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Zwischenfall wie vom Donner gerührt. Als nächstes wünschte er zu wissen, wieviel Zeit es wohl brauchen würde, um… Ich unterbrach ihn abermals. Da ich hungrig war, versteht ihr, und er mich stehen ließ, so wurde ich allmählich wild. ›Wie könnte ich das sagen‹, warf ich hin. ›Ich habe das Wrack noch nicht einmal gesehen – ein paar Monate zweifellos.‹ Das ganze Gerede schien mir so nichtig. ›Ein paar Monate‹, sagte er. ›Nun, sagen wir drei Monate, bevor wir wieder aufbrechen können. Ja. Das sollte für die Geschichte wohl genügen.‹ Ich rannte aus seiner Hütte hinaus (er lebte ganz allein in einer Lehmhütte mit einer Art Veranda) und murmelte dabei meine Ansicht über ihn vor mich hin. Er war ein geschwätziger Trottel. Das nahm ich später zurück, als sich mir die Erkenntnis aufdrängte, mit wie ungewöhnlicher Genauigkeit er die Zeitspanne für die ›Geschichte‹ abgeschätzt hatte.

      Ich ging am nächsten Tag an die Arbeit und wandte sozusagen der Station den Rücken. Nur so erschien es mir möglich, meinen Anteil am werktätigen Leben weiter zu sichern. Immerhin muß man sich ja mitunter umsehen; und dann sah ich diese Station, diese Männer, die ziellos im Sonnenschein des Gartens herumschlenderten. Mitunter fragte ich mich, was das alles wohl bedeuten sollte. Sie wanderten da-und dorthin, mit ihren lächerlichen langen Stäben in den Händen, wie eine Schar ungläubiger Pilger in die baufällige Umzäunung gebannt. Das Wort ›Elfenbein‹ zitterte in der Luft, wurde geflüstert, wurde geseufzt. Man hätte glauben können, sie beteten es an. Ein Hauch törichter Raffsucht wehte durch all das, wie die Ausdünstung eines Kadavers. Bei Gott! Nie in meinem Leben habe ich etwas so Unwirkliches gesehen. Und die stille Wildnis außerhalb, die diesen gelichteten Erdenfleck umgab, sprach mich wie etwas unbesiegbar Großes an, wie das Böse oder die Wahrheit schlechthin, ruhig wartend, daß der verrückte Einbruch sein Ende finden möge.

      Oh, diese Monate! Reden wir nicht davon! Verschiedenes ereignete sich. Eines Abends brach in einem Schilfschuppen voll Kaliko, bedrucktem Kattun, Glasperlen und ich weiß nicht, was sonst noch, ein Brand aus, und zwar so plötzlich, daß man hätte glauben können, die Erde habe sich geöffnet, um durch ein rächendes Feuer den ganzen Plunder verzehren zu lassen. Ich rauchte eben ruhig meine Pfeife neben meinem abgetakelten Dampfer und sah sie alle mit hochgeworfenen Armen vor dem Lichtschein herumtanzen, als der stämmige Mann mit dem Schnurrbart zum Fluß heruntergesaust kam, mit einem Blechkübel in der Hand mir versicherte, daß alle sich ›großartig, großartig hielten‹, etwa einen viertel Liter Wasser schöpfte und wieder zurückrannte. Ich bemerkte auch, daß sein Eimer ein Loch im Boden hatte.

      Ich schlenderte hinauf. Eile war unnötig. Das Ding war ja abgebrannt wie eine Streichholzschachtel. Hoffnungslos vom ersten Augenblick an. Die Flamme war hochgeschossen, hatte alles zurückgetrieben, alles beleuchtet – und war wieder zusammengesunken. Der Schuppen war nur noch ein Haufen glühender Asche. Nahebei wurde ein Neger geprügelt. Man sagte mir, er habe den Brand auf irgendeine Weise verschuldet; ob das nun stimmte oder nicht, jedenfalls schrie er ganz fürchterlich. Ich sah ihn später einige Tage lang in einem kleinen Schattenwinkel sitzen; er sah recht elend aus und versuchte; sich zu erholen; schließlich erhob er sich, ging weg – und die Wildnis nahm ihn lautlos wieder an ihre Brust. Als ich mich aus dem Dunkel der Glut näherte, fand ich mich plötzlich gerade hinter zwei Männern, die miteinander sprachen. Ich hörte den Namen Kurtz nennen, dann die Worte ›Vorteil aus dem unglücklichen Zufall ziehen‹. Einer der Männer war der Direktor. Ich wünschte ihm einen guten Abend. ›Haben Sie jemals so was gesehen, wie? Es ist unglaublich‹ sagte er und ging davon. Der andere blieb. Er war ein erstklassiger Agent, jung, elegant, ein wenig verschlossen, mit einem kleinen Spitzbart und einer Hakennase. Er war zurückhaltend gegen die anderen Agenten, die ihrerseits behaupteten, er sei vom Direktor bestellt, um sie zu bespitzeln. Ich selbst hatte kaum je zuvor mit ihm gesprochen. Wir kamen ins Gespräch und schlenderten allmählich von den zischenden Trümmern fort. Dann lud er mich auf sein Zimmer ein, das im Hauptgebäude der Station lag. Er strich ein Zündholz an, und ich konnte feststellen, daß der junge Aristokrat nicht nur silbernes Toilettezeug, sondern auch eine ganze Kerze für sich allein hatte. Gerade damals wurde allgemein angenommen, daß einzig der Direktor ein Recht auf Kerzen hätte. Matten in Negerarbeit bedeckten die Lehmwände; eine Sammlung von Speeren, Assagaien, Schilden und Messern war zur Trophäe zusammengestellt. Das Amt, das diesem Burschen anvertraut war, war die Herstellung von Ziegeln – so hatte man mir gesagt; doch war nirgends in der Station das kleinste Stückchen Ziegel zu sehen, und er war länger als ein Jahr da – und wartete. Anscheinend konnte er Ziegel nicht ohne irgend etwas machen, ich weiß nicht was – Stroh vielleicht. Jedenfalls war es dort draußen nicht zu finden, und da kaum anzunehmen war, daß es aus Europa geschickt werden würde, so schien es mir nicht ganz klar, worauf er wartete. Vielleicht auf einen besonderen Schöpfungsakt. Doch warteten ja sie alle – alle die sechzehn oder zwanzig Pilger – auf irgend etwas; und auf mein Wort, nach der Art, wie sie es taten, schien es keine üble Beschäftigung, wenn auch, soviel ich sehen konnte, keinem von ihnen etwas anderes zuteil wurde, als irgendeine Krankheit. Sie schlugen die Zeit damit tot, indem sie einer gegen den anderen in der kindischsten Weise hetzten und wühlten. In der ganzen Station herrschte geradezu Verschwörerstimmung; aber natürlich kam es nie zu einem greifbaren Ergebnis. Das eine war so unwirklich wie alles andere – wie die menschenfreundlichen Vorwände des ganzen Unternehmens, wie ihr Gerede, ihre Herrschaft, ihre angebliche Arbeit. Das einzig echte Gefühl war die Sehnsucht, auf eine Faktorei im Innern zu kommen, wo Elfenbein zu holen und also auf Prozente zu rechnen war. Sie verklatschten, verleumdeten und haßten einander einzig deswegen; aber wirklich einen kleinen Finger rühren, o nein! Bei Gott – schließlich gibt es in der Welt doch eine Art Gesetz, das einem Mann erlaubt, ein Pferd zu stehlen, während ein anderer nicht einmal nach der Halfter sehen darf. Geradeswegs ein Pferd zu stehlen. Ganz recht. Er hat es getan, vielleicht kann er reiten. Aber es gibt eine Art, nach einer Halfter zu sehen, die den mitleidigsten aller Heiligen dazu bringen könnte, einfach dreinzuschlagen.

      Ich hatte keine Ahnung, warum es ihm paßte, sich gesellig zu zeigen. Als wir aber in seinem Zimmer plauderten, merkte ich plötzlich, daß der Bursche etwas herausbringen und mich wirklich aushorchen wollte. Er spielte unaufhörlich auf Europa an, auf die Leute, die ich nach allgemeiner Ansicht dort kannte, fragte auch geradezu nach meinen Bekannten in der Grabesstadt, und so weiter. Seine kleinen Augen glitzerten wie Glimmerschein vor Neugierde, obwohl er sich mühte, wenigstens einen Rest von Hochmut beizubehalten. Zuerst war ich erstaunt, doch sehr bald wurde ich höchst neugierig, zu erfahren, was er eigentlich aus mir herausbringen wollte. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, was an mir ihm der Mühe wert scheinen mochte. Es war lustig, zu sehen, wie er sich vergeblich mühte. Denn tatsächlich hatte ich ja nichts als Fieberschauer im Leibe, und im Kopfe nichts weiter als die verteufelte Sache mit meinem Dampfer. Es war offenbar, daß er mich für einen ausgemachten Ränkeschmied hielt. Schließlich wurde er böse und gähnte, um eine Bewegung wütenden Ärgers zu verbergen. Ich erhob mich. Dann bemerkte ich eine kleine Ölskizze, auf Holz gemalt; sie stellte eine verhüllte Frau mit verbundenen Augen dar, die eine brennende Fackel trug. Der Hintergrund war dunkel, fast schwarz, die Bewegung der Frau war gemessen und die Wirkung des Fackellichtes auf dem Gesicht unheimlich.

      Das ließ mich anhalten, und der Hausherr stand höflich dabei und hielt eine Champagnerflasche hoch, in deren Hals die Kerze steckte. Auf meine Frage sagte er mir, daß Herr Kurtz das gemalt habe, in ebendieser Station, vor mehr als einem Jahr, während er auf eine Gelegenheit wartete, nach seiner Faktorei abzugehen. ›Sagen Sie mir bitte‹, fragte ich, ›wer ist dieser Herr Kurtz?‹

      ›Der Chef der Station im Innern‹, gab der andere kurz zurück und sah weg. ›Sehr verbunden‹, sagte ich. ›Und Sie sind der Ziegelmacher der Hauptstation, jedes Kind weiß das.‹ Er schwieg eine Weile. ›Er ist ein Wunder‹, meinte er schließlich, ›ein Sendbote des Erbarmens, der Wissenschaft, des Fortschritts und weiß der Teufel sonst noch was. Wir brauchen‹, begann er plötzlich zu deklamieren, ›zur Durchführung der gerechten Sache, die uns von Europa anvertraut wurde, wenn wir so sagen wollen, höhere Intelligenz, ein weites Herz und Zielfestigkeit.‹ – ›Wer sagt das‹, fragte ich. – ›Viele von ihnen‹, sagte er. ›Manche schreiben es sogar; und so kommt er also hierher, ein besonderes Wesen, wie Sie ja wissen werden.‹ – ›Warum sollte ich das wissen‹, fiel ich ehrlich überrascht ein. Er beachtete es nicht. ›Ja, heute ist er Chef der besten Station, im nächsten Jahr wird

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