. Blythe mag es nicht, wenn kleine Mädchen sich wie Erwachsene anziehen“, sagte Susan, nur um Cousine Sophia zurechtzuweisen. Aber Rilla war gekränkt. Kleine Mädchen, ha! Wütend rauschte sie aus der Küche. Noch mal würde sie nicht auf die Idee kommen, sich vor Susan zu zeigen, bevor sie ausging. Für die war man doch erst mit sechzig erwachsen! Und diese schreckliche Cousine Sophia erst mit ihren Sticheleien von wegen Sommersprossen und langen Beinen! Wie kam so eine alte – so eine alte Bohnenstange wie die dazu, bei jemand anders etwas lang und dünn zu finden! Rillas gute Laune und Vorfreude auf den Abend waren dahin. Sie war so getroffen, daß sie sich am liebsten hingesetzt und losgeheult hätte.

      Doch später, als sie sich zu der fröhlichen Gruppe gesellte, die zur Leuchtturmparty aufbrach, hob sich ihre Stimmung wieder sehr schnell.

      Begleitet von Mondays traurigem Geheul – man hatte ihn in der Scheune festgebunden – verließen die Blythes Ingleside. Im Dorf holten sie die Merediths ab, und andere schlossen sich nach und nach an, während sie die alte Hafenstraße hinabmarschierten. An Miss Cornelias Tor kam, ganz in blauen Spitzenkrepp gehüllt, Mary Vance hinzu und hängte sich an Rilla und Miss Oliver, die nebeneinander hergingen und Mary nicht gerade herzlich begrüßten. Rilla konnte Mary Vance nicht sonderlich gut leiden. Sie hatte ihr nie verziehen, daß Mary sie einmal mit einem getrockneten Dorsch durchs ganze Dorf gejagt und schrecklich blamiert hatte. Um die Wahrheit zu sagen, Mary Vance war bei keinem Mädchen besonders beliebt. Aber ihre Gesellschaft war trotzdem oft ein Genuß, weil sie so eine derart scharfe Zunge hatte, daß es eine Freude war. „Mary Vance ist wie eine Angewohnheit: Wir kommen ohne sie nicht aus, selbst wenn wir wütend auf sie sind“, hatte Di Blythe einmal gesagt.

      Die meisten aus der Gruppe gingen aus Gewohnheit paarweise. Jem ging natürlich mit Faith Meredith, und Jerry Meredith mit Nan Blythe. Di und Walter waren in ein vertrauliches Gespräch vertieft, was Rillas Neid hervorrief.

      Carl Meredith ging mit Miranda Pryor, hauptsächlich, um Joe Milgrave damit zu quälen. Jeder wußte, daß Joe nach besagter Miranda schmachtete, doch seine Schüchternheit hinderte ihn immer und immer wieder daran, seiner Neigung freien Lauf zu lassen. Den Mut, im Stockfinstern neben ihr einherzuschlendern, mochte er vielleicht gerade noch aufbringen, aber hier, in der Mondscheindämmerung, war das ein Ding der Unmöglichkeit. Aus diesem Grund trottete er der Prozession hinterher und dachte sich für Carl Meredith Sachen aus, die man lieber nicht laut sagt. Miranda war die Tochter dieses Mondgesichts-mit-Schnauzbart. Sie war zwar nicht so unbeliebt wie ihr Vater, aber es liefen ihr auch nicht viele hinterher, da sie ziemlich blaß und nichtssagend aussah und zu einem nervösen Kichern neigte. Sie hatte silberblondes Haar, und ihre Augen glichen kobaltblauen Kugeln, die den Eindruck erweckten, als hätte man sie zu Tode erschreckt. Eigentlich wäre sie viel lieber mit Joe gegangen als mit Carl, in dessen Gegenwart sie sich nicht gerade wohl fühlte. Aber schließlich war das auch eine Sache des Ansehens, einen College-Jungen neben sich zu haben, und einen Pfarrerssohn noch dazu.

      Shirley Blythe ging mit Una Meredith, und beide verhielten sich ziemlich still, weil das nun mal in ihrer Natur lag. Shirley war ein Junge von sechzehn Jahren, ruhig, empfindsam, nachdenklich, mit verstecktem Humor. Er war immer noch Susans „kleiner brauner Junge“ mit seinem braunen Haar, seinen braunen Augen und seiner klaren braunen Haut. Er ging gern mit Una Meredith spazieren, weil sie nie versuchte, ihn zum Reden zu zwingen, und weil sie selbst auch nicht ständig auf ihn einquasselte. Una war immer noch so süß und scheu wie damals, als sie zusammen im Regenbogental spielten, und ihre großen dunkelblauen Augen sahen immer noch genauso verträumt und sehnsuchtsvoll aus. Sie hatte eine geheime, sorgsam gehütete Vorliebe für Walter Blythe, aber niemand außer Rilla hatte bisher Verdacht geschöpft. Rilla gönnte es ihr und wünschte, Walter würde diese Zuneigung erwidern. Sie mochte Una lieber als Faith, die mit ihrer Schönheit und ihrer selbstbewußten Art leicht die anderen Mädchen in den Schatten stellte. Und Rilla mochte es gar nicht, in den Schatten gestellt zu werden.

      Doch im Augenblick war sie richtig glücklich. Wie schön war es, zusammen mit ihren Freundinnen den dunklen, schillernden Weg hinabzuschlendern und den harzigen Duft der kleinen Tannen und Fichten einzuatmen, der die Luft erfüllte. Hinter den verblassenden Hügeln war noch das Nachglühen des Sonnenuntergangs zu sehen. Vor ihnen leuchtete der Hafen. Eine Glocke ertönte von der kleinen Kirche aus Overharbour, und die nachklingenden, zauberhaften Töne erstarben hinter den langsam verschwindenden Landspitzen. Der Golf glitzerte immer noch silberblau in der Dämmerung. Ach, es war alles so herrlich: die klare, salzige Luft, der Tannenduft, das Lachen der Freundinnen. Rilla liebte das Leben, seine Frische und seinen Glanz. Sie liebte das Murmeln der Musik, das Summen einer fröhlichen Unterhaltung. Am liebsten wäre sie für immer und ewig diesen glitzernden, schattenhaften Weg entlanggelaufen. Es war ihre erste Party, und ihr stand ein herrlicher Abend bevor. Sie brauchte sich um nichts auf der Welt zu sorgen, nicht einmal um Sommersprossen und überlange Beine. Um nichts, außer vielleicht die Ungewißheit, ob sie auch wirklich zum Tanzen aufgefordert würde. Es war schön und tat gut, einfach nur zu leben, fünfzehn zu sein – und hübsch noch dazu. Rilla tat einen tiefen Atemzug – und hielt mittendrin inne. Jem erzählte Faith gerade eine Geschichte, die sich im Balkankrieg zugetragen hatte.

      „Der Doktor verlor beide Beine, sie wurden ihm zerquetscht, und man ließ ihn einfach liegen. Er schleppte sich kriechend von einem Mann zum andern, zu all den Verletzten um ihn herum, solange es ihm noch möglich war. Er tat alles, was er konnte, um ihre Schmerzen zu lindern, ohne dabei einen Augenblick an sich selbst zu denken. Er wollte gerade einem Mann das Bein verbinden, als ihn seine Kräfte verließen. Dort fand man sie, die toten Hände des Doktors hielten immer noch den Verband fest, die Blutung hatte aufgehört, und der andere Mann wurde gerettet. Wenn das kein Held war, Faith? Ich kann dir sagen, als ich das gelesen habe –“

      Damit gerieten Jem und Faith außer Hörweite. Gertrude Oliver zitterte plötzlich. Rilla drückte ihr mitfühlend den Arm.

      „War das nicht schrecklich, Miss Oliver? Mich wundert es nicht, daß Sie zittern. Ich weiß gar nicht, warum Jem solche grauenhaften Sachen immer ausgerechnet dann erzählen muß, wenn wir uns ein bißchen amüsieren wollen.“

      „Du findest das schrecklich, Rilla? Ich finde es wunderbar! Wenn man so etwas hört, muß man sich doch schämen, jemals an der Natur des Menschen gezweifelt zu haben. Was der Mann da getan hat, war wie eine Tat Gottes. Und wie die Menschlichkeit übereinstimmt mit dem Ideal der Selbstaufopferung! Warum ich zittere? Das weiß ich selbst nicht. Es ist sicher warm genug heute abend. Vielleicht geht gerade jemand über das dunkle, sternenbeschienene Stück Erde, das einmal mein Grab sein soll. Das ist die Erklärung, die der alte Aberglaube liefern würde. Aber ich glaube, ich denke lieber nicht mehr über solche Sachen nach an so einem schönen Abend. Weißt du, Rilla, wenn es Abend wird, dann bin ich immer froh, auf dem Land zu leben. Wie zauberhaft ein Sonnenuntergang ist, das erfahren doch Stadtbewohner nie. Jeder Abend ist schön auf dem Land, sogar wenn es stürmt. Wenn der Sturm abends die Küste entlangfegt, das gefällt mir. Ein Abend wie heute ist allerdings fast zu schön. Er gehört der Jugend und den Träumen, und ich habe ein wenig Angst davor.“

      „Mir

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