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war es absolut still.

      Sakharovs Blick wanderte zu den Lautsprechern.

      Kein Geräusch.

      Von der Glaswand, die ihn von seinen Kollegen trennte, war ein einzelnes Klacken zu hören. Die Scheibe zu seinem Raum bekam einen kleinen Nadelstich, aus dem sich ein mäanderndes Netzwerk aus Rissen ausbreitete und zu einem Spinnennetz wurde.

      Hastig öffnete Sakharov die Notabdeckung aus Plastik über einem roten Knopf und hieb mit seiner flachen Hand darauf. Eine Trennwand aus Titanium fuhr von der Decke herab und verdeckte das Glas. Dann drückte er den Knopf erneut. Damit löste er ein Programm aus, mit dem das innere Labor unter Flammen gesetzt wurde, und alles, was sich in dem Raum befand, bei über dreitausend Grad Celsius verbrannte. Alles, selbst die Nano-Bots, wurde eingeäschert.

      Trotz der Tragödie wurde Sakharov vom Kreml als Held gefeiert, während man seine Kollegen als Kollateralschäden ansah. Aber er kannte die Wahrheit. Er war größenwahnsinnig geworden, hatte alle Warnungen ignoriert und geglaubt, dass nichts schiefgehen würde, während in Wahrheit alles auf ganz fürchterliche Weise schiefgegangen war. Und es dauerte nicht lange, bis ihm dämmerte, dass diese Nano-Waffen viel zu gefährlich sein würden. Nach einem Artikel von Eric Drexler, den er auf seinem Gebiet noch am ehesten als ebenbürtig ansah, würden die sich Bots, wenn ihre Reproduktion zu schnell voranschritt und nicht aufgehalten wurde, binnen einer Woche so sehr vervielfältigt haben, dass die komplette Erde von etwas verzehrt sein würde, das Drexler als »graue Masse« beschrieb. Jegliches Leben auf diesem Planeten wäre dann vernichtet, und alles, was sich der Anziehungskraft des Planeten näherte, würde ebenfalls verschlungen werden.

      Aber den Kreml interessierten seine Thesen nicht. Was sie wollten, waren Resultate. Also wurden die Geldmittel aufgestockt, in der Hoffnung, dass es Sakharov gelang, ihre Reproduktion einzudämmen und einen besseren Weg zu finden, sie über einen Computermonitor zu kontrollieren.

      Als Sakharov ihnen erklärte, dass dieser Punkt noch Jahrzehnte in der Zukunft lag, erklärte man ihm, dass er bereits die »erste« Hälfte dieses Jahrzehnts erfolglos habe verstreichen lassen, und daher besser keine weitere Zeit verschwenden sollte.

      Jahrelang arbeitete er an Methoden und Theorien und erstellte Schaubilder aus Fußballmolekülen mit Notizzetteln, die die Wände tapezierten. Er arbeitete unermüdlich, in der festen Überzeugung, der nächste Nikola Tesla werden zu können.

      Monate und Jahre vergingen, und als 1991 die Mauer und damit auch der Kommunismus bröckelte, verweigerte die neue Führung des Landes Sakharov jegliche Freiheiten und stellte ihn unter die argwöhnische Kontrolle des Direktorat S, einer modernen Version des Beamtenapparats im Kreml.

      So wuchs der Druck auf Sakharov und gleichzeitig auch seine Abhängigkeit von der Flasche, und seine Arbeit wurde immer aufreibender, seine Erfolge aber blieben minimal. Und als die Machthaber ihren Druck auf ihn noch weiter erhöhten, drehte Sakharov schließlich durch und löschte unwiderruflich von allen Computern und Datenbanken die Daten von beinahe zehn Jahren intensiver Forschung.

      Damit sicherte sich Sakharov zehn Jahre Haft im Wladimir-Zentralgefängnis, wo er zusehen musste, wie seine Mithäftlinge unter teilweise furchtbarsten Bedingungen ums Leben kamen.

      Aber dafür gab er nicht Mütterchen Russland die Schuld. Er gab sich selbst die Schuld, weil er wusste, dass sein Ego zu übermächtig geworden war und er sein Scheitern und seinen Niedergang selbst herbeigeführt hatte.

      Er liebte sein Heimatland noch immer, auch wenn kaum noch etwas an seinen früheren Ruhm erinnerte.

      Und er überlebte das Zentralgefängnis. Als man ihn entließ, hatte Russland ein neues politisches Antlitz, welches ihm die lange Nase zeigte und ihn spüren ließ, dass er nun alt und längst vergessen war.

       Aber mein Geist ist noch so wach wie eh und je.

      Im Wladimir-Zentralgefängnis hatte er Diagramme und Formeln in den Matsch gemalt, sie sich eingeprägt und dann schnell verwischt, bevor die Wächter sich näherten. Da sein Geist nicht länger von Alkohol umnebelt war, konnte er wieder nachdenken und über neuen Möglichkeiten der Kontrolle brüten, wenn sich die Gelegenheit dafür bot. Dieses Mal würde er gewissenhaft und vorsichtig vorgehen. Und obwohl er, kaum dass er aus dem Gefängnis entlassen worden war, sehr schnell eine Ausrede dafür fand, seinen Mund wieder an eine Flasche legen zu können, würde er diesem Leben sofort abschwören, wenn er die Gelegenheit bekäme, zu beweisen, dass Mütterchen Russland nicht umsonst an ihn geglaubt hatte, und es falsch war, ihn wie die Nachrichten vom Vortag einfach zu ignorieren.

      Leonid setzte sich das Glas Wodka an die Lippen und trank. Der Alkohol fühlte sich um einiges kühler an als der Urin, der oftmals seinen Körper verließ. Du fällst langsam auseinander, alter Mann. Aber bei dem Gedanken musste er lächeln.

      Nichtsdestotrotz hatte er ein gutes Leben gehabt. Er hatte Waffen entwickelt, die als Abschreckung gegenüber den Vereinigten Staaten dienten, weil man dort fürchten musste, dass man mit Hilfe von Sakharovs Erfindungen Vergeltungsschläge initiieren würde. Der alte Mann war tatsächlich der Überzeugung, zur Frontlinie der nationalen Verteidigung gehört zu haben, obwohl er in Wahrheit nur ein kleines Rad im großen Getriebe des russischen Militärbetriebes gewesen war.

      Er seufzte. Starrte hinaus. Dachte nach. Und er trank, denn er kannte die Wahrheit, wusste, was passieren würde, wenn er dieses Apartment verlassen und in den Iran reisen würde. Denn trotz des Versprechens, dass er noch einmal seine goldenen Jahre wieder erleben würde, war ihm bewusst, dass seine Zeit nur noch begrenzt war.

      Er lächelte erneut. Dann hob er ein volles Glas und prostete damit den Lichtern der Basilius-Kathedrale zu. »Auf mein geliebtes Mütterchen Russland«, flüsterte er. »Ich habe dich so sehr vermisst. Und ich verspreche dir, dass ich dich stolz machen werde.«

      Dann trank er sein Glas bis auf den letzten Tropfen aus.

      Kapitel 8

       Teheran, Iran, drei Tage später

      Für Ghazi war es ein Leichtes gewesen, in dem Gewühl der iranischen Hauptstadt mit ihren über acht Millionen Einwohnern unterzutauchen. Nach seinem Treffen mit Leonid Sakharov hatte er unverzüglich den nächsten Flug zurück zu seiner Zentralbasis genommen.

      Das Wetter war heiß und trocken, der Himmel tiefblau und ohne die kleinste Wolke am Himmel. Der Abgasgestank der Stadt, der wie ein Sandsturm durch die Straßen fegte, war allgegenwärtig. Die Luft schien beinahe greifbar und trug die Farbe von Wüstensand. Die Leute bummelten über Basare, wo Tierkadaver an Haken hingen. Ghazi saugte die Eindrücke in sich auf, während er sich an einen Tisch vor einem kleinen Lokal setzte und einen Sharbat genoss, ein süßes Getränk, das aus Früchten und Blütenblättern zubereitet wurde. Wie immer war er tadellos gekleidet, trug ein Hemd, das so weiß war, dass es beinahe leuchtete, während alle um ihn herum die traditionellen Salvars oder Sarbands trugen.

      Geduldig, und mit genügend Muße für seinen Drink, wartete Ghazi. Sein Kontakt würde pünktlich sein, so wie immer. Als schließlich sein Telefon klingelte, wusste er sofort, wer dran sein würde.

      Er erkannte Zawahiris Stimme.

      »Nach dem heutigen Tag werde ich durch Kuriere mit Ihnen in Verbindung bleiben.«

      »Ich verstehe.«

      »Haben Sie den Physiker?«

      »Noch nicht. Aber es wurden Vorkehrungen getroffen, dass er sehr bald in Teheran eintreffen wird. Meine Männer werden ihn dort abholen.«

      »Es wird doch keine Probleme geben, ihn durch die Kontrollen zu bekommen, oder?«

      »Überhaupt nicht«, antwortete er. »Mir wurde von verschiedenen Zollbeamten am Imam Khomeini International Airport versichert, dass Dr. Sakharov unbehelligt passieren darf. Es besteht zudem Einvernehmen darüber, dass jeder, der seine Einreise verzögert, mit Konsequenzen zu rechnen haben wird.«

      »Ist er in der Lage, den Job zu erledigen? Meine Quellen berichteten,

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