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wie wenn sich auf dem feinen Gesicht der Inhalt des Buches wiederspiegele, – das gehörte alles nicht hierher, nicht in die pommersche Krankenstube hinein, das war etwas Unreines, Unerträgliches. – Und jetzt empfand er auch, wie frech und unpassend das war, was sie las.

      Die Röte stieg ihm in die Stirn. Schwerfällig erhob er sich, ging mehrmals im Zimmer auf und ab, und räusperte sich endlich stark:

      »Wollen wir jetzt nicht mit Lesen aufhören?« Und da geschah das Unerwartete.

      »Nein,« – Else fröstelte und schüttelte unwillig den Kopf: »Du mußt auch immer stören,« beklagte sie sich. – »Laß uns doch unser Vergnügen. Ich bin ja so froh, daß ich endlich ein wenig Abwechslung finde.« – Und wieder drückte sie der Schwester die Hand.

      Das auch noch.

      Etwas Unverständliches murmelte der Pächter vor sich hin, heftig wollte er erwidern, aber die Gewohnheit, sein Weib unter allen Umständen zu schonen, war stärker. Mühsam bezwang er den aufsteigenden Zorn und verließ mit starken Schritten das Zimmer.

      Als er die Tür schloß, hörte er das Mädchen wieder laut und fröhlich weiterlesen.

      Ein paar Stunden lief er draußen in der Dunkelheit umher, immer die gerade Chaussee entlang, und suchte seinen Unmut abzuschütteln.

      Gleich am ersten Tage brachte sie ihm Unruhe und Unfrieden ins Haus. Er hatte es ja voraus gewußt. – Das Mädchen paßte eben nicht in den beschränkten Kreis. Ob es nicht das beste wäre, sie wieder zum Gehen zu veranlassen? – Er seufzte – – das durfte man leider nicht wagen. – Und dann, wie gleichgültig und verächtlich sie ihn selbst behandelte. Das Achselzucken und das über ihn Fortsprechen. Er galt dem Fräulein eben nur als »Bauer«.

      »Ha – ha!« Unvermittelt blieb der Pächter stehen und atmete tief auf. – Ihn bedrückten ja ganz andere Sorgen, als dieses fremde Mädchen. Wie konnte er es nur einen Augenblick vergessen?

      Die Schuldenlast – die entsetzliche Schuld. Acht Tage Frist hatte er, in dieser Zeit mußte er 1200 Taler schaffen, sonst gehörte sein ganzes Inventar dem Juden. Aber woher? – woher?

      Laut stöhnte er auf, und so heftig packte ihn wieder die Verzweiflung, daß er eine Pappel der Chaussee umklammerte und den starken Stamm schüttelte und stieß, bis eine Wolke dürrer Blätter auf ihn herunter raschelte.

      Ein kalter Nachtwind strich durch die Zweige, alles war dunkel und still. Nur die raschen Blätter dort oben begannen wieder durcheinander zu rauschen.

      War das nicht, als ob ein Mensch spräche?

      Hedwigs Stimme – deutlich vernahm er sie wieder in der Höhe lesen, lachen und kichern.

      Der Einsame zuckte zusammen und horchte um sich. – Ja, es war etwas krank in ihm, es schmerzte ihn in der Brust. Und blitzartig durchfuhr ihn das Bewußtsein, daß die kranke Frau zu Hause, die er so leidenschaftlich, so tief, so gramerfüllt liebte, ihn zum Schwächling gemacht, daß dieses blasse, abgezehrte Weib seine Kraft gestohlen, daß es täglich sein Blut aussauge, um davon selbst das Dasein zu fristen, genau wie jener gespenstische Vogel, von dem er als Knabe gelernt, daß er den Verfallenen die Adern aufbeiße.

      »Gott schütz’ mich – Elsing – Elsing, was ist mir nur?« stammelte Wilms und wischte sich den Angstschweiß von der Stirn – »nach Hause – nach Hause.«

      Er lief, er stürmte dahin, bis er mit keuchender Brust den öden, schlummernden Hof erreicht hatte. Auf den Zehen schlich er dann durch den Flur und öffnete geräuschlos das Zimmer.

      Ein Nachtlicht brannte auf dem Tisch. Aus dem Halbdunkel, aus dem die unruhigen Atemzüge der Kranken herauszitterten, erhob sich eine schlanke Gestalt und kam unhörbar auf den Eindringling zu.

      Jetzt stand Hedwig vor ihm. Sie legte die Finger auf die Lippen und raunte kurz:

      »Sie schläft – ich werde heute bei ihr wachen.«

      »Du?«

      »Ja.«

      »Du? Nein, das – das will ich nicht.«

      Das Mädchen beugte sich plötzlich vor, daß er ihren Atem fühlte.

      »Und warum nicht?«

      Trotz der Dunkelheit trafen sich ihre Blicke und blieben erstaunt und fragend aneinander hängen. Da rollte die Uhr; die Liegende regte sich, und dann – Wilms trat zurück und murmelte müde:

      »Meinetwegen.«

      Damit schloß er die Tür, um sich draußen leise über die knarrende Treppe nach jener Kammer unter dem Strohdach zurechtzutasten, wo er schon oft genächtigt hatte.

      Und so gleichgültig und abgespannt fühlte er sich, daß er sich selbst gar nicht die Frage vorlegte, warum er dem Mädchen nachgegeben.

      Oben in der kahlen, weißgetünchten Stube entkleidete er sich schnell, und bald lag er ausgestreckt in dem hohen Bett, ohne jedoch die ersehnte Ruhe finden zu können.

      Die niedrige Decke drückte ihn beinahe auf den Kopf, und immer wieder hob er das Haupt und lauschte auf das Ächzen und Pfeifen des Windes, der klagend über das Dach strich.

      Es klang ebenfalls wie das Stöhnen eines gefolterten, riesenhaften Leibes.

       Inhaltsverzeichnis

      Die zehnte Stunde des Vormittags war bereits angebrochen, als Hedwig in die Stube trat, die sie kurz vorher verlassen, ein modernes Hütchen auf dem braunen Haar, und über der Taille ein elegantes, offenes Jackett, das ihren vollendeten Wuchs erst recht hervorhob.

      Sie streifte sich Handschuhe auf und spähte dabei aufmerksam zum Fenster hinaus, wie nach dem Stand des Wetters.

      »Du willst fort?« forschte die Kranke mit leisem Vorwurf, während eine Wolke über ihre Stirn flog, denn die Bedauernswerte hatte bereits die feste Überzeugung gewonnen, daß sie sich in Gegenwart ihrer Schwester wohler befinde.

      »Ja,« versetzte die Jüngere aufatmend und ohne die verborgene Rüge sonderlich zu beachten: »Es ist heute so frisch draußen – wirklich prachtvoll – überall ziehen Sommerfäden – sieh nur – und hier drinnen –« sie vollendete nicht, sondern setzte rasch hinzu: »Ich bin das Wachen doch wohl noch nicht so recht gewohnt – und dir geht es ja heute besser – da will ich einmal einen Gang durch eure Wirtschaft machen. In einer Stunde bin ich wieder zurück.«

      »Aber Hedwig, wenn ich so allein –«

      »Ich bringe dir auch was Schönes mit,« schnitt die andere lächelnd ab und war im nächsten Augenblick verschwunden.

      Seufzend richtete sich die Verlassene auf und blickte sehnsüchtig durch die Fensterscheiben der schlanken Mädchengestalt nach, die draußen bereits ohne sonderliche Eile mit leichten kräftigen Bewegungen über den Hof schritt.

      »Wer doch auch so –,« flüsterte die Kranke endlich, »einmal noch, nur einmal – –« Krampfhaft faltete sie die Hände, und ihre Seele hob sich wieder in jenem einen brünstigen Gebete zu Gott.

      Unterdessen hatte Hedwig den Hof durchmessen. Wer sie so sah, mit dem eleganten, dünnen Sonnenschirm in der Hand, und ihrer modernen Kleidung, der hätte kaum geglaubt, daß den braunen, blitzenden Augen dieser jungen Dame nicht der kleinste Schaden im Strohdach einer Scheune entging.

      Sie bemerkte alles. Auch für das Geringfügigste in diesem schweigenden Gehöft schien sie ein Interesse zu empfinden.

      Vor dem offnen Kuhstall, aus dem ein warmer Dunst herausschlug, hockte auf einem Prellstein ein alter, verwitterter Mann, ein greises, dürres, zahnloses Menschenkind, das kopfwackelnd dasaß und sich zu sonnen schien. Neben ihm, auf dem Holzpantoffel des Alten stand ein zerzauster Rabe auf einem Bein und war gleichfalls in den allgemeinen bleiernen Schlaf versunken,

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