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       Inhaltsverzeichnis

      In dem Polizeibureau der ostpreußischen Mittelstadt Lanken saßen sich an einem stürmischen Oktoberabend zwei Männer gegenüber, von denen der eine soeben erst eine längere Reise zurückgelegt zu haben schien. Wenigstens ließen die neben ihm stehende lederne Handtasche mit aufgeschnalltem Stock und Schirm sowie sein Anzug – er trug einen langen wolligen Herbstulster – mit ziemlicher Sicherheit darauf schließen. Der andere in dem blauen Überrock mit goldenen Achselstücken war der Polizeiinspektor der Stadt, ein älterer, schon etwas bequemer Herr, der jetzt nach nachmaliger eingehender Musterung des späten Besuchers diesem herzlich die Hand hinstreckte.

      »So heiße ich Sie denn bei uns willkommen, Herr Kriminalkommissar. Hoffentlich gelingt es Ihrer Erfahrung, den geheimnisvollen Dieb endlich unschädlich zu machen.«

      Der Kommissar, der von Berlin aus besonders herübergekommen war, um eine Reihe geradezu unerklärlicher Einbruchsdiebstähle aufzudecken, zuckte leicht die Achseln.

      »Vielleicht trauen Sie mir auch zu viel zu, Herr Inspektor. Sie müssen bedenken, daß mir das Terrain hier ganz unbekannt ist und sich mir schon deshalb allerlei Schwierigkeiten in den Weg stellen werden. Trotzdem – hoffen wir das Beste! – meine speziellen Wünsche haben Sie doch für alle Fälle erfüllt, nicht wahr?«

      »Ganz genau. – Hier ist Ihre Einladung zu dem Maskenball, der heute beim Landrat von Oppen stattfindet. Sie lautet, wie Sie sehen, auf den Namen eines praktischen Arztes Dr. Gulling aus Königsberg. Mit dem Veranstalter des Festes habe ich alles Weitere ebenfalls sorgfältig besprochen. Sie werden als ein alter Studienfreund des Landrats in die Gesellschaft eingeführt werden. Einen Maskenanzug finden Sie in jenem Karton, den ich Ihnen nachher sofort unauffällig ins Hotel schicke.«

      Kriminalkommissar Fehlhauser hatte die elegante Einladungskarte, auf deren Vorderseite ein tanzendes Paar, ein Harlekin und eine fesche Bäuerin, abgebildet war, in die Brusttasche seines Rockes gesteckt. Jetzt zog er seine Uhr hervor, ließ den Deckel springen und meinte, nachrechnend:

      »Fünf Minuten nach acht. – Fünf Minuten brauche ich bis zum Hotel, eine Viertelstunde zum Umkleiden, – da habe ich noch eine ganze Weile Zeit. – Also benutzen wir diese und sprechen wir den Fall eingehend durch. Bisher kenne ich ihn ja nur aus Ihren schriftlichen Mitteilungen. –

      Wann und wo fand der erste dieser raffinierten Diebstähle statt?«

      Polizeiinspektor Gruber strich sich nachdenklich über den grauen Vollbart.

      »Einen Augenblick. Ich muß mich erst etwas besinnen. Es liegen ja im ganzen vier einzelne Diebstähle vor, die ich auseinanderhalten muß, was nicht ganz leicht ist, da sie sich in der Ausführung wie ein Ei dem andern gleichen. – Richtig, – der erste war der bei dem Baron von Alten auf Schloß Waldburg.«

      Hier unterbrach ihn der Kommissar.

      »Wenn ich bitten darf, Herr Polizeiinspektor, so erzählen Sie mir diesen ersten Diebstahl mit allen Einzelheiten.«

      »Gut. Es war in diesem Jahr im Mai, als Baron von Alten ein großes Gartenfest arrangiert hatte, zu dem der ganze Adel der Umgegend sowie die Honoratioren unserer Stadt Einladungen erhalten hatten. Während des Feuerwerkes, das gegen zehn Uhr abends im Park des Schlosses vor dem Weiher abgebrannt wurde, sollte ein Diener aus dem im ersten Stock gelegenen Arbeitszimmer des Hausherrn eine Kiste Importen holen. Er fand jedoch die Tür verschlossen und eilte darauf zu dem Baron zurück, um sich den Schlüssel auszubitten. Herr von Alten behauptete jedoch, der Schlüssel müsse im Schloß stecken. Er jedenfalls habe nicht abgeschlossen. Um die Sache aufzuklären, begab sich nun die einzige Tochter des Schloßherrn, Komtesse Marga von Alten, persönlich in das weitläufige, burgähnliche Gebäude. Sie fand die Angaben des Dieners bestätigt. Die Tür war wirklich abgeschlossen und zwar von innen. Jetzt erst stieg in dem Baron ein unbestimmter Verdacht auf. Da das Feuerwerk inzwischen vorüber war, wollte er selbst die merkwürdige Tatsache aufklären. Einer der Diener mußte mit Hilfe einer langen Feuerleiter in das offene Fenster des Zimmers, dessen zweite Tür nach dem Billardsaal sich gleichfalls versperrt fand, einsteigen und von innen aufschließen. Bereits als man die Leiter anlegte, entdeckte man halb verborgen unter dem üppig wuchernden wilden Wein einen Strick, der bis zur Erde herabreichte.«

      »Was für ein Strick war das?« warf der Kommissar ein.

      »Ein Stück von einer gewöhnlichen Wäscheleine,« erwiderte Gruber ohne langes Überlegen. »Der Dieb hatte es sich aus einer Kammer im Dachgeschoß geholt, wo wir das übrige Ende noch aufgerollt fanden.«

      »Mithin muß der Spitzbube im Schloß tadellos Bescheid gewußt haben,« meinte Fehlhauser. »Aber fahren Sie nur fort, Herr Inspektor.«

      »Der Strick war am Fensterkreuz befestigt, und ihn hatte der Dieb auch wohl fraglos auf seinem Rückzuge aus dem Arbeitszimmer benutzt,« begann Gruber seinen weiteren Bericht. »In dem Gemache selbst fand man dann die Schubladen des Schreibtisches sowie alle anderen Behälter durchwühlt. Und der Baron stellte bald fest, daß ihm aus seiner Schatulle gegen sechshundert Mark bares Geld und einige Juwelen fehlten.«

      »Haben Sie auch nach Spuren unter dem Fenster gesucht? Zeigte sich das Weinspalier neben dem herabhängenden Strick geknickt?«

      »Spuren –?! Als ich am nächsten Morgen nach Schloß Waldburg gerufen wurde, war die Erde unterhalb des Fensters von all den Neugierigen so zertrampelt, daß sich nichts von Bedeutung mehr herausfinden ließ. Und – hm, ja, – auf das Weinspalier habe ich, ehrlich gesagt, nicht geachtet.«

      »Aber gerade das war doch die Hauptsache. Der Dieb hätte doch unbedingt ein paar Zweigen bei seiner Klettertour zerbrechen müssen, – wenn er eben diesen Weg wirklich benutzte.«

      »Wozu wohl sonst das Tau?« meinte der Polizeiinspektor kopfschüttelnd. »Natürlich hat er es gebraucht, freilich nur auf dem Rückwege, wie ich schon vorhin behauptete.«

      »So natürlich ist das durchaus nicht. Ich bin sogar der Ansicht, daß er die Leine nur zum Schein an dem Fensterkreuz befestigt hat, – eben um die Behörde auf eine falsche Fährte zu locken. Um dies festzustellen – deshalb fragte ich eben nach den Beschädigungen am Spalier. –

      Doch darauf kommen wir später noch zu sprechen. – Wie verhielt es sich nun mit den anderen Diebstählen?«

      »Die waren, wie gesagt, genau nach der gleichen Methode ausgeführt. Überall fand sich das heimgesuchte Zimmer von innen verschlossen und aus dem Fenster hing die übliche – ›Rettungsleine‹ heraus,« versuchte Gruber zu scherzen.

      »Und – nicht wahr – diese vier Diebstähle wurden doch stets begangen, während man in dem betreffenden Hause ein Fest feierte?« forschte Fehlhauser weiter, ohne den Witz des Inspektors zu würdigen.

      »Haus ist zu bescheiden ausgedrückt. Der Spitzbube hatte vornehmere Neigungen. Die Geschädigten sind sämtliche Adlige und Schloßbesitzer. Alles übrige ist richtig.«

      Der Kriminalkommissar hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und schaute nachsinnend vor sich hin. Draußen heulte der Oktobersturm um die spitzen Giebel des alten Rathauses, in dem das Polizeibureau gleichfalls untergebracht war. Irgend eine lose Regenrinne schlug mit hohlem Klang alle Augenblick gegen die Mauer, Fehlhauser zuckte bei dem Geräusch jedes Mal nervös zusammen. Den alten Gruber störte das nicht. Er war daran gewöhnt. Auch seine Gedanken beschäftigten sich mit ganz anderen Dingen, als die seines Gegenübers. Er dachte an sein behagliches Heim, wo seine getreue Ehehälfte jetzt ohne Zweifel schon mit dem Abendessen wartete. Acht Uhr war ja längst vorüber. Überhaupt – daß man diesen Kriminalkommissar hatte kommen lassen, war doch eigentlich höchst überflüssig. Der würde jetzt auch nichts Besonderes mehr entdecken, wo seit dem letzten Diebstahl bereits zwei Monate verstrichen waren.

      Gruber wartete geduldig, bis der Kommissar wieder das Wort an ihn richten würde. –

      Die Minuten verstrichen. Noch immer saß Fehlhauser bewegungslos auf dem alten, ledergepolsterten Bürosessel und starrte vor sich hin. In dem gelblichen Licht der Gaslampe

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