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schnell das Thema, damit Lars nicht weiter nachhakt. Einen Moment lang herrscht Stille in der Leitung, bevor mein Bruder antwortet.

      „Heute ist ein guter Tag, aber gestern …“ Lars klingt so ernst, dass ich mich alarmiert aufrichte.

      „Was war gestern?“

      Als Lars berichtet, höre ich an seiner Stimme, wie sehr er mit den Tränen kämpft.

      „Es ging ihm nicht gut. Er war schlecht gelaunt und genervt. Ach Mucki, es tut so weh, ihn jeden Tag so zu sehen und ihm nicht helfen zu können. Und Mama … Sie macht und tut und schuftet sich halb zu Tode, aber es hilft einfach nichts. Sie kann es nicht mehr lange. Das Restaurant, die Pflege … Ich versuche zu helfen, wo ich kann, doch wenn es so weitergeht … Mama ist am Ende ihrer Kraft. Sie gibt es nicht zu, aber ich sehe es ihr an.“

      Schweigend nicke ich, obwohl mir klar ist, dass Lars es nicht sehen kann. Doch Sprechen geht im Moment nicht. Der Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, verhindert, dass Worte meinen Mund verlassen können.

      Diese Hilflosigkeit, die ich durch meine Suche nach einem reichen Kerl versuche, in den Griff zu bekommen, kehrt auf einen Schlag zurück. Seit mein Vater vor knapp zwei Jahren einen schweren Schlaganfall erlitten hat, hat sich mein Leben von Grund auf geändert. Seitdem mache ich alles, um ihn und meine Mutter irgendwie zu unterstützen. Bei Lars sieht es ebenso aus. Er hat seinen Job gekündigt und arbeitet nun im Restaurant meiner Eltern. Bis zu diesem Tag, der alles veränderte, haben meine Eltern das Restaurant gemeinsam geführt. Mein Vater hat die Büroarbeit, die Buchhaltung und den Einkauf gemacht, während meine Mutter im Service tätig war. Ein Koch und ein paar Kellner hatten sie als Angestellte und es lief wirklich gut. Doch seit dem Schlaganfall ist mein Vater ein Pflegefall.

      Den Moment, als die Ärzte uns mitteilten, dass er nie wieder gesund werden würde, habe ich bis heute vor Augen. Meine Mutter ist zusammengebrochen, während mein Bruder und ich wie erstarrt waren und nicht begreifen konnten, was die Ärzte uns erzählten. Monatelang war mein Vater in der Reha, doch es brachte nur minimale Verbesserungen seines Zustands. Er kann kaum reden, nicht laufen, nicht allein essen und muss rund um die Uhr gepflegt werden.

      Mein Bruder hat das Restaurant übernommen, während ich meine Mutter bei der Pflege meines Vaters unterstützt habe. Doch das Geld reichte hinten und vorn nicht. Obwohl unser Restaurant noch immer jeden Abend gut besucht wird, ist nie genug Geld da. Das Haus, in dem meine Eltern leben, müsste rollstuhlgerecht umgebaut werden, meine Mutter bräuchte dringend professionelle Hilfe bei der Pflege, die wir uns allerdings nicht leisten können. Zwar kommt jeden Tag ein Pflegedienst, aber die Entlastung dadurch reicht einfach nicht aus. Monatelang habe ich darüber nachgedacht, was ich machen könnte, um das fehlende Geld aufzutreiben. Klar, ich hätte Lotto spielen können oder in einem Kasino mein Glück versuchen, doch da hätte ich vermutlich mehr verloren als gewonnen. Irgendwann kam mir die Idee, mir einen reichen Kerl zu angeln. Genau genommen war es Lars, der das unbedacht daher gesagt hat. Seine Idee ließ mich nicht mehr los, und so beschloss ich, es einfach zu versuchen. So bin ich nach Hamburg gekommen.

      „Bist du noch dran?“ Die Stimme meines Bruders reißt mich aus meinen Erinnerungen.

      „Ja, klar. Entschuldige, ich hab gerade überlegt, ob es nicht noch eine Möglichkeit gibt, aber mir fällt nichts ein.“

      „Ich hab leider auch keine Idee mehr. Eine Pflegekraft, die rund um die Uhr hier wäre, das wäre es. So könnte Mama mal wieder durchatmen, einfach mal für eine Stunde raus und den Kopf frei kriegen. Sie hätte die ganze Last nicht mehr allein zu tragen, aber wie sollen wir das bezahlen?“

      „Ja, das ist es halt. Ich spare bereits, wo ich nur kann, aber so eine Pflegekraft kostet über zweitausend Euro im Monat.“

      „Ach Mucki! Das ist doch nicht deine Aufgabe. Du zahlst schon so viel! Du kannst auch nicht auf alles verzichten.“

      Ich weiß, dass mein Bruder recht hat, aber in solchen Momenten denke ich darüber nach, ob es richtig ist, was ich hier mache. Ich kaufe mir teure Klamotten und Schuhe, um mir einen reichen Mann zu angeln. Die Sachen sind Mittel zum Zweck, damit ich hoffentlich irgendwann ein wenig mehr dazu beitragen kann, dass mein Vater die Pflege bekommt, die er braucht.

      Dafür spare ich an so ziemlich allem anderen. Ich kaufe meine Lebensmittel nur beim Discounter, fahre einen uralten, klapprigen Wagen, bei dem fraglich ist, ob er den nächsten TÜV überlebt, und wohne in einer günstigen Einzimmerwohnung. Alles, was am Ende des Monats übrig bleibt, geht an meine Eltern. Um sie zu unterstützen, um ihnen das Leben ein wenig leichter zu machen. Aber ist das richtig? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich so ziemlich alles dafür tun würde, wenn ich meinen Eltern und besonders meinem Vater helfen könnte. Ich würde mich selbst aufgeben – und irgendwie mache ich das ja auch durch meinen Plan, mir einen Millionär zu angeln.

      „Ich weiß, dass es nicht meine Aufgabe ist, Lars. Aber irgendwas muss ich machen. Ich kann nicht dabei zusehen, wie Mama zugrunde geht und Paps vor sich hinvegetiert.“ Schniefend wische ich mir über die Augen, als Tränen meine Sicht verschleiern.

      „Vielleicht sollten wir doch darüber nachdenken, ob ein Pflegeheim …“

      „Nein! Hör auf, Lars! Darüber haben wir schon gesprochen!“, unterbreche ich meinen Bruder sofort. „Paps wird nicht in ein Heim kommen! Das würde er nicht überleben und Mama wahrscheinlich auch nicht. Wir können die beiden nicht trennen und Mama würde dem auch nicht zustimmen. Überleg doch mal, das nächste Heim ist beinahe dreißig Kilometer entfernt und hat einen ganz miesen Ruf. Alle anderen sind noch weiter weg, und wenn du ein wirklich gutes Pflegeheim möchtest, musst du dafür entsprechend zahlen. Mama würde jeden Tag hinfahren wollen und mit den Benzinkosten wären wir dann finanziell auch nicht besser aufgestellt als mit einer Pflegekraft. Mal abgesehen von der Zeit, die Mama täglich unterwegs wäre. Sie möchte das nicht, das hat sie ganz klar gesagt!“

      „Ist ja gut! Du hast ja recht. Ich weiß halt einfach so langsam nicht mehr weiter.“ Die letzten Worte sind kaum noch mehr als ein Flüstern. Ein Flüstern, das mir deutlich zeigt, wie verzweifelt Lars ist. Auch er hat nicht mehr lange die Kraft, alles allein zu schaffen. Er kann es nicht mit ansehen, wie unsere Eltern unter der Situation leiden.

      „Lass uns am Wochenende noch mal in Ruhe reden. Vielleicht finden wir ja eine Möglichkeit“, sage ich sanft.

      „Ja, das machen wir. Mama freut sich übrigens schon sehr auf deinen Besuch.“ Lars’ Stimme klingt wieder fester, sicherer.

      „Hey, das hört sich ja an, als würde ich nur alle Jubeljahre mal bei euch auftauchen. Ich war letztes Wochenende erst da!“, beschwere ich mich scherzhaft.

      „Ach komm, Mucki. Du weißt doch, wie sie ist. Ihr kleines Mädchen allein in der großen Stadt. Sie macht sich halt Sorgen.“

      Gespielt genervt seufze ich auf. „Ob ihr wohl irgendwann mal lernen werdet, dass ich schon groß bin und auf mich aufpassen kann?“ Ein leises Lachen klingt durch das Telefon und ich stimme mit ein. Meine Beschwerde ist nicht wirklich ernst gemeint, ich weiß ja, sie meinen es nur gut mit mir.

      „Ist Mama denn da?“, frage ich.

      „Ja, klar. Warte, ich gebe sie dir.“ Ich höre, wie Lars nach unserer Mutter ruft.

      „Ich freue mich auf Samstag!“, sage ich noch und verabschiede mich dann von meinem Bruder, bevor er das Telefon an meine Mutter übergibt.

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