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betrachtete er zuerst als Individuum für sich, dann im Zusammenhang mit den andern. Besonders tüchtig wurde an eine möglichst plastische Hinstellung des Helden und der Heldin gearbeitet. Bei dieser Lektüre unterbrach er mich, sobald ich ihm etwas falsch aufgefaßt oder mich falsch ausgedrückt zu haben schien. Wir gingen erst dann weiter, wenn ich den nach seiner Ansicht richtigen Ton gefunden hatte.

      Bei dem Sprechen meiner Rollen fand auch das Spiel in Fernows Lehrplan seine Berücksichtigung. Die ersten Male mußte ich Mienenspiel und Gebärden streng unterdrücken. Auch hier waren ihm – namentlich was Bewegung anbetraf – die ersten Bedingungen der Kunst Ruhe und Maß, möglichste Einfachheit, möglichste Großheit. Hierbei war ihm ein Zuwenig lieber als ein Zuviel. Von einem Einstudieren vor dem Spiegel sprach er mit Abscheu.

      »Wenigen wird hierbei einfallen, darauf zu achten, ob ihre Bewegungen unschön sind, sondern die meisten werden versuchen, ihre schöne Person möglichst unnatürlich zu machen. Sie, liebe Rolla, haben Anmut und Sie haben vor allen Dingen Würde; brauchen also durchaus keinerlei Raffinement anzuwenden, um auf der Bühne schön gefunden zu werden. Streben Sie, wenn Sie sich später Ihre Kreise auswählen können, sich viel in der besten Gesellschaft zu bewegen, wo Sie nur edlen Formen begegnen. In dieser Beziehung ist unsere vornehme Welt eine ganz vorzügliche Bildungsanstalt. Leicht und oberflächlich mag man darin sein, die Form mag das Wesen darin erstickt haben; aber das geht uns hier weiter nichts an.

      Auch das gereicht Ihnen bei Ihrer Natur zum Vorteil: Ich habe noch nie bemerkt, daß Sie im Negligé gehen, weder an Ihrer Person, noch in Ihrem Wesen; sowie Sie auch des von mir gehaßten sogenannten Sonntagskleides nicht bedürfen, um immer festlich gekleidet auszusehen. Das sind Kleinigkeiten; aber unter Umständen können sie große Wirkungen haben.«

      In solcher Weise verfloß mein Leben mit dem vortrefflichen Mann. Er blieb sich immer gleich und ebendiese seine schöne Gleichheit war es, die mir in seiner Freundschaft ein so himmlisches Gefühl von Frieden, Ruhe und Sicherheit gab. Ich konnte mir nicht denken, daß dieses ernste, edle Antlitz jemals ohne sein menschenfreundliches Lächeln für mich sein könnte, daß diese sanfte, starke Hand sich einmal nicht ausstrecken würde, die meine zu fassen. Ich mochte mich verändern und verwandeln – er mußte bleiben wie er war. Ich konnte irren und mich verirren, aber ihn würde ich finden: immer gleich hilfreich, edel und gut.

      Wie diese starke, ernste Empfindung mir guttat, wie sie mich gut machte!

      Dreizehntes Kapitel

       Es wird wahr

       Inhaltsverzeichnis

      Es schien doch mehr zu sein als ein schöner Traum.

      Eines Tages erhielt ich ein höfliches Schreiben von dem Bureau der königlichen Schauspiele mit der Einladung: an einem bestimmten Tage vor der Intendanz Probe zu sprechen. Meine Mutter erfuhr auch jetzt nichts davon.

      Fernow begleitete mich auf dem schweren Gang. Ich sprach einiges, die Herren waren sehr artig gegen mich; weiter erfuhren wir nichts. Nach ungefähr vier Wochen bangen Harrens ein zweites Schreiben: Vor dem Beginn der Wintersaison ein Gastspiel auf Engagement mit freier Wahl der Rolle. Jetzt kam die schöne Stunde: wir teilten es der Mutter mit.

      Darauf folgte eine ernste Beratung mit dem Freund.

      Uns blieb ungefähr noch ein halbes Jahr Frist, also Zeit genug zur Arbeit und Vorbereitung.

      Zuerst mußte die große Frage beantwortet werden; was sollte ich spielen, von welcher Rolle sollte ich den Erfolg abhängig machen?

      Durchgenommen hatten wir von Lessing: die Miß, Minna von Barnhelm und Emilia; von Goethe: Marianne, Klärchen und – der Sprache wegen! – Stella; von Shakespeare: Porzia und Katharina. Von Schiller blieb mir nur die Luise gestattet.

      »Wir müssen mit ungemeiner Vorsicht zu Werke gehen. Wie die Menschen nun einmal sind, urteilen sie nach dem ersten Eindruck. Namentlich leistet unser Theaterpublikum in dieser edlen Angewohnheit Außerordentliches. Wir dürfen uns daher ja nicht einfallen lassen, ungewöhnlich sein zu wollen, sondern müssen vor allem daran denken, das zu bringen, was denen im Parkett und im zweiten Rang am besten gefällt.

      Also was spielen?

      Am besten sind Sie entschieden als Minna und Porzia. – – Eine junge tragische Liebhaberin zum ersten Debüt Minna und Porzia – das weise Publikum schüttelt bedenklich sein majestätisches Haupt.

      Als Marianne sind Sie reizend. Doch ziemt sich auch dieses anmutige Kind für keine zukünftige Tragödin. Der Charakter der Stella ist für Sie glücklicherweise noch zu problematisch. Es ist auch ein gar widerwärtiges Stück! Ebenso ist es mit Lessings Engländerin. Ihre Emilia ist eine sehr tüchtige und wahre Gestalt; aber Sie kommen in dieser Rolle zu wenig aus sich heraus. Und die Luise – das tun Sie Ihrem alten Freunde nicht an!

      Nun bleibt uns aber noch Shakespeare; auch an Kleist könnten wir denken. Das Käthchen ist aber für Sie viel zu naiv. Ihre Katharina ist scharf und geistvoll; aber Sie sind dazu nicht genug kleine Hexe. Sie könnten Ophelia einstudieren und Cordelia, zur Not auch die Julia. Was man zu diesen Rollen braucht: Jugend, Anmut, Empfindung besitzen Sie; aber es scheint mir dennoch nicht das Rechte zu sein. Die im Parkett wollen – und das mit Recht – mehr von Ihrem Talent sehen, als wie Sie als Ophelia Blumen streuen oder als Tochter des großen Königsnarren sentimental sind. Und die Julia – liebe Freundin, ich fürchte: dieser holden Veroneserin sind Sie doch noch nicht ganz gewachsen.

      Sie kennen ja mein Prinzip: gutes Spiel muß gute Natur sein. Deshalb müssen Sie auch sobald als möglich aus dieser dumpfen Enge heraus, die für Sie ganz das ›Hüttchen auf dem Alpenfeld‹ ist. Sie müssen erleben – liebe Freundin, Sie müssen leiden. – – Ja, machen Sie nur große Augen, lächeln Sie nur! Wir sprechen uns schon noch darüber. Für heute nur so viel: Um Julia Capuletti gut zu spielen, müssen Sie die Empfindungen dieser lieblichen Gestalten nicht nur deklamieren, sondern – eben empfinden können. So aus dem Buch heraus geht das nicht. Selbst Ihre Einbildungskraft würde hier bei gewissen Stellen nur eine mäßige Kupplerin sein.

      Nein! Wir müssen lieben und zwar müssen wir unglücklich lieben. Lachen Sie nur, Sie werden noch genug weinen müssen. Ich werde Sie nicht einmal darum bedauern. Wie – ich meine es tragisch und Sie fassen es humoristisch auf?! Diese Auffassung ist falsch, mein Fräulein. Sie sind mir viel zu harmlos, viel zu glücklich. Lassen Sie uns erst Leidenschaft und Entsagung, Jammer und Elend aller Art erlebt haben und Sie sollen sehen, was für eine große Künstlerin aus uns wird. Sehen Sie: Sie lachen schon jetzt nicht mehr.

      Nein, wie die Sachen heute noch stehen, geht es mit der Julia durchaus nicht. Der erste Auftritt, Balkonszene, Verlobung – ausgezeichnet! Der himmlische Morgen nach der Brautnacht: auch für die berühmte Lerche werden Sie die Töne finden. Aber wie wird es, wenn Sie des Phöbus »feuersprühendes Gespann« hinabwünschen sollen? Darüber traue ich mir kein Urteil zu. Das gutmütige Publikum wird gewiß klatschen und nachsichtige Rezensenten werden Ihre Leistungen für »eine junge Anfängerin« recht rühmlich finden. Aber Sie und ich werden weniger entzückt darüber sein.

      Nun waren wir mit dem, was wir können, so ziemlich zu Ende; nur das süße, arme Märchen ist noch übriggeblieben. Das können wir, das können wir recht gut. Also spielen wir Klärchen!«

      »Warum nennen Sie denn Gretchen nicht?«

      »Weil ich wußte, daß Sie es nennen würden. – – Also nicht Klärchen – Gretchen soll es sein! Nun, ich bin damit einverstanden; aber recht gut will es mir auch mit dem Gretchen nicht scheinen. Wir kommen hier in ein ähnliches Dilemma wie bei der Julia. Mir bangt vor der Kerkerszene! Ein verlassenes, halb sinnloses Weib, das in einer fürchterlichen Erregung sein Kind getötet – welche Saite Ihrer Empfindungen wollen Sie anschlagen, um dafür die richtigen Töne zu finden? Gretchen zu spielen ist durchaus nicht so leicht, als ihr jungen Stürmerinnen meint. Als Beweis hierfür mag die traurige Tatsache dienen, daß ein gutes Gretchen eine Seltenheit ist. Ich habe nur einmal ein solches gesehen, als ganz junger Bursche, das habe ich allerdings

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