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nichts weiter als kalte, blaue Schatten bewachten, die sich über den gepflasterten Petersplatz erstreckten, sah Papst Gregor andächtig auf die Schönheit jenes Landes hinaus, welches er regieren durfte.

      Er blieb einige Zeit an der Verandatür stehen, aber der Schmerz intensivierte sich, als er taumelnd auf deren Brüstung zulaufen wollte, mit einer Hand auf seinen Bauch gepresst und die andere nach dem Geländer ausgestreckt.

      Gregor bewunderte weiter das Land, das ihm mit seiner Papstschaft überantwortet worden war, während sein Atem nur noch in kurzen Stößen ging und seine Lungen Mühe hatten, genug Sauerstoff aufzunehmen, um ihn bei Bewusstsein zu halten. Sechs Monate arbeitete er nun als direkter Diener Gottes. Und in diesen sechs Monaten war er davon überzeugt gewesen, dass seine Hingabe ihn mit einer außergewöhnlich langen Regentschaft als Papst belohnen würde. Sechs Monate waren noch nicht einmal ein Blinzeln aus der Sicht des Universums, befand er. Nicht einmal annähernd.

      »Ich weiß, dass Sie hier sind«, sagte er und das Atmen bereitete ihm nun noch größere Schwierigkeiten.

      Aber er bekam keine Antwort und auch in den Schatten rührte sich nichts. Kein einziges Geräusch war zu hören, nicht einmal der Hinweis auf Schritte.

      »Glauben Sie wirklich, dass Gott Ihre Taten ungesühnt lassen wird?«

      Das schwache Rauschen einer frischen Brise fuhr an ihm vorüber, eine süße, beruhigende Melodie. Er schloss die Augen und wartete.

      »Gott wird Sie dafür nicht belohnen«, rief er aus. »Egal, welches Amt Sie in der Kirche begleiten, der einzige Lohn, den er für Sie bereithalten wird, ist das Feuer der Verdammnis.«

      Der Pontifex stützte sich mit einer Hand auf dem Geländer der Veranda ab, dann begann er zu wanken, vor und zurück, und drohte, auf den Platz unter ihm zu stürzen.

      »Das Feuer der Verdammnis«, flüsterte er. Dann riss er die Augen auf, als er eine Hand an seinem Rücken und direkt danach den Stoß spürte, gerade kräftig genug, um ihn über die Brüstung zu stoßen. Der alte Mann begann wild mit den Armen zu rudern, während er sich zu seinem Vollstrecker umdrehte. Seine Füße verloren den Halt, er rutschte über die Brüstung, und während das Pflaster mit unvorstellbarer Geschwindigkeit auf ihn zuraste, verschwand die Veranda über ihm in immer weiterer Ferne. Der Mond kreiste um ihn herum und schien traurig auf das Ende des alten Mannes hinunterzublicken.

      Dann schlug er auf den Steinen auf, hart und mit dem Geräusch einer Melone, die auf dem Boden zerplatzte.

      Doch der Pontifex war noch nicht tot und nahm den Geruch von Kupfer wahr, der durchdringend in der Luft hing, während sich unter ihm Blut in alle Richtungen ausbreitete.

      Er hustete Blut aus seinen aufgerissenen Lungen und starrte hinauf, um einen Blick auf seinen Gott zu erhaschen, doch stattdessen sah er einen Schatten von seiner Veranda auf sich herabschauen. Er war reglos wie eine griechische Statue und schien ein Ornat zu tragen. Dann zog sich der Umriss von der Brüstung zurück und verschwand so lautlos, wie er gekommen war.

      Langsam wich das Leben aus dem Körper des Pontifex. Die Ränder seines Sehfeldes begannen erst schwarz, dann violett zu werden, und danach flackerten die Lichtblitze auf, die ihn zu der göttlichen Erleuchtung führen würden.

      Der Pontifex hob seine von dem Aufprall gebrochene und verdrehte Rechte, reckte sie dem erlösenden Licht zu, welches nur er selbst sehen konnte, lächelte und gestattete sich schließlich, allem Irdischen zu entsagen.

       Boston, Massachusetts, das Erzbistum Bostons

      In den letzten sechs Monaten nach seiner verlorenen Kandidatur für die Nachfolge des Papstes diente Kardinal Bonasero Vessucci dem Erzbistum Bostons. Er hatte sich zuerst der Kritik und sogar der Ächtung dafür ausgesetzt gesehen, einer ausgewählten Gruppe von Kardinälen vorzustehen, die als der Rat der Sieben bekannt waren. Zusammen mit Papst Pius XIII. hatten diese erkannt, dass gefährliche Zeiten angebrochen waren und ihre Kirche zunehmend ein lohnendes Ziel abgab. Um weiterhin für ihre Unabhängigkeit, ihre Interessen und das Wohlergehen ihrer Bürger sorgen zu können, hatte Kardinal Vessucci eine geheime Gruppe von Elitesoldaten befehligt, die Ritter des Vatikan.

      Ihre Missionen führten sie normalerweise an Brennpunkte überall auf der Welt, und um ihre Ziele zu erreichen, griffen sie, wenn es keine anderen Optionen mehr gab, oft zu Maßnahmen, die als brutal angesehen wurden. Bei ihren Einsätzen starben Menschen. Doch viel mehr Menschen überlebten, und das waren stets jene, die unschuldig waren oder sich nicht selbst helfen konnten.

      Papst Gregor weigerte sich jedoch, ihre Notwendigkeit in einer Welt anzuerkennen, in der sich das Böse tagtäglich wie ein Krebsgeschwür weiter ausbreitete, und löste den Ritterbund alsbald auf. Unmittelbar danach versetzte er auch die Angehörigen des Rates der Sieben in alle Himmelsrichtungen der Welt, und so landete Vessucci schließlich in den Vereinigten Staaten.

      Und obwohl er die Kirche liebte, vermisste er seine Soldaten, seine Ritter des Vatikan, denn er wusste, dass sich die Kirche auf diese Weise in den letzten sechs Monaten angreifbar und verwundbar gemacht hatte. Wie viele Menschen verloren ihr Leben, obwohl man sie hätte retten können?, schoss es ihm immer wieder durch den Kopf, und diese Frage stellte er sich auch jeden Morgen, bevor er mit seiner Morgenandacht begann, zusammen mit der Sorge, was wohl aus den Rittern geworden war, seit man sie aus ihren Diensten entlassen hatte.

      Er wollte sich gerade zu Bett begeben, als es leise an seiner Tür klopfte.

      »Einen Moment, bitte.«

      Als er die Tür öffnete, stand dort der Bischof, mit einem finsteren Blick im Gesicht.

      »Ja, Bischof?«

      »Ich fürchte, mich haben gerade furchtbare Nachrichten ereilt, die ich mit Ihnen teilen muss.«

      Der Kardinal öffnete die Tür etwas weiter, als Zeichen, dass der Bischof doch hereinkommen sollte. Der Mann blieb jedoch auf der Türschwelle stehen. »Ich wurde soeben darüber benachrichtigt, dass der Papst verstorben ist.«

      Vessucci blieb der Mund offen stehen.

      »Allem Anschein nach war er Opfer eines tragischen Unfalls und fiel von seinem Balkon. Er wurde noch vor Ort für tot erklärt, bevor man ihn ins Gemelli brachte.«

      Vessucci war sprachlos. Der Pontifex hatte sein Amt erst für sechs Monate begleitet. Außerdem war man davon ausgegangen, dass er diese Position für die nächsten zwei, wenn nicht gar drei Jahrzehnte innehaben würde, denn er war körperlich in bester Verfassung. »Wann ist das passiert?«

      »Vor zwei Stunden. Man wird es bald offiziell bekanntgeben. Aber bevor es so weit ist«, erklärte der Bischof und reichte Vessucci ein einzelnes Dokument, »wünscht man Ihre Anwesenheit im Vatikan.«

      Vessucci starte das Papier einen langen Augenblick an, bevor er die Hand hob, um es entgegenzunehmen. »Danke«, flüsterte er, dann schloss er die Tür. Er brauchte keinen Blick auf das Schriftstück zu werfen, um zu wissen, was darauf geschrieben stand: die Bitte, sich mit dem Kardinalskolleg zusammenzufinden und erneut eine Konklave abzuhalten. Er legte das Papier vorsichtig auf seinem Nachttisch ab und starrte in den nächtlichen Himmel hinaus.

      Vor sechs Monaten war er kurz davor gewesen, selbst das Amt des Papstes zu gewinnen. Dabei hatte er auf starke Unterstützung bauen können, allerdings nicht stark genug für die beiden gegnerischen Lager, die sich am Ende gegen ihn verbündet hatten. Nun aber war die Chance auf den päpstlichen Thron in greifbare Nähe gerückt.

      Langsam nahm er seine fünf Sinne zusammen und begann für seine Reise nach Vatikanstadt zu packen.

      Kapitel 4

       Las Vegas, Nevada, Innenstadt

      Sechs Monate, nachdem die Ritter des Vatikan aufgelöst worden waren, war Kimball Hayden zu einem verlorenen Sohn geworden, in einer Welt, die ihn schon viel früher abgewiesen hatte. Von dem Zeitpunkt an, da er als junger Mann versucht hatte, sich im Weißen Haus einen Namen zu machen, wurde er zu einem politischen Attentäter, der

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