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Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther Kabel
Читать онлайн.Название Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band
Год выпуска 0
isbn 9788075831101
Автор произведения Walther Kabel
Жанр Языкознание
Издательство Bookwire
»Lieber Freund, Sie haben mich schon so oft gebeten, Ihnen meine Lebensgeschichte zu erzählen. Vielleicht tue ich’s heute. Kommen Sie nachmittags zu mir in das kleine Gärtchen unter der breitästigen Linde. Sie sollen sehen, daß ich Vertrauen zu Ihnen habe. Das soll mein Dank sein. – Und noch etwas anderes. Bleiben Sie jetzt bitte hier und geben Sie acht, ob wirklich einer der Schiffbrüchigen gerettet ist. Nachher erzählen Sie mir alles, nachher. Auf Wiedersehen.«
Leicht, federnden Schrittes ging sie über die Planken der Bootsbrücke hin. Versonnen schaute Doktor Gerster ihr nach.
Ein tiefer, qualvoller Seufzer entrang sich seiner Brust.
»Warum kann es nicht so sein, warum?« dachte er, mit dem Geschicke hadernd, das ihn gerade hier in dem kleinen Fischerdorfe zufällig das Weib kennenlernen ließ, daß er niemals, niemals vergessen würde.
Frau Käti war inzwischen in die Dünen einbogen, wo im Schatten eines größeren, zur Reparatur an Land geschleppten Kutters neben einem jungen, weiß gekleideten Mädchen ein etwa sechs Jahre alter Knabe im Sande spielte. Der Kleine, eine wahre Ausgeburt von Häßlichkeit, mit einem übergroßen Kopf und krankhaft verzerrten Zügen, streckte beim Anblick der Mutter die dünnen Ärmchen aus und rief mit seiner schrillen, quäkenden Stimme:
»Ricki, Kuchen – Kuchen – Kuchen –«
Unaufhörlich wiederholte er das letzte Wort und zeigte dabei mit einem freudigen Lächeln, das sein mißgestaltetes Antlitz noch mehr verzerrte, auf verschiedene Sandtürmchen, die er mit Hilfe von Holzformen hergestellt hatte.
Bei dieser Begrüßung, die der bedauernswerten Frau so recht wieder die ganze Größe ihres Unglücks vor Augen führte, vermochte Käti Deprouval die heißen Tränen gerade in ihrer jetzigen Stimmung nicht mehr zurückzuhalten.
Wildes Schluchzen ließ ihren zarten Körper wie im Krampf erbeben. Achtlos setzte sie sich nieder, vergrub das tränenfeuchte Gesicht in beide Hände und gab sich ihrem Schmerze zügellos hin.
Das junge Mädchen, die Erzieherin des kleinen Richard, redete ihr tröstend zu. Alles vergeblich. – Schließlich nahm sie mit sanfter Gewalt die Fassungslose in ihre Arme und streichelte ihr beruhigend über das blonde, nur von einem dünnen Schleier verdeckte Haar. Das half. – Langsam versiegten die Tränen, die Hände gaben das feine Gesichtchen frei.
»Aber liebe, liebe Frau Deprouval, woher nur wieder dieser Anfall wilder Verzweiflung?« sagte Rita Meinas leise und nahm Kätis Hände tröstend in die ihren.
Frau Käti nickte traurig vor sich hin.
»Wenn Sie wüßten,« sagte sie leise und preßte die Finger des jungen Mädchens mit fast schmerzhaftem Druck. »Oh dieses Entsetzen, wenn so plötzlich die Vergangenheit vor einem wieder auftaucht, wenn Erinnerungen wachwerden, die mich mit Abscheu und Grauen erfüllen –«
Und plötzlich, ganz unvermittelt, sprang sie dann auf und sagte hastig:
»Kommen Sie, Rita, wir wollen gehen. Es ist zu heiß hier am Strande.«
In demselben Augenblick näherte sich wieder eines der Fischerboote, die nach der Brigg hinausgefahren waren, dem Stege. Fluchtartig eilte Frau Käti davon, indem sie ihr unglückliches, schwachsinniges Kind mit sich zog.
* * *
Heinz Gerster hatte den alten Fischer Iversen bei Seite genommen und suchte von ihm zu erfahren, weswegen sie so plötzlich wieder umgekehrt und nach dem gestrandeten Fahrzeug zurückgerudert waren.
»Ja, sehen Sie, Herr Doktor,« sagte der Alte, »das war nu ’ne dolle Sach’. Also, wir fanden da drüben an Bord einen einzigen Mann, einen Passagier der »Karola« . So heißt nämlich die Brigg. Die andern, ja, die hat alle die See verschlungen – alle. Die Leichen werden wohl bald an den Strand getrieben werden. Aber ob grad’ hier bei uns, ist fraglich. Der Mann von der »Karola« packte denn nu seinen Koffer in unser Boot, und wir stießen ab. Mit ’en Mal, dicht an ’en Bootssteg, bückt er sich und sagt so recht barsch: »Augenblicklich umkehren. Ich hab’ was vergessen. Zehn Mark gibt’s, wenn Ihr Euch beeilt.« – Na, zehn Mark!! Wir taten’s. Dann kletterte er wieder allein auf die »Karola« zurück. Wir warten und warten. Er kommt nicht wieder. Und dann steckt er plötzlich den Kopf über die Reling und ruft »Achtung!« und dann ist er auch schon unten im Boot. – Was, denken Sie, hat er geholt? Eines der Schiffsfernrohre, Herr Doktor! Ne komische Sach’, nicht wahr?! Und, während wir dann an Land paddeln, läßt er das Glas nicht von den Augen, sucht damit immer den Strand ab.
»Einsame Küste hier,« meint er zu mir.
»Freilich, Herr. Auf zehn Meilen ist unser Dorf das einzige,« sag ich.
»Habt Ihr auch Badegäste?« fragt er nach ’ner Weile.
»Waren gegen hundert hier, sind aber schon wieder weg,« sag ich zu ihm. »Nur vier haben bis jetzt ausgehalten,« setzt’ ich hinzu.
»So. Wohl Herren alles?« fragt er wieder.
»Nee – das gerade nich. Eine Münchner Dame mit ihrem Kinde und eine Erzieherin und der Doktor Gerster,« geb’ ich zur Antwort.
Da wurde er ganz still. Und mit einem Mal verlangt er, wir sollen ihn nicht am Bootssteg, sondern weiter unten am Strand absetzen.
Nu, wir taten ihm den Gefallen. Und dann mußte ihm Johann Petersen gleich einen Wagen bestellen. Er wollte sofort nach Schülp zum Herrn Landrat fahren, dem er wichtiges mitzuteilen habe. Nachher würd’ er denn zurückkommen und dem Gemeindevorsteher seine Aussage zu Protokoll geben, nämlich über die Strandung. Das muß so sein, Herr Doktor. Seinen Koffer ließ er hier. Und dann fuhr er mit des Kreuzwirts Wagen davon. Abends sei er wieder zurück, sagt er noch.«
Heinz Gerster schlenderte darauf sehr nachdenklich seiner Sommerwohnung zu, die er bei dem Pfarrer des Dorfes gemietet hatte.
Nach dem Mittagessen legte er sich in dem schattigen Garten in seine Hängematte und versuchte die Zeit bis zum Kaffee zu verschlafen.
Endlich konnte er sich auf den Weg zu der Frau Käti Deprouval machen.
Er fand das Nest leer.
»Plötzlich abgereist,« sagte ihr Wirt achselzuckend. »Hier – diesen Brief soll ich Ihnen geben, Herr Doktor.«
Heinz Gerster riß den Umschlag auf und las – las – –
»Lieber Freund!
In unser beider Interesse halte ich es für das Beste, ohne langen Abschied von Ihnen zu gehen. Suchen Sie mich zu vergessen! Es muß sein. Und – nochmals danke ich Ihnen für alles das, was Sie mir gegeben haben durch Ihre zarte, vornehme Aufmerksamkeit, Ihre sorgende Freundschaft.
Leben Sie wohl! Auf ewig!
K. D.«
Heinz Gerster atmete schwer. Ihn fröstelte plötzlich. Und dann eilte er seinem Heime zu. Ohne rechts oder links zu blicken schritt er hastig dahin. Käti hatte recht. Er mußte vergessen! – Sie war ja nicht frei, hatte einen Gatten, ein Kind! Und dies Vergessen sollte ihm seine Arbeit bringen. Schon so oft war diese seine beste Trösterin gewesen.
4. Kapitel
Die Spur des Anderen
Fritz Schaper hatte seinen Entschluß, sofort nach Danzig zu fahren, ausgeführt. Angelangt, frühstückte er zunächst auf dem Bahnhof, brachte seinen äußeren Menschen in Ordnung und begab sich dann sofort auf das Einwohnermeldeamt, wo er erfuhr, daß Albert Wendel einen Bruder gehabt habe, der vor sieben Jahren unter Zurücklassung eines einzigen Kindes, einer Tochter, gestorben sei. Diese Tochter habe inzwischen Danzig verlassen. Ihr neuer Wohnsitz sei unbekannt. Weitere Verwandte besitze der verstorbene Minenbesitzer offenbar nicht, meinte der Beamte, mit dem der Detektiv verhandelte.
Schaper