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»Warum sieht der Hof so schmutzig aus?«

      »He?« grunzte der Alte und hob nach Art der Schwerhörigen das Ohr. Dabei blinzelten seine erloschenen, blöden Augen in das frische, blühende Mädchengesicht empor, und der zahnlose Mund begann zu kauen.

      Das junge, kräftige Leben da vor ihm gefiel ihm augenscheinlich nicht. Auch redete sie ihn mit zu wenig Hochachtung an, denn der alte Krischan aß schon seit Menschengedenken auf dem Hof das Gnadenbrot und stand außerdem im Rufe dunkler lichtscheuer Künste. Der Rabe galt dabei als eine Art dienender böser Geist oder mindestens doch als Bundesgenosse zu allerlei schwarzen Taten.

      »Schnell – nehmt einen Besen und fegt einmal ordentlich aus,« rief plötzlich das schöne Mädchen dringend dazwischen. Ihr war es, als könnte man damit alles Häßliche und Kranke, was sie hier vorgefunden, mit starker Hand hinauskehren.

      Der Alte regte sich nicht.

      Sie stieß ihn an.

      Da zog ein leises Grinsen über das verrunzelte Gesicht, der Mund hob an zu schmunzeln, und ohne sich von der Stelle zu rühren, keuchte er heiser zur Antwort:

      »Arbeiten? – ne, vörbi – all lang vörbi – ne, ne, min Döchting, wenn Sei hier wat utkihren willen, denn mötens sülwst dauhn.«

      »Und Sie, was treiben Sie hier?« rief Hedwig scharf dagegen. Durch ihren Körper zuckte es. Die schlaffe Faulheit des Alten empörte sie.

      »Ick? – ick töw [Fußnote: warte] ups Starwen.«

      »Aufs Sterben?«

      Unwillkürlich erblaßte die Angreiferin und trat zurück. Der Alte warf ihr einen schielenden bösen Blick nach, und der Rabe erhob sich plötzlich und schlug krächzend und hackend mit den Flügeln nach ihr.

      Es war, als ob sich die alte Zeit in diesem Gehöft gegen sie wehren wollte.

      Allein der neue Ankömmling war nicht von der Art, sich von derlei unklaren Vorstellungen lange beeinflussen zu lassen.

      Stolz hob sie das Haupt und ließ kühl die Worte fallen: »Ich werde mit meinem Schwager über Sie sprechen.«

      Im nächsten Augenblick wandte sie sich und eilte grußlos auf die Landstraße hinaus.

      Wie frisch und hell war es hier draußen. Über ihr das unendliche, leuchtende Blau, vor ihr Felder und Äcker, grüne und braune Flächen, die einen noch im reifen Schmuck der Spätsaat, die andern bereits wieder umgepflügt, dazwischen kleine, helle Wässerchen, wie Silberbänder auf einem bunten Tuch, Duft und Dämmer und blauneblige Wälder in der Ferne, und über alles hinweg der über den Boden flüsternde Frühwind, der einen kräftigen Erdgeruch mit sich führte.

      Hedwig sog ihn tief ein. Der kleine Zwischenfall mit dem Alten war bereits vergessen. Hurtig setzte sie über den Graben der Landstraße und schlug den ersten besten Feldweg ein, der quer über ein Stoppelfeld führte, auf welchem in unsicherer Weite ein paar dunkle Punkte auf und ab schwankten.

      Wie einsam es hier überall war. Nur eine Schar Krähen hüpfte auf dem abgemähten Boden umher, und bei einer Biegung sah sie auf einem wilden Dornbusch einen zierlichen, bunten Stieglitz sitzen, der im Sonnenschein sein kräftiges Liedchen sang. Sonst webte über allem eine heilige wohltuende Ruhe.

      Hedwig blieb stehen und ließ ihren Blick weit umherschweifen.

      Also hier sollte sie fortan ihre Tage verbringen? So allein, so ausgesetzt unter fremden Menschen? Denn ihr herber Verstand sagte ihr, daß auch Else ihr eine Fremde bleiben würde, eine Bedauernswerte, für die sie sich höchstens ein unangenehmes Gefühl des Mitleids würde abzwingen können.

      Und die lautlose Einsamkeit fing an, sie zu bedrücken.

      Wie etwas Schattenhaftes flog es über die Heide, kam auf sie zu und quälte und ängstigte sie.

      Sie dachte an ihren letzten Aufenthalt in der Stralsunder Pension und zusammenzuckend empfand sie wieder jenes eine Ereignis, vor dem ihr bisheriges Leben zusammengebrochen war, jene eine entsetzliche Stunde, an der alle ihre Gedanken sich festgesogen hatten, so fest, daß ihr Körper eigentlich halb träumend herumwandelte, beinahe getrennt von einer leitenden Seele. Und sie fühlte wieder, daß sie etwas in ihrem Leben vergessen müßte, und daß diese weite Ödnis ringsumher vielleicht jene stumpfe Ergebenheit in ihr erzeugen könnte, nach der sie sich sehnte.

      Und merkwürdig. – Noch sann sie diesen dunklen fernen Traum, da erweckte sie etwas. – Ein flüchtender Hase streifte ihren Weg, fuhr vor ihr zurück und setzte dann seitwärts über das Feld.

      Das Mädchen lachte plötzlich hell auf.

      Das frische, selbstbewußte Lachen eines kräftigen Menschen. Was brauchte sie sich in solchen Hirngespinsten zu verfangen? Es war ja alles vorüber, bald überhaupt nicht mehr gewesen, nur eine seltsame verflatternde Erinnerung. Erhobenen Hauptes eilte sie weiter; ab und zu schlug sie mit dem Sonnenschirm spielend an die den Weg begrenzenden Büsche, und dann verweilte sie wieder, um sich von dem säuselnden Wind die Wangen kühlen zu lassen.

      So war sie in einen Hohlweg geraten. Fast in Manneshöhe über ihr erhob sich zu beiden Seiten das Feld. An den Abhängen blühten noch wilde Rosen, ganze rotbraune Bündel von Erika sproßten dort empor, und hier und da nickten violette Glockenblumen dazwischen.

      Gedankenlos pflückte das Mädchen einen Strauß, vielleicht für die eigene Brust bestimmt, vielleicht für Else, da hörte sie unvermutet hoch über sich Stimmen laut werden und einen Wortwechsel sich entspinnen.

      Und jetzt erkannte sie auch, wer dort sprach. Es war Wilms, den seine Tagelöhner um eine rückständige Schuld zu mahnen schienen.

      Vier bis fünf Männer redeten dort oben durcheinander.

      »Leute, ich hab’ euch doch gegeben, was ich hatte – nun geduldet euch noch die paar Tage – ihr wißt ja, was ich inzwischen selbst alles durchmachen mußte – eine kleine Weile, dann ist ja alles wieder ins gleiche gebracht. – Nicht wahr?«

      »Ja Herr, wir haben ja auch Vertrauen zu Sie, aber bei uns zu Haus sieht’s auch man mager aus.«

      »I ne wir wollen Ihnen nicht drängen ne – dat tun wir nich –«

      »Ne Herr Wilms, Sie sind ja auch immer gut zu uns gewesen, und werden’s woll jetzt allein nich so haben, – bloß Frau und Kinners –«

      »Man kann sie doch nich hungern lassen, Herr.«

      Einen Augenblick trat Stille ein. Die Männer schienen stehen geblieben zu sein, und die Lauscherin vernahm wieder, wie der Wind durch das Heidekraut strich. Dann sagte der Pächter mit seiner tiefen treuherzigen Stimme: »Kommt morgen abend zu mir, Leute, dann sollt ihr bestimmt euer Geld bekommen – so oder so.« Und in festerem Tone setzte er hinzu: »Und jetzt geht wieder an eure Arbeit.«

      »Na, dann bedanken wir uns auch vielmals, Herr. Adjüs!«

      »Guten Morgen.«

      Man hörte, wie sich die Tagelöhner entfernten, und etwas später bemerkte Hedwig, daß schwere Tritte den Hohlweg herabknirschten.

      Jetzt mußte er kommen. Unwillkürlich trat das Mädchen hinter den Dornenbusch zurück, als wollte sie den Nahenden ungestört vorüberlassen.

      Auch der Pächter hatte keine Ahnung von der Nähe eines fremden Wesens, das ihn und seine Qual erforschen könnte, sonst würde er sicherlich schnell vorübergeschritten sein; so aber hielt er an der tiefsten Stelle des Weges an, senkte den Kopf auf die Brust und preßte mit einer müden, schlaffen Bewegung die Hand gegen die Stirn.

      Es lag soviel Müdigkeit darin, soviel verschlossenes Weh.

      Jedoch kein Stöhnen quoll über die geschlossenen Lippen, lautlos, ohne Wort verharrte die große Gestalt, es war ein Trauern, das man mit sich und mit Gott allein abmacht, versteckt und geschützt durch die Einsamkeit.

      Kein fremdes Auge darf dergleichen erspähen.

      Mit

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