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einmal unglücklich zu machen«, gab Janine wahrheitsgemäß zurück. Sie stand am Fußende des Bettes und musterte Carl Herweg aus sicherer Entfernung. »Aber Sie, Sie sollten Lorenz nicht zurückweisen. Er hat Angst um Sie. Angst, Sie zu verlieren.«

      Mit dieser Ankündigung schien der Unternehmer nicht gerechnet zu haben. Er saß im Klinikbett und öffnete den Mund, um ihn gleich darauf wieder zuzuklappen.

      »Wie… wie meinen Sie das? Zurückweisen?«

      In diesem Augenblick ahnte Janine, dass der Sieg nicht mehr weit entfernt war.

      »Lorenz braucht Ihre Aufmerksamkeit und väterliche Anerkennung mehr als alles andere auf der Welt. Auch mehr als mich«, versicherte sie innig. »Bitte denken Sie nochmal drüber nach.« Mehr hatte Janine nicht zu sagen. Den Rest mussten Vater und Sohn erledigen.

      In Gedanken versunken saß Carl Herweg im Bett. Er bemerkte noch nicht einmal, als sie ihm zunickte und leise das Zimmer verließ.

      Auf dem Weg zum Aufzug fühlte sich die ehemalige Krankenschwester traurig und leer. Doch mit jedem Schritt, den sie in Richtung Praxis machte, wurde ihr Kummer leichter, und am Ende siegte die Gewissheit, die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Doch noch war ihre Mission nicht erfüllt. Nach einem Blick auf die Uhr stellte sie fest, dass ihr noch genug Zeit blieb, um Lorenz in der Firma zu besuchen.

      Janine traf ihn im altmodisch eingerichteten Büro seines Vaters am massiven Nussholzschreibtisch.

      »Janine, das ist ja mal eine tolle Überraschung!« Lorenz‘ aschgraues Gesicht verzog sich vor Freude, und lächelnd stand er auf, um seine Freundin mit einer Umarmung zu begrüßen. »Was treibt dich hierher?«

      »Ich komme gerade von deinem Vater«, kam sie sofort auf den Grund ihres Besuchs zu sprechen und nahm auf dem hässlichen Sessel Platz, der zu einer ebenso hässlichen Sitzgruppe aus den 70er Jahren gehörte. Lorenz bot ihr etwas zu trinken an und setzte sich ihr gegenüber. Dabei runzelte er die Stirn.

      »Du warst in der Klinik?«

      Janine nickte, ehe er fortfahren konnte.

      »Dein Vater hat voller Achtung von dir gesprochen. Und sehr gefühlvoll. Zumindest für seine Verhältnisse«, fügte sie schmunzelnd hinzu.

      Die Falten auf Lorenz‘ Stirn wurden noch tiefer.

      »Gefühlvoll?«, hakte er ungläubig nach.

      »Ja!«

      »Woher sollte der alte Herweg auf einmal Gefühle haben?«, fragte Lorenz. »Ich hatte immer den Eindruck, dass meine Mutter seine Emotionen damals mitgenommen hat.«

      Darüber wusste Janine nichts. Sie wollte auch nichts wissen. Es war nicht mehr wichtig.

      »Vielleicht war er selbst damit überfordert«, mutmaßte sie, doch Lorenz schüttelte entschieden den Kopf.

      »Nein, er war nicht überfordert. Er hatte sich schlicht und ergreifend immer sehr gut im Griff.«

      Janine lehnte sich zurück und musterte den Mann, mit dem sie mehr Zeit ihres Lebens geteilt hatte als mit irgendeinem anderen Mann. Trotzdem war er ihr seltsam fremd.

      »Könnte es nicht sein, dass du ein falsches Bild von deinem Vater hast?«, fragt sie.

      Lorenz lachte bitter auf.

      »Welches Bild sollte ich denn von ihm haben? Er hat mich einfach nie geschätzt. Neben meinem Bruder war ich quasi unsichtbar. Nein«, entschieden schüttelte er den Kopf, »ich kann einfach nicht glauben, dass ich jemals in seinem Leben eine Rolle gespielt habe.«

      Schweigend lauschte Janine den deprimierten Worten ihres Freundes und spielte dabei mit einem losen Faden an ihrer Jacke.

      »Ich weiß auch nicht, was in ihm vorgeht. Aber wahrscheinlich ahnen wir beide gar nicht, mit wieviel Mühe er diese Fassade seit Jahren aufrechterhält.«

      Eine Weile sagte keiner der beiden ein Wort. Lorenz hatte die Hände ineinander verschlungen und versank in Erinnerungen.

      »Vor ein paar Jahren haben wir auf seinen Wunsch hin Weihnachten und Geburtstage abgeschafft. Er hasst alle Rituale. Alles Menschliche, verstehst du?«, versuchte er, Janines Verständnis zu wecken. »Ich hab’s einfach irgendwann aufgegeben, ihn zu erreichen.« Seine Stimme klang deprimiert und bitter. Doch etwas darin ließ Janine nicht aufgeben. Sie wusste selbst nicht, was es war. Ein Hauch von Hoffnung, eine Sehnsucht?

      »Lorenz, wenn sich dein Vater nicht behandeln lässt, wird er ein schweres Leben haben und vor der Zeit jämmerlich sterben. Das ist deine letzte Chance. Du musst noch einmal zu ihm gehen und mit ihm sprechen! Bitte.« Sie sah Lorenz so flehend an, dass er den Blick abwenden musste, um nicht in Tränen auszubrechen.

      »Also gut. Ein Mal versuche ich es noch«, stimmte er endlich zu.

      *

      An diesem frühen Abend erklärte sich Marla bereit, länger in der Bäckerei und dem kleinen Café zu bleiben, sodass Tatjana und Danny ihre Wohnung endlich wieder einmal für sich allein hatte. Während Tatjana ein opulentes Mahl vorbereitete, dankte sie ihrer jungen, klugen Mitarbeiterin im Stillen. Liebevoll deckte sie den Tisch und dekorierte die Tafel mit einem Gespür für Stil und Klasse, wie nur sie es hatte. Ein verführerischer Duft zog durch die Wohnung, als Danny endlich nach Hause kam. Seit seinem Streit mit Tatjana war seine Laune auf dem Nullpunkt. Als ihm aber der unvergleichliche Duft in die Nase zog, blitzte neue Hoffnung in seinem düsteren Gemüt auf.

      »Hmmm, das riecht ja verführerisch«, sagte er und trat zu Tatjana in die Küche, die dort auf ihn gewartet hatte.

      In schwarzen, engen Hosen, die ihre schlanken Beine perfekt zur Geltung brachten, lehnte sie an der Arbeitsplatte und wartete gespannt und unruhig wie selten zuvor auf ihren Freund. Doch schon an seiner Stimme erkannte sie, dass er ihr nicht länger böse war.

      »Die Verführungsszene hatte ich eigentlich erst nach dem Essen geplant«, erwiderte sie und streckte die Hände nach ihm aus. Sie packte ihn am Hemdkragen und zog ihn zu sich, bis ihre ­Gesichter auf gleicher Höhe waren. »Vorausgesetzt natürlich, du kannst dich nach Wildkräutersalat mit Ziegenkäse-Hanuta, Linguine mit Salzwassergarnelen, Avocado und Fenchel und Aprikosen-Millefeuille mit Mandelsahne noch bewegen.«

      Danny schloss die Augen und sog tief den Duft seiner Freundin ein. Wieder einmal erkannte er, dass er nur ein halber Mensch war, wenn er mit Tatjana Ärger hatte, und selten zuvor war er glücklicher gewesen als jetzt. Egal, ob mit oder ohne Hochzeit, er wollte mit ihr zusammen sein und sie nie wieder loslassen.

      »Na ja, es gibt auch Möglichkeiten der Versöhnung, bei denen ich mich nicht viel bewegen muss und nur daliegen und genießen kann«, raunte er ihr heiser ins Ohr und erntete einen Biss ins Ohrläppchen dafür.

      »Also, Herr Doktor, ich muss schon sehr wundern«, kicherte Tatjana, während sich Danny das rotglühende Ohr rieb. »Und jetzt muss ich Sie bitten, Platz zu nehmen. Sonst ist mein schönes Essen gleich verbrannt.«

      Das ließ sich Danny nicht zwei Mal sagen und ließ sich wenig später Tatjanas köstliche Kreationen schmecken. Nachdem der erste Hunger gestillt war, war endlich Zeit für ein Gespräch.

      »Es tut mir leid, dass ich mich hab verrückt machen lassen«, gestand sie und hielt ihm das Glas hin, um mit ihm anzustoßen.

      »Mir tut es auch leid, dass ich so beharrlich und unsensibel war«, gab Danny reumütig zu. Gleichzeitig erinnerte er sich an den Rat seines Vaters. »Magst du mir nicht erklären, warum dieses Hochzeitsthema so schwierig ist für dich?«

      Mit dieser Frage hatte Tatjana gerechnet. Das Weinglas in der Hand lehnte sie sich zurück und sah durch Danny hindurch. Auf einmal war ihre Ruhe dahin, und ihr Herz klopfte wieder aufgeregt in ihrer Brust.

      »Es liegt an dem Unfall«, gestand sie endlich leise.

      »An dem Unfall, bei dem du dein Augenlicht verloren hast und deine Mutter ums Leben gekommen ist?«, fragte Danny behutsam nach.

      Zu gerne, hätte er Tatjana dieses Verhör erspart. Wenn aber

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