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drückte sie sanft.

      »Machen Sie sich keine allzu großen Sorgen, Frau Wenger«, bat er. »Ich weiß schon, das ist leichter gesagt als getan, aber…« Er stockte kurz, dann setzte er hinzu: »Kommen Sie in einer Woche wieder zu mir…, das heißt…« Er wechselte einen raschen Blick mit Dr. Gebhardt, dann sah er Kerstin an. »Ich kehre am Wochenende nach Steinhausen zurück.«

      Diese Eröffnung ließ Kerstin für einen Moment ihre Angst und Sorge vergessen. Sie brachte sogar ein Lächeln zustande.

      »Sie eröffnen Ihre Praxis wieder?« fragte sie und nachdem Dr. Daniel das bejaht hatte, fügte sie hinzu: »Das ist aber schön.«

      »Ich gehe also davon aus, daß Sie meinem Kollegen treu bleiben werden«, mischte sich Dr. Gebhardt jetzt ein.

      Kerstin nickte. »Natürlich, Herr Doktor. Ich bin ja auch aus Steinhausen.«

      Dr. Gebhardt lächelte seinen Studienkollegen an. »Zu deinen treuen Patienten kann man dir nur gratulieren, Robert.«

      Er zögerte einen Moment. »Ich glaube, hier werde ich nicht mehr gebraucht.« Mit einem herzlichen Lächeln verabschiedete er sich von Kerstin, dann verließ er das Zimmer.

      Dr. Daniel und seine Patientin waren wieder allein, und in diesem Augenblick kehrten bei Kerstin Angst und Sorge zurück. Dr. Daniel spürte, was in ihr vorging und ergriff wieder wie tröstend ihre Hand.

      »Also, Frau Wenger, ich werde den Abstrich einschicken und mir das Ergebnis gleich nach Steinhausen kommen lassen«, erklärte er. »Sobald ich es vorliegen habe, rufe ich Sie an, einverstanden?«

      Kerstin nickte. »Wird es… sehr lange dauern?«

      »Nein, Frau Wenger. Ich glaube nicht. Ich bin sicher, daß ich Ihnen bereits Anfang nächster Woche Bescheid geben kann.«

      Kerstin kämpfte mit sich, dann stellte sie die Frage, die ihr im. Herzen brannte, doch: »Und wenn es nun… Krebs ist?«

      »Daran sollten Sie gar nicht denken«, meinte Dr. Daniel. »Außerdem hat die Krebsforschung in den vergangenen Jahren große Fortschritte gemacht. Krebs muß heute kein Todesurteil mehr sein.«

      Kerstin nickte zwar, doch die Angst saß ihr dabei wie ein großer Mühlstein im Herzen.

      Leise schloß Darinka Stöber die Haustür auf, dann sah sie sich nahezu ängstlich um, doch es schien niemand hier zu sein. Wie eine Verbrecherin schlich sie in ihr kleines Zimmerchen unter dem Dach und ließ sich dann aufatmend auf ihr Bett fallen. Sie war froh, daß sie ihren Großeltern nicht hatte begegnen müssen.

      Mit beiden Händen massierte sie ihren Bauch, doch die krampfartigen Schmerzen wollten einfach nicht nachlassen. Wie denn auch? Die Krankheit würde sie langsam auffressen. Darinka wußte nicht, welche Krankheit es war, aber sie kannte die Heimtücke, mit der sie arbeitete. Etliche Wochen lang fühlte sich Darinka völlig gesund – so wie alle anderen Mädchen ihres Alters. Aber dann schlug diese schreckliche Krankheit wieder erbarmungslos zu – mit Schmerzen und Blut… mit entsetzlich viel Blut. Und Darinka wagte es nicht, zu einem Arzt zu gehen. Sie wartete darauf, daß sie irgendwann sterben würde… wie ihre Eltern einst ebenso gestorben waren.

      Vati und Mutti hatten auch so schrecklich geblutet. Das war das einzige, woran Darinka sich noch erinnern konnte. Sie war sehr klein gewesen, als der Unfall geschehen war. Aber sie erinnerte sich noch an das viele Blut. Und nun ging es ihr genauso. Nur, daß sie keinen Unfall gehabt hatte. Oder kam die Krankheit vielleicht von ihrem Sturz vom Barren?

      Das war schon ein paar Monate her. Sie hatten im Turnunterricht am Barren gearbeitet, und plötzlich war Darinka gestürzt. Es war so schnell gegangen, daß niemand mehr hatte helfend zugreifen können. Ja, und kurz danach waren dann die Schmerzen gekommen. Und auch das Blut. Es mußte mit diesem Sturz zusammenhängen.

      »Darinka, du bist ja schon zu Hause.«

      Die Stimme ihrer Großmutter riß sie aus ihren Gedanken. Erschrocken fuhr sie hoch und errötete, als hätte sie etwas Verbotenes getan, doch ihre Großmutter bemerkte es nicht.

      »Komm, Kindchen, ich habe dir Milchreis mit Früchten gemacht«, fuhr sie fort. »Den magst du doch so gern.«

      »Ja, Oma«, stimmte Darinka artig zu, dabei verspürte sie nicht den geringsten Appetit.

      Aufmerksam sah Martha Stöber ihre Enkelin an.

      »Was ist denn los, Kleines?« wollte sie wissen. »Du siehst so blaß aus. Fühlst du dich nicht wohl?«

      Darinka erschrak erneut. Konnte man ihr die Krankheit jetzt schon ansehen? Sekundenlang war sie versucht, ihrer Großmutter alles zu erzählen, verwarf diesen Gedanken aber sofort wieder. Wie sollte sie ihrer Großmutter erklären, wo das viele Blut herkam. Und vor allen Dingen – Oma war alt, und der Arzt sagte immer wieder, sie müsse sich schonen, ihr Herz wäre nicht mehr das gesündeste. Nein, sie durfte Oma auf keinen Fall aufregen.

      »Mit mir ist alles in Ordnung«, zwang sich Darinka zu sagen. »Wir hatten in der Schule ziemlichen Streß, weißt du.«

      Martha Stöber nickte. Sie wußte schon, was von den armen Kindern heutzutage verlangt wurde.

      »Also, dann komm zum Essen, Da­rinka«, meinte sie.

      Mit Mühe unterdrückte das Mädchen einen Seufzer, bevor es der Großmutter nach unten folgte. Die Bauchschmerzen waren so schlimm, daß sie am liebsten geweint hätte, und nur mit Mühe zwang sie sich zu einer Miniportion Milchreis, was Martha Stöber erneut stutzig machte.

      »Mit dir stimmt doch etwas nicht«, behauptete sie. »Milchreis gehört zu deinen Lieblingsspeisen.« Fürsorglich legte sie einen Arm um Darinkas Schultern. »Sag doch, Mädelchen, hast du Sorgen?«

      Darinka schüttelte den Kopf. »Es ist wirklich nichts, Oma. Ich bin nur ein bißchen müde.«

      »Dann leg dich ins Bett«, riet Mar­tha. »Und wenn du dich morgen nicht besser fühlst, wirst du zu Dr. Gärtner gehen.«

      Darinka verzog das Gesicht. Sie mochte den alten Arzt nicht so besonders. Irgendwie hatte sie immer das Gefühl, als würde er gar nicht zuhören, was man ihm erzählte. Und außerdem hatte sie kein großes Vertrauen zu ihm. Er wäre mit Sicherheit der Letzte, dem sie von ihrer Krankheit erzählen würde.

      »Ich bin ganz bestimmt nicht krank«, versicherte sie ihrer Großmutter aus diesen Gedanken heraus, dann stand sie auf. »Ich werde mich ein bißchen ausruhen, Oma.«

      Langsam verließ sie die große Wohnküche und kehrte in ihr Zimmer zurück. Als sie bald darauf im Bett lag und an die Decke starrte, fragte sie sich, wie lange es wohl noch dauern würde, bis sie sterben würde.

      *

      »Was ist los, Robert? Willst du heute Überstunden machen?«

      Dr. Daniel sah von dem Krankenblatt auf, in dem er noch gelesen hatte und genau in Dr. Gebhards Augen. Mit einem tiefen Seufzer lehnte er sich zurück.

      »Ach, weißt du, Kurt, hier in der Praxis, bei meiner Arbeit, da kann ich so schön vergessen«, meinte er. »Und nach Hause zieht es mich überhaupt nicht.«

      Die Worte weckten wieder Mitleid in Dr. Gebhardt. Schon damals – vor fast genau vor fünf Jahren – hatte er sich gefragt, weshalb ein so guter Mensch wie Robert Daniel so hart bestraft wurde. Völlig verzweifelt war er nach München gekommen und hatte seinen einstigen Studienfreund angefleht, ihn aufzunehmen.

      »Seit Karina ausgezogen ist, ist es in meiner Wohnung wie ausgestorben«, fuhr Dr. Daniel fort und riß den Freund damit aus seinen Gedanken.

      Dr. Gebhardt zog sich einen Stuhl heran und setzte sich. »Ich weiß, wie es jetzt in dir aussehen muß«, meinte er, und Dr. Daniel spürte, daß seine Anteilnahme echt war. »Als meine Tochter damals zu ihrem Freund gezogen ist, ging es mir ähnlich. Ich habe sie ganz schrecklich vermißt, und so gar heute gehe ich noch ab und zu in ihr Zimmer und denke an die Zeit, als sie noch mein kleines Mädchen war.« Er zwang sich zu einem Grinsen. »Verrückt, was?«

      »Ja,

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