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allein mit Miniröckchen machen.«

      Harald Herwig hörte das nicht, und er hätte solchem Gerede auch keine Beachtung geschenkt. Er mochte Carola Deuring, wenngleich er sich dies bis zum heutigen Tag auch nicht eingestanden hatte.

      Sie war eine sehr zuverlässige Stenotypistin, trotz ihrer Jugend. Sie war gewissenhaft und fleißig und scheute auch keine Überstunden. Und sie war immer pünktlich auf die Minute.

      Es muss etwas passiert sein, ging es ihm wieder durch den Sinn. Es wurde ihm heiß und kalt bei diesem Gedanken.

      Schneller, als er es sonst tat seit seinem Unfall, steuerte er die schwere Limousine durch die engen Straßen von Hohenborn.

      Es war nicht leicht, das Haus zu finden, das die Deurings seit ein paar Wochen bewohnten. Es lag außerhalb, und nur drei Häuser standen hier.

      Würde es Felix eigentlich billigen, dass er sich persönlich nach dem Befinden einer Angestellten erkundigte? Augenblicklich war ihm das jedoch gleich. Er stieg aus und läutete.

      Niemand öffnete. Sie lebt doch bei ihren Eltern, dachte er. Jemand müsste doch da sein!

      Er läutete wieder und noch einmal. Dann wurde die Tür zaghaft geöffnet.

      Carolas verweintes Gesicht erschien. Er sah nur ihr Gesicht und eilte die Treppe empor.

      »Herr Herwig«, flüsterte sie. »Pfarrer Frerichs wollte Bescheid sagen …« Wieder erstarb ihre Stimme in einem Schluchzen. »Mein Vati, unser Vati …, er ist gestorben«, fügte sie dann erstickt hinzu.

      »Nein!«, rief er unwillkürlich aus und griff nach ihrer Hand.

      »Heute Morgen …, es kam ganz plötzlich … Er ist auf der Straße zusammengebrochen«, brachte sie mühsam hervor. »Ich wollte gerade gehen, als Pfarrer Frerichs kam. Werde ich nun meine Stellung verlieren?«

      »Wie können Sie so etwas denken«, murmelte er. »Es tut mir entsetzlich leid. Ich hatte gefürchtet, dass Ihnen etwas passiert sein könnte. Was kann ich für Sie tun?«

      »Ich weiß gar nicht, wie es weitergehen soll ohne Vati. Er war so gut. Meine Geschwister …, sie wissen es noch gar nicht. Sie sind in der Schule. Volker ist doch erst elf. Aber ich will Sie nicht aufhalten, Herr Herwig. Vielen Dank, dass Sie gekommen sind. Wir müssen uns jetzt erst zurechtfinden. Es kam zu plötzlich.«

      Er umschloss ihre bebende Hand mit festem Griff.

      »Bitte, verzweifeln Sie nicht, Carola«, erklärte er leise. »Betrachten Sie mich nicht als Ihren Chef, sondern als Freund, der Ihnen helfen möchte. Das möchte ich sehr gern. Wenn Sie Sorgen haben, sagen Sie es mir.«

      Sorgen hatte ihr Vater heute Morgen anscheinend auch gehabt, wegen der Hypothek. Aber von den Geldangelegenheiten wussten sie nicht viel, und augenblicklich erschien ihr das auch nebensächlich.

      »Ich kann doch keine Sonderrechte in Anspruch nehmen«, flüsterte sie.

      »Sonderurlaub steht Ihnen jedenfalls zu. Ihre Mutter wird Sie jetzt brauchen. Wir werden zu anderer Stunde ausführlicher alles besprechen.«

      Als er dann gegangen war, erschien es ihr wie ein Traum.

      Harald Herwig war zu ihr gekommen. Er hatte sich um sie gesorgt.

      Ein Staunen war in ihr. Er war ein vorbildlicher Chef, immer höflich und ohne Launen, aber doch sehr reserviert und wortkarg.

      Sie konnte es noch gar nicht begreifen, dass er hierhergekommen war und so liebe und mitfühlende Worte gefunden hatte. Als Freund sollte sie ihn betrachten.

      Wie hatte Vati doch immer gesagt? Freunde in der Not gehen hundert auf ein Lot.

      Aber nun war er tot. Nie wieder würde er zurückkommen. Sein Platz am Tisch würde leer bleiben. Es war unvorstellbar.

      Doch sie war die Älteste. Sie musste sich zusammennehmen, damit es für ihre Mutter nicht noch schwerer wurde.

      *

      Als Harald zum Werk zurückfuhr, kam ihm der Gedanke, dass es Carolas jüngeren Geschwistern schonend beigebracht werden müsste, was geschehen war, damit sie nicht ganz unvorbereitet mit der grausamen Tatsache konfrontiert wurden.

      Vielleicht konnte er Dr. Fabian Rückert erreichen, den jungen Studienrat, mit dem er gut Freund war.

      Der Hausmeister erklärte ihm mürrisch, dass die zweite Schulstunde bereits begonnen hätte und er den Unterricht nicht stören dürfte.

      »Es handelt sich um einen Todesfall«, entgegnete Harald Herwig.

      »Ach, Sie meinen Herrn Deuring? Das haben wir schon erfahren.«

      »Die Kinder auch?«, fragte Harald erschrocken.

      »Sie sind gerade beim Direktor. Er wird es ihnen mitteilen. Dann werden sie nach Hause geschickt.«

      Sie werden nach Hause geschickt. Drei Kinder, die sich am Morgen noch fröhlich von ihrem Vater verabschiedet hatten, sollten allein einen kummervollen Heimweg antreten.

      Er wartete. Der Hausmeister sah ihn forschend an.

      »Das geht schon in Ordnung. Oder sind Sie ein Verwandter?«, fragte er.

      »Ein Freund der Familie«, erwiderte er. »Ich werde die Kinder heimbringen.«

      Da kamen sie schon langsam die Treppe herunter. Ein hochaufgeschossener blonder Junge, der an der rechten Hand den Jüngsten hielt und seinen anderen Arm um die Schultern eines zierlichen Mädchens gelegt hatte, das wie eine Marionette neben ihm ging. Sie sah Carola sehr ähnlich.

      Harald Herwig hatte Hemmungen. Die Kinder kannten ihn nicht. Wie würden sie es auffassen, wenn er sie ansprach?

      Er überwand seine Scheu, trat einen Schritt näher, als sie die Halle erreicht hatten, und sagte schlicht: »Ich bringe euch heim. Mein Name ist Herwig von den Münster-Werken.«

      »Carolas Chef?«, fragte der kleine Volker leise.

      Harald nickte.

      »Ihr habt eben eine schlimme Nachricht erhalten. Kommt, ich fahre euch heim.«

      »Wir können schon gehen«, murmelte der siebzehnjährige Peter. »Wo ist Mami?«

      »In der Klinik«, erwiderte Harald Herwig. »Carola ist daheim.«

      Helgas erstarrtes Gesichtchen belebte sich.

      »Mami ist in der Klinik«, flüsterte sie bebend. »Es ist gar nicht wahr, dass Vati tot ist, Peter! Ich habe es ja gewusst! Er kann nicht tot sein!«

      Peter warf Harald einen hilflosen Blick zu.

      »Es wäre doch nett, wenn Sie uns heimbringen würden«, bemerkte er heiser.

      »Bitte, sagen Sie doch, dass Vati lebt!«, flehte Helga.

      Er konnte nur den Kopf schütteln. Der heiße Schmerz, der in den Kinderaugen brannte, erschütterte ihn.

      Er stellte sich die Frage, ob Herr Deuring wohl gewusst hatte, wie sehr er geliebt worden war.

      Peter und Helga setzten sich auf den Rücksitz, Volker ließ sich scheu neben Harald nieder. Nachdenklich blickte er den Mann an.

      »Sie sind ein netter Chef«, erklärte er. Er begriff am wenigsten, wie einschneidend das Leben sich für sie am heutigen Tag veränderte.

      Als er wieder vor dem Haus hielt, war Franziska Deuring schon aus der Klinik zurück.

      Mit tränenverschleierten Augen schloss sie ihre Kinder in die Arme.

      »Herr Herwig hat uns abgeholt. Das war doch sehr nett, nicht wahr, Mami?«, meinte Volker, der nicht so recht wusste, wie er diese schmerzlichen Minuten überbrücken sollte.

      »Ich danke Ihnen sehr«, sagte sie und reichte Harald die Hand.

      Die Kehle war ihm wie zugeschnürt. Da er kein Wort über die Lippen brachte, drückte er seine Teilnahme mit einer tiefen Verbeugung und einem Handkuss

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