ТОП просматриваемых книг сайта:
Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung. Friedrich von Hellwald
Читать онлайн.Название Die menschliche Familie nach ihrer Entstehung und natürlichen Entwickelung
Год выпуска 0
isbn 4064066112547
Автор произведения Friedrich von Hellwald
Жанр Документальная литература
Издательство Bookwire
Alle diese Fälle sind indes so sehr vereinzelt, dass aus ihnen kein gültiger Beweis gegen das Fehlen der über Sinnlichkeit hinausgehenden Liebe bei den Wilden zu schöpfen ist. Höchstens gestatten sie zu schliessen, was nicht erst des Beweises bedarf: dass die Anlagen zur Entwicklung höherer Gefühle bei allen Menschen vorhanden sind. Diese Ausbildung hat aber eben bei der Allgemeinheit noch nicht stattgefunden, daher alle Versicherungen des Gegenteiles mit einem gewissen Misstrauen aufzunehmen sind. So versichert z. B. R. Smyth nach Bunce, dass bei den Australiern die festeste Liebe bestehe zwischen Mann und Weib,[199] was nach der dort üblichen Behandlung der Frau ganz unglaubhaft erscheint, sich also höchstens auf einzelne Ausnahmen beziehen kann. Desgleichen meint H. H. Johnston, die Unsittlichkeit der Bakongo und anderer Anwohner des unteren Kongo entspringe eher aus übertriebener Liebe zu ihren Frauen, als aus Neigung zum Laster,[200] fährt aber in einem Atem fort zu berichten, dass Ehebruch nicht ungewöhnlich sei. Die Weiber gäben wenig auf ihre eigene Tugend vor und nach der Verheiratung, und ohne die Eifersucht der Männer würde ungehinderter Verkehr unter den Geschlechtern die Regel bilden.[201] Ausnahmen sind natürlich zuzugestehen; für die grosse Masse der Wilden und Barbaren gilt indes sicherlich als allgemeine Regel, was Hugo Zöller von den Westafrikanern beobachtete: Niemals, thatsächlich niemals hört man dort von einer Liebesgeschichte. Die Negerin besitzt niemals einen „Schatz“, weder in ganz jungen Jahren, noch nach der sogenannten Verheiratung. Das Verliebtsein ist auf den untersten Staffeln der Menschheit ein unbekanntes Ding, auf den folgenden kennt man darin dann gar viele Stadien und Abstufungen. Zwischen den beiden äussersten Grenzen, der blossen Sinnenlust und der vergeistigsten Liebe, läuft unverkennbar, sowohl individuell innerhalb der gesitteten Welt als ethnisch von Volksgruppe zu Gruppe, eine unabsehbare Reihenfolge feiner, oft kaum unterscheidbarer Zwischenstufen jenes geistigen Anteils, welcher ein unerlässlicher Bestandteil der Liebe ist und in der poetischen Verklärung der Geschlechtsbeziehungen gipfelt. Es ist mir ganz aus der Seele gesprochen — weil ich längst zur gleichen Überzeugung gelangte — wenn Hugo Zöller schreibt: „Die Liebe in dem Sinne, wie wir sie auffassen, ist eine Frucht unserer Kultur. Sie entspricht einer höheren Entwicklungsstufe der in unserer Natur schlummernden Anlagen, als die Negerrasse sie erreicht hat. Nicht bloss, dass jene zahlreichen Funktionen des Geistes, des Gemütes und des Herzens, welche wir unter den Begriff der Liebe zusammenfassen, dem Neger fremd sind; nein, auch in rein körperlicher Hinsicht kann man behaupten, dass sein Nervensystem nicht nur weniger reizbar, sondern auch weniger gut entwickelt sei. Der Neger liebt, wie er isst und trinkt. Aber ebenso wenig wie einen schwarzen Feinschmecker habe ich jemals einen Neger gesehen, welcher der Wollust eine idealere Seite abzugewinnen vermocht hätte.“[202] Ungescheut darf man in obigem den Neger, an welchen Zöller anknüpft, durch den allgemeinen Begriff des Wilden ersetzen, ohne sich irgendwie von der Wahrheit zu entfernen. Man darf aber auch hinzufügen: Die Liebe ist ewig wechselnd. Jedes Zeitalter, jede Geschlechtsfolge drückt ihr einen besonderen Stempel auf. So oft Männer und Weiber sich lieben, lieben sie sich anders als ihre Voreltern sich liebten, als ihre Nachkommen sich lieben werden. Heute schon ist in unseren Kreisen die Liebe nicht mehr, was sie vor einem Menschenalter war, und ebenso wechselt sie von Volk zu Volk. Der Italiener, der Spanier liebt in seiner höchsten geistigen Erregung immerhin anders als der Franzmann, der Deutsche anders als der Brite. Es ist nicht wahr, dass das menschliche Herz überall und immer das gleiche sei. Die menschlichen Leidenschaften sind die nämlichen, aber sie erregen in verschiedenartiger Weise das Gemüt der einzelnen Völker. Welches darunter Anspruch habe auf den höchsten Preis, ist wissenschaftlich nicht zu ergründen. Jedes vermeint ihn zu besitzen, wahrscheinlich gehört er keinem.
Übrigens können selbst schöngeistige Schriftsteller, welche in solchen Dingen allein zu Rate zu ziehen sind, weil subjektive Empfindungen nicht leicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchung werden, sich der Einsicht nicht verschliessen, dass die Liebe kein dem Menschen als solchem von der Natur zugewiesenes Gemeingut sei. So sagt der bekannte Roman- und Kriegsschriftsteller Hans Wachenhusen, dem Reise-Beobachtungen in mannigfachen Länderstrichen zur Seite stehen, vom gläubigen Standpunkte ganz logisch: „Als Gott die Welt erschuf, legte er den ganzen Schwerpunkt seiner Schöpfung, um den sich diese von Anbeginn bis zu Ende drehen sollte, in die Beziehungen der beiden Geschlechter zu einander. Der Mann sucht das Weib, das Weib den Mann, und wenn sie sich gefunden haben, ist der alle beide verurteilende Seelenprozess zu Ende. Die Liebe ist also nichts als eine ganz kurze Episode mit langem Vorspiel des Sehnens und endlosem Nachspiel der Nüchternheit. Die Liebe hat auch an sich keine moralische Berechtigung, nicht einmal eine historische. Moralisch nicht, weil sie nur bei Kulturvölkern durch Sublimierung eines von Hause aus ganz untergeordneten Instinktes mit der Zivilisation einheimisch geworden und sich naturgemäss in dieser wieder zu einer ganz ordinären Spekulation verflacht. Historisch nicht, weil die Heil. Schrift uns nicht sagt, dass Adam und Eva sich geliebt haben, sie vielmehr als zwei ganz untergeordneten Instinkten folgende Wesen hinstellt.“[203]
Unwillkürlich fragen wir nach Gründen, geeignet, die Lieblosigkeit der Urzeit einigermassen zu erklären. Einer darunter mochte wohl darin liegen, dass die Geschlechter von einander noch zu wenig differenziert, einander noch in jeder Hinsicht zu ähnlich waren, um jene tiefere Neigung des Gemütes zu erwecken, welche nicht zum wenigsten auf dem „Anderssein“ des geliebten Gegenstandes beruht. So weit ich sehe, ist der von mir schon im ersten Kapitel hervorgehobene Umstand noch nicht gehörig gewürdigt worden, dass bei niedrigen Stämmen Mann und Weib auch leiblich nur wenig unterschieden sind. Dies spricht sich zunächst deutlich in der Bekleidung aus; beschränkt, wie sie ist, zeigt sie fast gar keine Abweichung für die beiden Geschlechter. Die Haartracht, auf welche namentlich Unbekleidete hohes Gewicht zu legen pflegen, ist nicht selten bei Männern und Weibern eine sehr ähnliche, und auch die Unterschiede in Lebensweise und Beschäftigung, obwohl sehr frühzeitig auftretend, doch noch nicht gross genug, um die weibliche Individualität in ihrer so anziehenden leiblichen und seelischen Eigenart voll auszuprägen. Mit einem Worte: das Weib ist noch zu wenig Weib, um die Geistesthätigkeit des Mannes herauszufordern, sich mit ihr zu beschäftigen, und in gleichem Masse ist auch der Mann unter seinesgleichen noch zu wenig individualisiert. Klagen doch europäische Reisende selbst bei höheren Rassen, wie bei Chinesen, Japanern oder Mongolen, dass ein Einzelwesen aussehe wie das andere und dass es langer Übung bedürfe, um die Physiognomien unterscheiden zu lernen.
Die wie in der Tierwelt nur schwach mit den Kennzeichen der Weiblichkeit ausgerüsteten Wesen lassen auch in psychischer Beziehung alles vermissen, was gesitteten Epochen als ureigentümlich gilt. Von Natur ist der Mensch nicht gut im modernen Sinne, und seine Laster, wieder im modernen Sinne, sind keine Störungen einer göttlichen Weltordnung, sondern umgekehrt die Ordnung der Welt, die sich allerdings, aber langsam, zum Bessern entwickelt, ist Mord, Raub und Unzucht. Insbesondere ist der Mensch ein grausames Geschöpf, ein fleischfressendes Tier und somit vielfach mit Roheit und Gleichgültigkeit gegen die Leiden anderer behaftet. Nährungsweise und Erziehung vermögen eine Milderung zu bewirken,[204] aber bei vielen Wilden und Halbwilden ist eine solche Veränderung noch nicht eingetreten, und selbst in Mitte der gesitteten Gesellschaft giebt es bekanntlich noch, wie John Stuart Mill mit Recht betont, „Personen, welche von Charakter oder, wie man zu sagen pflegt, von Natur aus grausam sind, welche ein wirkliches Vergnügen daran empfinden, Schmerz zu bereiten oder bereiten zu sehen. Diese Art von Grausamkeit ist nicht blosse Hartherzigkeit oder Mangel an Mitleid oder Gewissensbissen; sie ist eine ganz positive Erscheinung, eine Art von wollüstiger Erregung.“ Dies erklärt auch, wie ich schon an einem andern Orte[205] bemerkte, warum sie in der Regel stärker aufzutreten scheint bei männlichen