Скачать книгу

Wein und nickte langsam.

      »Ich habe es dir nie erzählt. Aber bevor es passiert ist, hatten meine Eltern einen furchtbaren Streit. Meine Mutter wollte meinen Vater verlassen, weil er so wenig Zeit für uns hatte.«

      »Der Klassiker«, stellte Danny fest.

      »Ja, leider. Nur, dass das Ende bei uns dramatisch war. Mama wollte mich zu einer Freundin bringen und ist im Streit davongefahren. Sie kam nicht mehr zurück.«

      »Wie furchtbar für deinen Vater.« Dannys Mitgefühl galt Tatjanas Vater, der inzwischen als Ingenieur im Orient arbeitete und nur selten nach Deutschland zurückkehrte. Zu schmerzlich waren die Erinnerungen an sein altes Leben; an den Tag, an dem es unwiederbringlich zerbrochen war.

      »Nicht nur für meinen Vater. Auch für mich. An diesem Tag hab ich nicht nur mein Augenlicht verloren. Auch mein Vertrauen in die Ehe ist flöten gegangen«, erklärte Tatjana salopp, um nur ja nicht zu sentimental zu werden.

      Auf keinen Fall wollte sie den Abend der Versöhnung mit zu vielen traurigen Gefühlen belasten.

      Doch es war schon geschehen. Zutiefst betroffen hatte Danny sein Weinglas beiseite gestellt und war aufgestanden. Er ging um den Tisch herum und zog seine Freundin an den Händen hoch zu sich.

      »Warum hast du mir nie was davon erzählt?«, fragte er heiser und nahm sie in die Arme. »Ich hätte dich viel besser verstanden und wäre nicht so in dich gedrungen.«

      Über die Antwort musste Tatjana nicht lange nachdenken.

      »Vielleicht deshalb, weil ihr, du und deine Familie, mir den Glauben Stück für Stück zurückgebt. Weil ich mir vielleicht wirklich vorstellen kann, dich irgendwann zu heiraten«, antwortete sie wahrheitsgemäß und hob den Kopf, um ihm tief in die Augen zu sehen.

      Danny hätte laut auflachen wollen vor lauter Glück. Doch er begnügte sich damit, Tatjana fest an sich zu drücken.

      »Ich gebe dir alle Zeit der Welt, die du brauchst, um das Vertrauen in die Liebe und Ehe wiederzufinden«, versprach er feierlich und beugte sich über sie, um sofort mit seiner Überzeugungsarbeit zu beginnen.

      *

      Janine Merck hatte ihren Freund Lorenz Herweg in die Klinik begleitet. Doch auf seinem schwersten Weg konnte sie ihm nicht helfen.

      »Ich warte in der Cafeteria auf dich«, versprach sie.

      »Danke.« Mehr sagte Lorenz nicht.

      Mit einem flüchtigen Kuss verabschiedete er sich von Janine und machte sich auf den Weg. Je näher er dem Krankenzimmer seines Vaters kam, umso schwerer wurden seine Schritte. Als er Schwester Elena auf dem Flur traf, war das eine willkommene Gelegenheit für einen weiteren Aufschub.

      »Ach, Schwester, kommen Sie gerade von meinem Vater?«, erkundigte er sich.

      »Ja.« Elena musterte den gutaussehenden Mann interessiert. »Er hat eine Tablette bekommen und wird bald schlafen. Wenn Sie noch mit ihm sprechen wollen, sollten Sie sich beeilen«, gab sie ihm einen gut gemeinten Rat und wollte sich schon wieder auf den Weg machen, als Lorenz sie mit einer weiteren Frage davon abhielt.

      »Meinen Sie auch, dass ich ihn zu einer Behandlung überreden sollte? Hat das überhaupt einen Sinn?«

      Schwester Elena drückte das Klemmbrett vor die Brust und dachte kurz nach.

      »Ich glaube nicht, dass Sie Ihren Vater überreden sollten«, tat sie dann ihre Meinung kund. »Reden Sie einfach als Sohn zu ihm. Herr Herweg ist ein einsamer, alter, verbitterter Mann. Ich glaube, der Kern hinter seiner rauen Schale ist weicher, als wir alle annehmen.« Sie lächelte Lorenz aufmunternd an. »Sie müssen auf ihn zugehen. Sie sind doch der Stärkere.«

      »Ich? Der Stärkere?« Diese Einschätzung brachte Lorenz zum Lachen. Doch es war bitter.

      Er verabschiedete sich von Schwester Elena und trat auf die Tür zu. Auf sein Klopfen bekam er keine Antwort und trat schließlich ohne Aufforderung ein.

      »Hallo, Vater.«

      Carl Herweg hörte seinen Sohn sehr wohl. Trotzdem starrte er demonstrativ in die andere Richtung. Lorenz unterdrückte ein Seufzen und zog sich einen Stuhl ans Bett. Eine ganze Weile saß er einfach nur da und schwieg.

      »Weißt du, früher, als Kind, hab ich immer meine Freunde beneidet, die eine richtige Familie hatten«, begann er endlich stockend. »Besonders die Scheidungskinder. Um die haben sich die Väter noch viel mehr gekümmert. Eis essen am Wochenende, Kart fahren, Schwimmen gehen«, zählte er all die Unternehmungen auf, nach denen er sich so sehr gesehnt hatte. »Nur ein einziges Mal hatte ich wirklich das Gefühl, dass wir beide, du und ich, zusammen gehören«, erinnerte er sich plötzlich an einen Sonntagnachmittag vor vielen Jahren. »Mama war bei Simon in der Klinik. Er war krank, und ich war mit dem Hausmädchen allein daheim. Als du nach Hause gekommen bist, hab ich in meinem Zimmer mit der Eisenbahn gespielt. Du bist zu mir gekommen und hast dich einfach zu mir auf den Boden gesetzt, um mit mir zu spielen. Obwohl du einen Anzug anhattest.« Lorenz‘ Stimme war brüchig. Er hielt inne und räusperte sich. »Und auch auf die Gefahr hin, dass du mich jetzt auslachst: Seit fast dreißig Jahren wünsche ich mir diesen Moment zurück.« Seine Augen schwammen in Tränen, und zutiefst gerührt griff er nach den Händen seines Vaters. »Ich will nicht, dass du stirbst, Papa. Es gibt doch noch so viel, was wir zusammen erleben können.«

      Eine Träne tropfte auf Carl Herwegs faltige Hand, die zwischen denen seines Sohnes lag. Langsam hob der alte Patriarch den Kopf, seine Augen suchten Lorenz‘ Blick.

      »Ich weiß noch genau, wie deine Augen damals geleuchtet haben. Damals habe ich mir vorgenommen, öfter für dich da zu sein. Aber dann ist deine Mutter gegangen …« Er atmete stockend, und das Sprechen fiel ihm schwer. Zusätzlich zu seiner Krankheit setzte nun auch die Wirkung der Tablette langsam ein. Trotzdem rang er sich ein paar letzte Worte ab. »Du willst mich noch nicht gehen lassen?«

      Energisch schüttelte Lorenz den Kopf.

      »Nein. Nein, ich will nicht.«

      Carls Augenlider flatterten, aber er lächelte, als er sagte:

      »Gut, dann will ich einmal auf dich hören und mich behandeln lassen.«

      *

      Janine vertrieb sich inzwischen die Zeit wie angekündigt in der Cafeteria der Behnisch-Klinik, wo sich zufällig auch die Klinikchefin eine kleine Pause gönnte.

      »Das war ein anstrengender Tag«, erklärte Jenny Behnisch und gesellte sich zu Janine. »Ich dachte mir, dass eine TasseTee nicht schaden kann.«

      »Da hatten wir offenbar den gleichen Gedanken«, lächelte Janine erschöpft und deutete auf ihre inzwischen geleerte Tasse.

      »Sie sehen aus, als ob Sie eine Entscheidung getroffen hätten.« Jenny Behnisch hatte nie viel Zeit.

      Trotzdem beobachtete sie ihr Personal oft genug sehr genau und ahnte meist, was in den Köpfen vor sich ging.

      Bevor die ehemalige Krankenschwester aber eine Antwort geben konnte, trat Lorenz Herweg zu ihnen.

      Diese Tatsache nahm Jenny zum Anlass, sich wieder an die Arbeit zu machen, und verabschiedete sich nach ein paar freundlichen Worten.

      Lächelnd setzte sich der Unternehmer an den Tisch in der ansonsten menschenleeren Cafeteria. Er griff nach Janines Händen und zwang sie, ihm in die Augen zu sehen.

      »Ich möchte mich bei dir bedanken«, sagte er innig. »Du hattest recht. Ohne dich und deine Überzeugungsarbeit hätte ich niemals das Gespräch mit meinem Vater gesucht.«

      Diese Worte klangen vielversprechend in Janines Ohren.

      »Konntest du ihn zu einer Behandlung überreden?«, fragte sie hoffnungsvoll.

      Lorenz nickte.

      »Morgen wird er die Therapie beginnen.«

      Janine stieß einen Stoßseufzer der Erleichterung aus.

      »Aber dir ist hoffentlich

Скачать книгу