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auch eine Menge Disziplin.«

      »Bitte, Papa«, wandte Stefan ein. »Das hast du mir alles schon hundertmal vorgekaut. Ich weiß genau, worauf ich mich eingelassen habe, als ich mich entschlossen habe, Medizin zu studieren. Und ich setze auch wirklich alles daran, um ein guter Arzt zu werden, aber ich lasse mich von dir trotzdem nicht gängeln.«

      »Das tu ich doch gar nicht!« verteidigte sich Dr. Daniel.

      »Doch, Papa, so leid es mir tut, aber genau das versuchst du, und das war ja auch der Grund, warum ich vor vier Jahren ausgezogen bin.« Stefan spürte, wie sehr seine Worte den Vater verletzten. Er legte Dr. Daniel eine Hand auf den Arm. »Nimm das nicht persönlich, Papa. Ich liebe und verehre dich, und ich respektiere dein Können als Arzt, aber du mußt einsehen, daß ich meinen eigenen Weg gehe. Ich mache mein Studium, und wahrscheinlich werde ich dann irgendwann Gynäkologe. Mehr Zugeständnisse kann ich dir im Augenblick aber nicht machen.«

      Dr. Daniel senkte den Kopf. Er liebte diese Diskussionen mit seinem Sohn nicht besonders, und für einen Augenblick fragte er sich, ob dieses Gespräch nicht wenigstens heute hätte verhindert werden können. Aber nachdem sie nun schon bei dem leidigen Thema angekommen waren, wollte Dr. Daniel doch noch eine Frage loswerden.

      »Heißt das… du wirst meine Praxis nicht übernehmen?«

      Stefan wich dem Blick seines Vaters aus.

      »Ich habe noch keine endgültige Entscheidung darüber getroffen«, erklärte er. »Das wäre auch viel zu früh, wo ich noch nicht mal mein Examen gemacht habe. Allerdings will ich ehrlich sein – vom Standpunkt des Studenten aus gesehen, würde mich im Moment die Arbeit an einer Klinik mehr interessieren. Wie das nach der Assistenzzeit dann aussehen wird, weiß ich noch nicht.« Er zwang sich zu einem Lächeln. »Vielleicht bin ich dann froh, einer Klinik den Rücken kehren und bei dir in der Praxis einsteigen zu können.«

      Dr. Daniel war enttäuscht, versuchte aber, es sich nicht anmerken zu lassen. Und so nickte er. »Gut, lassen wir es also vorerst dabei bewenden.«

      »Na, ihr zwei, führt ihr schon wieder tiefsinnige Gespräche?« wollte Karina wissen, und ihre fröhliche Art wirkte auf Dr. Daniel gerade nach der eher unerfreulichen Diskussion mit Stefan direkt erfrischend.

      »Nein«, entgegnete er nicht ganz wahrheitsgemäß. »Wir haben uns nur über sein Studium unterhalten.«

      Karina verdrehte die Augen.

      »Oje«, war ihr einziger Kommentar, dann schlang sie ihre Arme um Dr. Daniels Hals. »Weißt du was, Papilein, Tante Irene, Stefan, du und ich werden jetzt einen ausgedehnten Spaziergang machen, der uns zum Waldcafé führen wird.« Sie grinste schelmisch. »Ich sehne mich nach einer frischen, sahnigen Erdbeertorte.«

      Entsetzt starrte Dr. Daniel seine Tochter an. »Bist du noch zu retten? Nach diesem üppigen Mittagessen kannst du an eine Erdbeertorte denken?«

      Karina zuckte die Schultern. »So bis in zwei, drei Stunden habe ich bestimmt wieder Hunger. Also, was ist? Gehen wir?«

      Dr. Daniel und Stefan wechselten einen kurzen Blick, dann standen beide auf.

      »Na schön«, stimmte Dr. Daniel zu. »Auf, zum Waldcafé.«

      *

      Um seine Frau ein wenig abzulenken, hatte Helmut Wenger an diesem strahlend schönen Sonntagnachmittag einen kleinen Spaziergang vorgeschlagen. Hand in Hand schlenderten sie durch den angenehm kühlen Wald, der gleich am Ortsrand von Steinhausen begann.

      Ganz tief atmete Helmut durch. »Diese Luft hier! Wenn man die atmet, dann kann man kaum glauben, daß ein paar Kilometer weiter eine riesige Chemiefabrik steht.«

      »Die uns noch irgendwann alle umbringen wird«, vollendete Kerstin bitter.

      Helmut zuckte die Schultern. »Was soll ich dagegen tun? Der alte Bergmann ist sturer als zehn Esel.« Dann winkte er ab. »Heute will ich nicht darüber reden. Es ist Sonntag. Ab morgen muß ich mich ohnehin wieder mit dem ganzen Mist befassen.«

      Inzwischen hatten sie den zwischen majestätischen Tannen sehr idyllisch gelegenen Waldsee erreicht. Das glasklare Wasser glitzerte im Licht der hereinfallenden Sonne und lud zum Baden ein, doch wenn man die eisige Quelle kannte, die den See speiste, konnte man sich diesen Wunsch schnell wieder verkneifen.

      »Hier könnte man alle Sorgen vergessen«, seufzte Kerstin und blickte versonnen auf den See hinaus.

      Impulsiv nahm Helmut sie in die Arme. »Vielleicht ist alles ja nur halb so schlimm. Dr. Daniel hat doch gesagt, daß es nicht zwangsläufig Krebs sein muß.«

      Kerstin zuckte die Schultern. Das redete sie sich auch immer wieder ein, aber die Angst in ihr blieb trotzdem.

      »Gehen wir noch auf einen Sprung ins Waldcafé?« versuchte Helmut abzulenken. Gerade heute wollte er keine trübsinnige Stimmung aufkommen lassen. Vielleicht war es das letzte Mal, daß er und Kerstin so unbeschwert zusammensein konnten.

      Kerstin zögerte. Eigentlich hatte sie keine Lust, sich jetzt unter andere Menschen zu mischen. Andererseits war der Gedanke an die ausgezeichneten Kuchen und Torten, die es im Waldcafé gab, zu verlockend, als daß sie hätte ablehnen können.

      »Einverstanden, Helmut, gehen wir ins Waldcafé«, stimmte sie zu.

      Doch auf diesen Gedanken schien fast ganz Steinhausen gekommen zu sein, denn als das Ehepaar das hübsch gelegene Café erreichte, waren die Tische im Garten vollständig belegt.

      Kerstin und Helmut wechselten einen Blick.

      »Was machen wir denn jetzt?« fragte Kerstin dann. »Ich habe keine große Lust, mich bei diesem schönen Wetter in die Gaststube zu setzen.«

      »Frau Wenger!«

      Die männliche Stimme ließ sie herumfahren, und dann sah sie sich ganz unverhofft Dr. Daniel gegenüber.

      »Herr Doktor«, erklärte sie überrascht. »Sie sind auch hier?«

      Dr. Daniel lächelte. »Meine Tochter hat uns sozusagen gewaltsam hergeschleift.« Dann wandte er sich Helmut zu und reichte ihm die Hand. »Guten Tag, Herr Wenger. Wir haben uns ja eine halbe Ewigkeit nicht mehr gesehen.«

      »Stimmt. Ich freue mich, daß Sie wieder hier sind.«

      »Möchten Sie sich nicht zu uns setzen?« bot Dr. Daniel an. »Zumindest so lange, bis ein Tisch frei wird.«

      Kerstin nickte. »Das Angebot nehmen wir gern an, Herr Doktor.«

      Sie und Helmut folgten dem Arzt zu einem der größeren Tische direkt am Waldrand.

      Die Begrüßung fiel sehr herzlich aus, dann nahmen Kerstin und Helmut Platz, und auf einmal breitete sich leichte Befangenheit aus. Dr. Daniel ahnte den Grund.

      »Ich glaube nicht, daß Sie sich allzu große Sorgen machen sollten«, erklärte er so leise, daß nur Kerstin ihn verstehen konnte. »Wie ich Ihnen in München schon sagte, kann es sich auch um eine Entzündung handeln.«

      »Wenn es nur so wäre«, seufzte Kerstin, dann sah sie den Arzt mit allzu flehendem Blick an. »Ich habe schrecklich Angst, Herr Doktor.«

      Dr. Daniel zögerte einen Moment. Er hätte gern eingehender mit Kerstin Wenger gesprochen, doch im Hinblick auf die ärztliche Schweigepflicht war hier im übervölkerten Garten eines Cafés wohl nicht der passende Ort dazu.

      »Kommen Sie morgen früh zu mir in die Praxis«, schlug er daher vor. »Dann können wir noch einmal ausführlich über alles sprechen.«

      Kerstin war sichtlich erleichtert. »Danke, Herr Doktor.«

      Und plötzlich entspann sich auch ein lockeres Gespräch. Irene gab ein paar lustige Begebenheiten aus dem Büro in Kiel, in dem sie bis vor ein paar Jahren gearbeitet hatte, zum besten, über die alle herzhaft lachen konnten, und Helmut Wenger imitierte seinen Chef so perfekt, daß sich die kleine Gesellschaft köstlich amüsierte.

      »Ich nehme an, daß sich in der CHEMCO in den vergangenen fünf Jahren nicht

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