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mich.«

      »Doktor!« Was liegt nicht alles in diesem Ausruf. Er müßte es heraushören, wenn er nicht so tief in seinen Kummer verstrickt wäre.

      »Ja, ja«, bestätigt er noch einmal. »Es ist schon so, man wird an sich selbst irre.«

      Im selben Augenblick flammt das Licht über der Tür auf. Sie werden beide zu einer Operation gerufen. Hastig trinken sie ihre Tassen leer, und Sybilla bedauert unendlich, daß soviel Unausgesprochenens zwischen ihnen liegt.

      *

      Schwester Magda führt ein regelrechtes Doppelleben. Tagsüber ist sie die ernste, gewissenhafte Oberschwester. Abends führt Martin Freytag sie aus. Sie raucht eine Unmenge Zigaretten, und sie ist eine unermüdliche Tänzerin. Den Rest der Nacht verbringt sie in Freytags Armen.

      Oberschwester Magda ist eine glückliche Frau – aber nur, wenn sie in Martin Freytags Armen liegt. Sonst ist sie innerlich wie gehetzt. Sie spürt, wie die Nächte ihr zusetzen, wie dieses Tempo sie auslaugt, wie ihre Nerven überbeansprucht werden. Aber sie wagt dieses Leben nicht zu ändern, aus Angst, Martin zu verlieren.

      In Stückers Villa, in der Martin Freytag augenblicklich Alleinherrscher ist, da sich Christiana auf Reisen befindet, erlebt sie ihr erstes Liebesglück.

      Aber sie wird das Gefühl nicht los, daß dieses Glück eines Tages zusammenbricht. Um so mehr klammert sie sich an Freytag. Sie will die Zeit mit ihm genießen – was dann kommt, daran wagt sie nicht zu denken. Freytag ist sehr großzügig zu ihr. Er schenkt ihr duftige Nachtwäsche und elegante Morgenröcke, die sie in seinem Schrank in dem eleganten Zimmer der Villa verbirgt.

      Sie sind soeben von einem Tanzabend heimgekehrt, und Doktor Freytag ist im Bad verschwunden. Sie muß ihm sagen, daß er auch mehr an sich denken muß und diese Vergnügungen ihn aushöhlen.

      Sie liegt auf der breiten Couch, die Arme hat sie unter dem Kopf verschränkt und träumt von ihm. Manchmal sieht er aus, als sei ihm alles zuviel, als würde er nur ihr zuliebe von einem Lokal zum anderen ziehen. Dann wieder ist er fröhlich und ausgeglichen.

      Wo er nur bleibt?

      Sofort erwacht ihre Sorge. Ihm wird doch nicht übel geworden sein? Er hat reichlich viel getrunken. Sie schlüpft in die reizenden Pantöffelchen – auch ein Geschenk von ihm – und gleitet über den weichen Teppich ins Bad. Sie öffnet die Tür – und stößt einen spitzen Schrei aus.

      Doktor Freytag fährt herum. Ein bleiches Gesicht mit wirren Haaren sieht sie, weitgeöffnete Augen starren sie an.

      Eine Injektionsspritze fällt klirrend zu Boden.

      Sie ist dem Zusammenbrechen nahe und klammert sich an den Türrahmen. Aus den zartgrünen Kacheln, dem vielen Chrom, dem blitzenden Kristallspiegel schält sich nur diese Spritze heraus, die da zerbrochen am Boden liegt.

      »Das also – ist es –« flüstert sie, und es schüttelt sie. Mit einem Aufschrei macht sie kehrt, wirft sich auf die Couch und bricht in verzweifeltes Weinen aus.

      Er ist süchtig – und sie selbst hat ihm die Ampullen gegeben. Er hat sie benützt, um seinem Laster zu frönen. Sie weint und weint, wie sie nie in ihrem Leben geweint hat. Das ist das Ende. Ein furchtbares Ende!

      Da fühlt sie sich herumgerissen. Doktor Freytag, jetzt wieder der alte, lacht ihr ins Gesicht.

      »Stell dich doch nicht so an, Dummes, du. Als hättest du noch keinen Menschen gesehen, der…«

      Sie schüttelt seine Hände ab. »Laß mich, bitte, laß mich«, keucht sie. »Ich bin dir nur ein Werkzeug gewesen. Du hast dir von mir Ampullen geben lassen, die du niemals an ambulante Patienten gegeben hast. Du hast mich belogen, schamlos belogen. Oh …«

      Sie läßt sich zurückfallen und weint hemmungslos weiter.

      »Du bist verrückt«, sagt er brutal. »Stell dich nicht so an. Ich bin froh, daß du endlich dahintergekommen bist. Nun brauch ich mich nicht mehr zu beherrschen. Das Theaterspielen ist mir langsam auf die Nerven gegangen.«

      Ihre Augen hängen mit einem verzweifelten Ausdruck an seinem Mund, der so leichtfertig zu ihr spricht und der sie so heiß geküßt und damit ihr Gewissen eingeschläfert hat.

      »Du bist ein – Scheusal –«, sprüht es aus ihr. »Du bringst mich ins Zuchthaus. Das hast du gewollt. Du – du hast auch die Gerüchte um Doktor Romberg ausgestreut. Ich – ich verachte dich.«

      Hart pressen sich seine Arme um sie. Sein Atem streift sie. Dicht sind seine blauen Augen mit den dunklen Wimpern vor ihr.

      »Du wirst mich nicht verraten, Liebling.« Es klingt zärtlich wie immer. »Du wirst weiterhin an meiner Seite bleiben – und mir helfen. Wir finden einen Weg, falls das Morphiumbuch kontrolliert werden sollte. Hörst du? Begehe keine Dummheiten, die uns beide vernichten könnten. Liebst du mich?«

      Er sucht ihren Mund. Sie sträubt sich, aber nach und nach bricht ihr Widerstand zusammen. Willenlos überläßt sie sich seinen Liebkosungen. Ausgelöscht ist der Wille. Sie ist nur noch liebende Frau, nichts als liebende, hingebungsvolle Frau.

      *

      Diesmal trifft Sybilla Sanders ihren Vater während der Sprechstunde an. Sie wartet geduldig bei Martha in der Küche, die ihr wie immer soviel zu erzählen hat.

      Endlich erscheint er und strahlt über das ganze Gesicht. »Können wir essen, Martha?« erkundigt er sich und führt seine Tochter auf die Veranda, wo im Sommer alle Mahlzeiten eingenommen werden.

      Sybilla möchte am liebsten den Grund ihres Kommens sofort mit ihm besprechen. – Aber sie läßt ihn erst essen. Sie selbst stochert auf ihrem Teller herum.

      »Na, Mädel, keinen Appetit?« erkundigt er sich gemütlich. »Die Martha ist zwar ein Biest, aber kochen kann sie, das muß der Neid ihr lassen. Nun lang schon zu, Billa. Blaß genug siehst du aus.« Er legt Messer und Gabel aus der Hand. »Hast du einen besonderen Grund, mich aufzusuchen?«

      Ihre klaren Augen weichen seinem forschenden Blick nicht aus. »Ja, Papa. Ich möchte etwas mit dir besprechen, was mir sehr am Herzen liegt.«

      Wenig später bringt Martha den Mokka und serviert ihn auf der Veranda.

      Ihre Zigaretten glühen, und Doktor Sanders fordert sie auf: »Nun, Sybilla, was gibt es?«

      Nachdenklich sieht Doktor Sanders dem Rauch ihrer Zigarette nach, ehe sie zögernd beginnt: »Du sprachst neulich davon, die Praxis aufzugeben«, »dir zu übergeben«, verbessert er sie rasch.

      Sie sinkt ein wenig mutlos in sich zusammen. »Würdest du sie auch einem jungen, tüchtigen, sehr tüchtigen Arzt überlassen, Papa?«

      Groß, fast flehend sind ihre Augen auf ihn gerichtet. Doktor Sanders kennt sich in den Menschen aus. Auch in seinem Kind.

      »Was für ein Arzt ist das?« fragt er zunächst ganz sachlich.

      Sybilla wird lebhaft. »Es ist unser Oberarzt, Doktor Romberg. Du kannst mir glauben, er wäre der geeignete Mann, dein Nachfolger zu werden. Er ist wirklich unheimlich tüchtig.«

      Doktor Sanders lächelt in sich hinein. Kleine dumme Sybilla! Wie schlecht kannst du dich verstellen.

      »Soso«, sagt er und nagt an seiner Unterlippe. Dann trifft sie ein rascher Blick. »Und was spielt dieser Doktor Romberg sonst für eine Rolle in deinem Leben?«

      »Gar keine – Papa.–«

      »Und das soll ich dir glauben?« Er steht auf und tritt an die weitgeöffnete Tür, die in den Garten hinabführt. Von dorther sagt er: »Warum bist du nicht ehrlich zu mir?«

      Schweigen!

      Da dreht er sich um. Er sieht, wie ihr Kopf gesenkt ist und ihre Schultern zucken. Billa weint? Das ist ungeheuerlich.

      »Aber Kind, mein Gott, warum weinst du denn?«

      Unter Tränen sieht sie zu ihm auf. »Ich – ich liebe ihn, Papa. Aber er – er weiß es nicht. Er ist ein wundervoller.

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