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in die Leute gekommen, als stelle sich durch den Einfluß Wahnfred’s wieder eine gewisse Ordnung her – so verließ auch der betagte Bart sein entlegenes Berghaus und ging mit den Seinen nach Trawies, um den Gottsleichnamszug mitbegehen zu helfen. Der Alte sehnte sich, wieder einmal öffentlich zu beten und beten zu hören. Er war einer der Männer, die dem Zuge mit entblößtem Häuptern folgten.

      Und bei den Weibern, aber ganz rückwärts, schlich Sela mit. Ihr gefiel das Wesen nicht, sie hätte sich am liebsten abstehlen und davonschleichen mögen, aber sie fürchtete sich vor der Nacht, ja nicht einmal die Letzte im Zuge wollte sie sein, weil es ihr vorkam, als folge demselben ein ganzes Heer von bösen Geistern. Sie ahnte wohl nicht, daß dort auf den nächtigen Höhen ein Flüchtling von inneren Dämonen gehetzt wurde.

      Sela hatte das Herz so voll und konnte nicht beten. Diese ungeberdigen Flammen über ihrem Haupte brannten alle Andacht aus dem Herzen und brannten Wunden hinein. Was suchen sie, daß sie um Mitternacht mit Fackeln ausziehen? O Kind – sie suchen Einen, der Sinn und Licht in ihr Leben bringt, und wäre es auch ein Wahnsinn, und wäre es auch ein Irrlicht. Ist ihnen doch kaum anders zumuthe, als dem Mädchen, das wir in der finsteren Felsenhöhle verderben und erblinden sahen. Sie suchen Einen, dem sie grollen können ob dieser elenden Welt, von dem sie Ersatz fordern können für das jammervolle Erdenleben. Sie suchen den, der ihnen einst in drei brennenden Fackeln zum Grunde der Trach geschleudert worden war.

      Viele suchen ihn mit dem schmerzlichen Sehnen des Heimwehs, rufen Namen und meinen Ihn. Und der Teufel – sagt ein altes Wort – der mag’s wohl leiden, daß Gott über die Zunge geht, wenn er darunter liegt. Wie viele sind dabei, die nicht wünschen, daß sie ihn finden, und auch nicht wünschen, daß er sie finde. Glauben sie ihn nicht, so schweigt ihr gewissen, müssen sie ihn glauben, so müssen sie auch zittern vor seinem Zorn.

      Es scheint denn, sie hätten ihn wirklich noch nicht gefunden, weil sie wie planlos mit Fackeln durch den Wald ziehen.

      Mit dem Gotte im Herzen der Jungfrau hatte diese Nacht weiter nichts zu schaffen. Der stand rein und still im Heiligthume. Sela hatte nur den einen Wunsch: Könnte sie diese Fackelträger hinaussenden, in die Tiefen Wälder hinaus, in die weite Welt, Den zu suchen, den sie glaubt.

      So fest glaubt sie ihn, daß ihr sein Tod unmöglich dünkt, obgleich er schon viele Monate verschollen ist. Wer wiegt den Kummer, wer zählt die Zähren! In ihrem abgehärmten Antlitz ist die Spur davon zu sehen.

      Und wenn ihr allzuwehe ward im Gedenken an den Verlorenen, so betet sie: »Mein Gott, ich lege dieses Anliegen in Deine Hände!« – Dann war ihr leichter.

      So wollte Sela auch heute beten, aber der seltsame Zug beunruhigte sie. Und als sie endlich zum steinernen Tisch kamen, auf dem sie das Feuer stellten, und als ein phantastisches Schreien und Toben begann; als sie unter Johlen und Tollen an die Hänge kletterten, um Holz zu sammeln, und jeder die Strünke in das Feuer warf, daß es immer mehr aufsprühte und anwuchs, und als sie dann stoßend und schlagend hinzudrängten, um vom geheiligten Feuer Brände zu erhaschen, und trotz Wahnfred’s Abwehr eine Balgerei entstand, in der man mit brennenden Scheitern aufeinander losschlug, da wurde es dem Mädchen zu arg. Sie stimmte nicht ein in das Jammergeschrei der Weiber, sie lief seitab, und hinter einem Felsvorsprung, wohin kein Schein von dem wilden Feste zu fallen vermochte, setzte sie sich nieder und weinte.

      Die Procession löste sich auf und ordnungslos verlief sich die Menge. Manche der Gruppen schleppten einen Verstümmelten mit sich. Wahnfred hatte sich das rothe Kleid vom Leib gerissen. Er ging ganz allein. Das Feuer auf dem Opferherde knatterte noch lange. Auf den Scherben der zerschlagenen Branntweinplutzer flackerten blaue Flämmchen wie Irrwische, die auseinandergeworfenen Brände rauchten träge und verkohlten allmählich im Sande.

      Über dem Ritscher gingen bereits die drei Sterne auf, welche zur Sommerzeit den Morgen verkünden.

      Der sich nach Frieden sehnende Mensch schaut gern nach den Sternen.

      Nein, du Armer, ist in deinem Herzen nicht Ruh’, bei den Sternen wirst du sie nimmer finden! Das Himmelszelt ist nichts als ein Spiegel deiner Seele. Bist du einig mit dir, dann lese in den Sternen. Siehe, manche dort oben zittern und zucken in heißer Gluth, andere leuchten ruhig. Auf der blassen Straße, die nach Süden führt, wie man sagt gegen die Kirche und das Grab des heiligen Petrus, ziehen wie auf feinem Sande in Schaaren die Heerden und die Hirten mit flimmernden Laternlein. Jene kleine Reihe wieder wandelt einsam auf finsterem Grunde die Höhen des Zenith hinan. Weiter hin stehen sie groß und klein, in Gruppen zusammen, als hielten sie Rath, und wieder ein anderer stürzte sich, schnell wie der Blitz, in unendliche Tiefen hinab. Den einen Zweck verfolgen sie alle, die milden und die lodernden, die gezeichneten und die verlorenen Bewohner der Himmelskrone: sie suchen Gott.

      Sie suchen das Eine, dem auch du im stillen Sehnen und in heißen Kämpfen entgegenringst ...

      Der liebe Gottsleichnamsmorgen, der Tag der Fahnen und Rosen und der bekränzten Jungfrauen! Im Herzen Sela’s erwachten Erinnerungen aus der Kindeszeit. An diesem Tage tragen die Mädchen zum Bekenntnis der Jungfrauenreine einen Rosmarienzweig um das gescheitelte Haupt geschlungen, wenn sie in der Procession dem Sacramente folgen, ihm, der da »zugegen ist, als wahrer Gott und Mensch«. So ist’s auch heute noch draußen. Zu Trawies war es auch einmal so ...

      Das Mädchen sann, eine unaussprechliche Sehnsucht erfüllte sie nach dem herrlichsten Feste der Christenheit. Einen jungen Lärchenzweiz brach sie und wand ihn um ihr Haupt, dann ging sie hinan die Flächen des Tärn. Da war alles kahl und ausgebrannt. Der Morgen dämmerte, sie ging der Höhe zu, um vor dem Kreuze zu beten, Vor ihren Augen weitete sich die Gegend, die Wände des Trasank standen wie Silber in den jungen Tag hinein und weit herüber vom Berge des Johannes durch Äther schimmerte der entstehende Bau. Als das Mädchen auf der Höhe des Tärn das Kreuz nicht ragen sah, meinte sie, es wäre die Gegend verfehlt; sie schaute umher, aber auf keiner Kuppe der weiten Runde stand ein Kreuz. Plötzlich that sie einen Schrei und sprang entsetzt einige Schritte seitab. Dann blieb sie stehen, rieb sich die Augen und sah zurück – sah es nochmal, was sie früher gesehen. Das Kreuz lag dort auf dem Boden und am Kreuze, ausgestreckt wie Christus, lag ein Mensch, ein wirklicher Mensch.

      Ihr erster Gedanke war: da treibt Einer sein Gespött. – Aber als sie immer wieder hinschaute, sah sie: sein Gesicht ist blaß wie Stein. – Ein Verunglückter oder eine heilige Erscheinung? – Verzagt nahte sie dem Kreuze und ihr Grauen wuchs. War es doch fast, als wären Hände und Füße wirklich angeheftet, so stramm spannten sich die Glieder. Das Haupt war hingeneigt zum linken Arm, die Haare legten sich in Strähnen über das Holz. So lag er da und war vom Morgenroth beschienen.

      Jetzt brach Sela lautlos zusammen auf ihre Knie. Sie hatte ihn erkannt. Ihn, den sie gesucht seit jenem Tage, da er mit ihr an diesem Kreuze gewesen. »Erlefried!« Sie stürzte auf ihn hin. –--

      Vor der Erschütterung, vor dem gellenden Schrei war der bis zum Tod Erschöpfte zu sich gekommen, war erwacht.

      »Sela!« sagte er leise wie in einem Traum, »meine Sela!« Und hob seinen rechten Arm vom Kreuze und umfing ihren Nacken.

      Sie war einer Ohnmacht nahe. Er zog ihr Haupt zu sich nieder, er küßte sie mit Gluth, mit Andacht: »Lieber himmlischer Engel! Ich sehe Dich wieder, Du liebe Welt!« Plötzlich aber sprang er empor, mit rollenden Augen blickte er um sich, zog mit einer Hand das Mädchen an sich, schob es mit der anderen hinweg: »Sela!« rief er mit erschütternder Stimme. »Mich hat Gott verlassen.«

      Sie schmiegte ihre Arme um seinen hals uns sagte mild, da ihre Lippen zitterten: »ich verlaß Dich nicht.«

      Tages Licht und Lärm ist vergangen, der Himmel ist schwer umzogen, wir hören nicht mehr das Schreien der Rehe im Wald, nicht mehr das Rauschen des Wildbaches, wir hören das Ticken der ewigen Uhr, die das Leben des Menschen mißt.

      Der Erzähler dieser Ereignisse gesteht es: er war der Erste, der vor all dem, was die Sagen und Aufzeichnungen über Trawies darthun, tief erstaunte. Doch mußte er sich sagen: die Zeit war damals eine andere, die Menschen waren befallen von ungeheuren Irrthümern.

      Wer aber, der mitten in der Menschheit steht, hat das Recht so zu sprechen? Sind wir heute im Reinen?

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