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      »Der Herr Doktor ist gerade bei ihr«, erwiderte Schwester Thilde.

      »Ich würde gern einmal mit ihm sprechen«, sagte Felicia rasch.

      »Ich werde es ihm sagen. Es ist übrigens ein neuer. Dr. Rank macht endlich Urlaub. Aber ich glaube, der junge ist auch sehr tüchtig.«

      Felicia wurde bei ihrem Eintritt sogleich von mehreren alten Frauen umringt, von denen sie freudig begrüßt wurde. Viele schmeichelhafte Worte bekam sie zu hören, die sie jedoch bescheiden abwehrte.

      Seit einem halben Jahr besuchte sie dieses Altersheim regelmäßig, ohne daß sie Annette gegenüber je ein Wort darüber geäußert hätte. Hierher wanderte auch ein großer Teil ihres Monatswechsels. Aufmerksam war sie auf dieses Heim durch jene Frau Faller geworden, nach der sie sich eben erkundigt hatte. Sie war der alten Name einmal behilflich gewesen, als diese bei einem Spaziergang einen Schwächeanfall erlitten hatte.

      »Wenn Sie jetzt mit dem Herrn Doktor sprechen wollen, gnädiges Fräulein?« meinte Schwester Thilde. Sie konnte diese Anrede doch nicht lassen. »Er wartet im Büro.«

      In dieser Umgebung bewegte sich Felicia mit einer Sicherheit, die man sonst an ihr nicht kannte. Doch jede Sicherheit verließ sie, als sie in ein ihr wohlbekanntes Männergesicht blickte.

      »Sie?« fragte sie beklommen.

      »Sie?« gab Dr. Holger Bergström verblüfft zurück. »Sie sind also die gute Fee des Marienheims.«

      Felicia suchte nach Worten. Es war ihr nicht nur peinlich, so genannt zu werden, sondern sie fürchtete nun auch, daß Annette von ihrem Unterfangen erfahren würde.

      Vor allem aber machte es sie sehr unsicher, nun mit Dr. Bergström sprechen zu müssen.

      »Ich möchte Sie sehr bitten, zu niemandem etwas darüber verlauten zu lassen, daß ich mich ein wenig um diese alten Leute kümmere«, bat sie. »Auch zu Annette nicht.«

      Was ist das nur für ein seltsames Mädchen, dachte Holger Bergström verwundert. Aus ihr sollte man klug werden.

      »Ist es denn etwas Schlimmes, wenn man gute Taten vollbringt?« fragte er.

      »Ich mag das nicht«, wehrte sie störrisch ab. »Ich wollte mit Ihnen iiber Frau Faller sprechen, aber…« Sie unterbrach sich.

      »Aber wenn Sie gewußt hätten, daß ich jetzt dieses Heim betreue, hätten Sie davon Abstand genommen«, vollendete er den abgebrochenen Satz. »Das wäre allerdings sehr schade gewesen. Schließlich haben wir nun etwas gemeinsam. Auch mir liegt das Wohl dieser alten Menschen am Herzen.«

      Sie fand das erstaunlich, denn von seiner Herkunft her wäre er eher zu einem Modearzt berufen gewesen.

      »Ich verspreche Ihnen, daß ich nichts über unser Zusammentreffen verlauten lasse, Felicia«, erklärte er. »Sind Sie nun beruhigt?«

      Sie verlor ihre Scheu. Es beglückte sie, daß der Mann, dem sie ihr Herz geschenkt hatte, wenigstens etwas mit ihr teilte. Was Annette dazu wohl sagen würde, überlegte sie.

      »Wie Frau Faller Sie kennengelernt hat, weiß ich schon«, bemerkte Holger Bergström. »Nun erzählen Sie mir einmal, was Ihnen am Herzen liegt, Felicia.«

      Sie wurde abwechselnd rot und blaß. »Ich habe die alte Dame sehr gem«, gestand sie leise. »Sie ist so klug und warmherzig.«

      Felicia findet das bei ihr, was sie sonst vermißt, dachte Holger Bergström gerührt.

      »Ich möchte mit ihr verreisen«, sprach Felicia nervös weiter. »Eine Kur würde ihr doch guttun, nicht wahr?«

      Er war ziemlich fassungslos. Andere Mädchen dieses Alters dachten an Amüsement und Abwechslung.

      »Wann könnte sie reisen?« fragte Felicia, als er noch immer schwieg.

      »Haben Sie sich das auch gründlich überlegt? Frau Faller ist sehr gebrechlich«, warnte er.

      »Gerade darum. Eine Weltreise will ich ja nicht mit ihr machen«, erklärte sie ungeduldig. »Ich dachte an Bad Kissingen. Sie war früher öfter dort und wünscht es sich wohl heimlich, es noch einmal zu sehen.«

      »Vom ärztlichen Standpunkt aus ist nichts dagegen einzuwenden, wenn Sie in vierzehn Tagen fahren wollen«, antwortete er gedankenvoll. »Wie werden Sie es Annette erklären?«

      Ihr Gesicht bekam einen trotzigen Zug. »Ich bin nicht abhängig von ihr, und schließlich bin ich erwachsen. Annette fragt mich auch nicht, wenn sie verreist.«

      »Verstehen Sie sich denn nicht mit ihr?« erkundigte er sich vorsichtig.

      »Ich mag meine Schwester sehr«, erwiderte Felicia rasch. »Aber wir haben viele unterschiedliche Interessen.« Mehr sagte sie nicht, und er stellte keine Fragen.

      Eine halbe Stunde später verließ Felicia das Marienheim mit dem Bewußtsein, eine leidgeprüfte alte Dame sehr glücklich gemacht zu haben. Nichts konnte sie in ihrem Vorhaben erschüttern, auch nicht der Gedanke, daß Annette, wenn sie es erfuhr, darüber spotten würde.

      *

      Noch dachte Felicia nicht daran, etwas von ihren Plänen verlauten zu lassen. Während der nächsten Tage gestaltete sich das Verhältnis zwischen den beiden Schwestern ohnehin recht eigenartig. Annette war still und in sich gekehrt, ging nicht aus und nahm alle Mahlzeiten mit Felicia ein, was bisher höchst selten vorgekommen war.

      Eigentlich war sie ganz zufrieden über diesen Zustand, denn er ließ sie hoffen, daß Annette ihr Leben nun sinnvoller gestaltete. Diese Hoffnung wurde aber jäh zunichte, als ein paar Tage später Bob Webster aufkreuzte.

      Felicia hatte seinen Wagen erkannt und sich schnell zurückgezogen, noch ehe er das Haus betrat. Es beunruhigte sie sehr, daß er nun wieder erschien, hatte sie doch gehofft, dlaß Annette sich von ihm zurückgezogen hätte. Nun fürchtete sie, das veränderte Wesen ihrer Schwester könnte mit diesem Mann zusammenhängen, den sie zwar nur zweimal gesehen hatte, den sie aber instinktiv ablehnte.

      Sollte sie darüber nicht froh sein, fragte sie sich. Froh, weil Annette sich so nicht an Holger Bergström band? Er hatte nichts mehr von sich hören lassen, aber kurz nachdem Bob Webster das Haus betreten hatte, wurde ihr ein Gespräch durchgestellt. Sie vernahm herzklopfend Holgers Stimme.

      Er wünschte sie zu sprechen, nicht Annette. »Werden wir uns noch einmal treffen, Felicia, bevor Sie die Reise antreten?« fragte er. »Ich würde Ihnen gern noch einige Ratschläge mit auf den Weg geben. Oder haben Sie Ihre Pläne geändert?«

      Nein, sie hatte ihre Pläne nicht geändert. Die Hotelzimmer waren schon bestellt.

      »Ich komme am Freitag wieder ins Marienheim«, erklärte sie.

      »Da bin ich leider bereits belegt. Geht es morgen, Felicia? Wir brauchen uns ja nicht immer im Altersheim zu treffen.«

      Sie zögerte kurz. »Gut, machen Sie einen Vorschlag.«

      Ein verträumtes Lächeln lag über ihrem Gesicht, als sie bald darauf den Hörer auflegte.

      Bob Webster war nicht begeistert, als Annette seiner Umarmung auswich, aber er zeigte dennoch eine lächelnde Miene.

      »Ich kann dir eine freudige Nachricht bringen, Darling. Du bekommst dein Amulett!« verkündete er.

      Was soll ich jetzt noch damit, dachte Annette traurig. Schmuck habe ich in Hülle und Fülle, und sonst nützt es nichts mehr.

      »Bist du schon wieder anderen Sinnes geworden?« fragte er verärgert. »Es hat unsägliche Mühe gekostet, das Stück aufzutreiben. Und es ist wunderschön. In ein paar Tagen kann es dir gehören.«

      »Gut«, sagte sie, »was soll es kosten?«

      »Ich habe es leider nur zu dem Preis, den du geboten hast, erwerben können. Ich habe ihn inzwischen für dich ausgelegt«, gab er fast beiläufig zurück.

      »Auf welches Konto kann ich das Geld überweisen lassen?« fragte sie geistesabwesend.

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