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Doch weiter kam er nicht.

      »Vielleicht hörst du mir erst mal zu, was ich überhaupt brauche!«, blaffte sein Vater ihn an. »Du weißt genau, dass ich diese Dazwischen-Quatscherei nicht ausstehen kann.«

      Lorenz war lange Zeit in Amerika gewesen und hatte vergessen, wie sich sein Vater seiner Umwelt gegenüber benahm. Auf einmal verstand er Janines Zögern, als er sie gebeten hatte, den alten Patriarchen zu betreuen. Er ahnte, welches Opfer er von ihr verlangt hatte. Und konnte es doch nicht ändern.

      »Also schön«, seufzte er schließlich ergeben und zog sein Mobiltelefon aus der Tasche, um die Wünsche seines Vaters zu notieren. »Was brauchst du?«

      Einen Moment lang haderte der alte Herweg mit sich, ob er Lorenz erneut kritisieren sollte, verzichtete dann aber darauf. Stattdessen begann er zu diktieren.

      *

      »Ich kann vor Schmerzen kaum mehr schlafen!«, seufzte Karla Fröbel theatralisch, als sie vor Danny Nordens Schreibtisch saß.

      Schon im Vorfeld hatte der junge Arzt ein EKG angeordnet. Die Aufzeichnungen lag jetzt vor ihm auf dem Tisch.

      »Das EKG ist völlig unauffällig«, erklärte er so geduldig wie möglich. Seit Wochen kam die aufgetakelte Blondine unter fadenscheinigen Gründen zu ihm in die Sprechstunde. Bisher hatte er kein einziges Mal eine Erkrankung feststellen können.

      »Glauben Sie mir etwa nicht?« Beleidigt schürzte Karla Fröbel die vollen Lippen. Es war unschwer zu erkennen, dass sie ihrem jugendlichen Aussehen auf die Sprünge geholfen hatte.

      »Natürlich glaube ich Ihnen. Immerhin könnten Ihre Beschwerden auch psychosomatischer Natur sein«, zeigte sich Danny verständnisvoll und tippte seine Erkenntnisse in den Computer. »Leiden Sie momentan sehr unter Stress? Gibt es Probleme in der Familie, die Ihnen Sorgen bereiten?«

      Karla Fröbel schüttelte den blondierten Kopf.

      »Meine Eltern sind schon lange tot, zur Familie meiner Schwester habe ich keinen Kontakt. Seit meiner Scheidung bin ich allein in München.« Mitleidheischend riss sie die Augen auf.

      Dabei sah sie so komisch aus wie eine Comicfigur, und um ein Haar hätte Danny laut aufgelacht. Gerade noch rechtzeitig konnte er sich beherrschen.

      »Und was ist mit Ihrer Arbeit?«

      »Die läuft hervorragend. Als selbstständige Antiquitätenhändlerin kann ich viele Prominente zu meinen Kunden zählen«, berichtete die Patientin nicht ohne Stolz und ganz so, als wollte sie Danny damit beeindrucken.

      Doch das Gegenteil war der Fall. In den Augen des pragmatischen Arztes gab es kaum Sinnloseres, als für alte Möbel astronomische Summen auszugeben.

      »Möglicherweise macht Ihnen das Alleinsein mehr zu schaffen, als Sie denken, und deshalb ist Ihr Herz so schwer. Das kann schon mal so weit gehen, dass solche Schmerzen entstehen.« Im Stillen dankte er seiner Mutter für ihren Ausflug in die Kinder- und Jugendpsychiatrie, dem er einiges psychologische Wissen zu verdanken hatte.

      Karla Fröbel legte den Kopf schief und blinzelte ihn unter schwarz getuschten Wimpern an.

      »Das kann natürlich sein, Herr Doktor«, säuselte sie. »Können Sie mich trotzdem vorsichtshalber untersuchen? Wenn ich weiß, dass organisch alles in Ordnung ist, bin ich ein bisschen beruhigter.«

      Eine körperliche Untersuchung hatte Danny unter allen Umständen vermeiden wollten. Da ihm aber keine geeignete Ausrede einfiel, musste er schließlich in den sauren Apfel beißen.

      »Bitte kommen Sie mit!«, forderte er Karla auf und brachte sie hinüber zur Untersuchungsliege. »Bitte machen Sie den Oberkörper frei.«

      Darauf schien Karla Fröbel nur gewartet zu haben und riss sich förmlich die Bluse vom Leib, dass sie nur noch bekleidet mit einem weißen Spitzen-BH vor Danny stand und ihn engelsgleich anlächelte. Er setzte das Stethoskop auf die Ohren und wollte sie eben abhören, als sie kurzerhand nach seiner Hand griff und sie auf ihren wogenden Busen legte.

      »Hier, genau hier tut es weh«, erklärte sie.

      Erschrocken zog Danny die Hand zurück.

      »Schon gut, Frau Fröbel«, erklärte er schroff und sah sie so böse an, dass sie betreten die Augen niederschlug und den Rest der Untersuchung regungslos über sich ergehen ließ.

      »Wie schon vermutet müssen Ihre Herzschmerzen psychisch bedingt sein. Organisch ist alles in Ordnung«, erklärte Danny, als er wieder zutiefst erleichtert an seinem Schreibtisch saß. »Ich schreibe Ihnen die Adresse eines guten Psychologen auf. Der wird Ihnen sicher weiterhelfen können.« Er notierte die Adresse eines Kollegen auf ein Stück Papier und schob es über den Schreibtisch.

      Karla Fröbel dankte ihm einsilbig und steckte es in die Tasche. Sie ärgerte sich noch immer darüber, dass der junge Arzt ihren Annäherungsversuch so rüde abgeschmettert hatte, und sann schon jetzt darüber nach, wie sie ihn doch noch von sich und ihren Qualitäten überzeugen konnte.

      Davon ahnte Danny Norden allerdings nichts, als er nur ein paar Minuten später aufatmend die Tür hinter ihr schloss in der Ansicht, sie so bald nicht wiederzusehen.

      *

      Als hätten sich die Kunden abgesprochen, ging es an diesem Vormittag hoch her in der Bäckerei ›Schöne Aussichten‹. Wahre Berge an verschiedenen Brotsorten und Brötchen, süßen Teilchen und Kuchen gingen über den Tresen. Nebenbei florierte das Café und die Aushilfe kam kaum mit den Bestellungen hinterher. Erst gegen Mittag kamen die Mitarbeiter ein wenig zur Ruhe und konnten sich eine kleine Auszeit gönnen.

      »Was ist los mit dir?« Die junge Mitarbeiterin Marla nutzte die erstbeste Gelegenheit, um diese Frage bei ihrer Chefin loszuwerden. »Heute Nacht war die Stimmung bei euch ja echt prickelnd. Und als Danny heute hier war, hast du ihn auch kaum eines Blickes gewürdigt.« Nachdem Marlas Freund mit einer Überdosis Drogen in die Klinik eingeliefert worden war, wohnte sie vorübergehend bei Danny und Tatjana. Inzwischen suchte sie nach einer eigenen Bleibe. Aber noch bekam sie alles hautnah mit, was sich zwischen dem Paar abspielte.

      Genervt stellte Tatjana die Kaffeetasse beiseite und griff in die Schüssel mit Hefeteig. Sie klatschte ein Stück Teig auf die Arbeitsplatte.

      »Nichts.«

      Marla schnaubte.

      »Das kannst du deiner Großmutter erzählen.«

      »Eben nicht. Ich hab keine mehr«, erwiderte die Bäckerin lakonisch und begann, das Teigstück zu bearbeiten.

      Mit verschränkten Armen lehnte Marla an der Arbeitsplatte und strich sich eine braune Strähne aus dem Gesicht.

      Als sie in der Bäckerei angefangen hatte, waren ihre Haare noch blau gewesen. Inzwischen hatte sie aber so viel Selbstbewusstsein aufgebaut, dass sie auf solche stummen Hilferufe verzichten konnte. Das lag nicht zuletzt am Umgang mit Tatjana, die nach einem Unfall sehbehindert war. Eine Operation hatte ihr einen Teil ihres Augenlichts zurückgegeben. Doch die unnachgiebige Härte gegen sich selbst sowie eine fast unheimliche Sensibilität, mit der sie ihre Umwelt intuitiv erfasste, beeindruckten Marla so sehr, dass sie sich diese Eigenschaften mehr und mehr selbst aneignete.

      »Du bist sauer auf ihn, weil er dir vor allen Leuten einen Heiratsantrag gemacht hat, stimmt’s?«, sagte sie ihrer Chefin auf den Kopf zu.

      Einen winzigen Augenblick hielt Tatjana in ihrer Arbeit inne. Sie ärgerte sich darüber, dass die blutjunge Marla sie durchschaut hatte.

      »Das war einfach unfair!«, rechtfertigte sie sich schließlich. »Wie hätte ich ablehnen können, ohne dass er das Gesicht verliert?« Je mehr sie darüber nachdachte, umso mehr ärgerte sie sich wieder.

      Wiederum musste das Teigstück darunter leiden. Wütend riss sie es in vier Teile und rollte eines davon so lange hin und her, bis eine lange Schlange entstand.

      »Aber ich dachte, ihr liebt euch? Das Glück dunstet euch ja förmlich aus jeder Pore«, spottete Marla gutmütig. »Was ist dann so schlimm dran, wenn ihr heiratet?«

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