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mit vieler Mühe erworben. Auch für die liebenswürdige Kunst sann er auf neue Lehrmethoden und erreichte dadurch, daß die Blumen der Mutter weit künstlerischer gebildet wurden als diejenigen, welche gerade Mode waren. Meine Mutter erhielt infolgedessen von den ersten Magazinen Bestellung und entschloß sich, nach den Ratschlägen des Freundes, ein förmliches Atelier einzurichten, in welchem sie bald eine große Zahl junger Mädchen ausbildete und beschäftigte.

      Beglückte mich so die Verehrung, ja Ehrfurcht, mit der ich meine Mutter von dem Freund behandelt sah, konnte ich mich oft nicht enthalten, von ganzem Herzen zu wünschen: wär' er doch ihr Sohn! Aber der Sohn der Mutter hätte mein Bruder sein müssen.

      Fernow hatte recht: dem armen Gretchen ward in seiner richterlichen Gegenwart oft angst und bange. Er war unerbittlich, unbestechlich! Seine Natürlichkeitsmanie nahm bei diesem Gretchenstudium einen erschrecklichen Charakter an.

      »Ach, daß es doch so schwer ist, natürlich zu sein,« war mein täglicher Seufzer. Dabei mußte ich jedoch mehr und mehr einsehen, wie begründet Fernows leidenschaftliche Forderung war und wie sehr beim deutschen Theater gegen die heilige Natur gefrevelt wird.

      Da schwatzt man auch bei der Schauspielkunst so viel von Idealismus und Realismus und liefert dadurch wieder einmal den Beweis: welche Herkulesarbeit es für die meisten Menschen sein muß, vernünftig zu sein. Muß es denn immer gerade Idealismus sein? Kann denn der Weg nicht auch zwischen diesen beiden Extremen ganz bequem und sanft hinführen?

      »Wenn Sie Ihr Publikum nicht zu überzeugen vermögen, ist Ihre ganze Kunst wertlos. Diese Überzeugung ist meiner Meinung nach nur dann zu erzielen, wenn Ihr Spiel uns so in die Illusion zu versetzen und in ihr zu erhalten weiß, daß wir, die Wirklichkeit vergessend, Dichtung und Spiel für Wirklichkeit nehmen. Dies ist aber nur dann möglich, wenn auch das Spiel immer bei der Wirklichkeit bleibt. Nun kann jedoch die Wirklichkeit nur zu oft recht häßlich sein: sie ist es. Sie von allem Häßlichen zu befreien und zu reinigen und ihr so die Verklärung des Schönen zu geben, muß Ihr erstes und vornehmstes Bestreben sein. Wenn Sie das tun – und Sie können es, ohne im geringsten die Natur verleugnen zu müssen – so idealisieren Sie Ihren Stoff. Sie bleiben real, denn Sie fußen auf dem Boden der Wirklichkeit – Sie sind ideal, weil Sie mit Ihrem Haupte den Himmel grüßen.

      Einen vorzüglichen Beleg, zu welchen Irrtümern die absolut reale Richtung, die völlige Natur auf der Bühne verleiten kann, geben die Italiener. Diese Menschen spielen, daß alles Spiel aufhört. Aber was müssen Sie dabei mit in den Kauf nehmen! Gewinsel, Geheul, Sterberöcheln, Todeszuckungen – alles mit solcher Natur wiedergegeben, daß man sich voll Ekels von derartiger niederländischer Malerei abwende. Was im Gegensatz zu diesem die Idealisten dem Schauspiel für Unheil gebracht, davon liefern in ihren klassischen Tragödien die Franzosen ein abschreckendes Beispiel. Da stolziert alles auf dem Kothurn, da sind alle Falten Draperien, da ist jede Bewegung Pose, jedes Wort Pathos. Sehen Sie dagegen einmal im Theater Français Molière spielen und Sie werden von diesem Abend eine Epoche in Ihrer schauspielerischen Entwicklung datieren. Sie erfahren, was Ihre Kunst bei der Vereinigung mit dem Idealisten zu leisten vermag.

      Allerhöchstes, eben das Kunstwerk.

      Und nun zu unserm Gretchen.

      Was nehmen wir heute vor?«

      »Die Szene nach dem Kirchgang abends zu Haus war an der Reihe.«

      Ich trat ins Stübchen, setzte die Lampe hin, ging, das Fenster zu öffnen. Mir ist so schwül, mir ist so angst! Ich möchte, daß die Mutter nach Haus käme! Ich schauere, ich schelte mich aus. Die Angst zu verscheuchen, trällere ich ein Lied.

      Dann finde ich das Kästchen und darin den Schmuck. Ich staune, ich putze mich auf: ich finde mich hübsch. Mein eigner, ungeschmückter, junger Hals fällt mir ein. Ich seufze, ich bedauere mich ...

      Ich glaubte, recht liebenswürdig gewesen zu sein; aber der Freund schüttelte den Kopf.

      »Noch weit einfacher!« ermahnte er, »noch weit bürgerlicher und schlichter; Sie machen in dieser Szene noch immer viel zu viel. Das Publikum muß kaum merken, daß Sie gut spielen, so ungemein einfach muß der kleine Vorgang geschehen. Besonders das erste. Ihre ahnungsvolle Empfindung, daß Ihnen etwas geschehen werde, ein großes Glück und ein großer Schmerz, müssen Sie weit unbewußter geben. Ein junges Ding, dem ein wenig bang zumute ist, weiter nichts. – – Also noch einmal.«

      Es geschah noch viele Male.

      »Ich bitte Sie um alles,« beschwor mich der Freund, »gebrauchen Sie keine weichen Töne, die Gretchen nun einmal gar nicht verträgt. Der Dichter hat sie so fein und zart geschildert, daß die Schauspielerin sehr vorsichtig zu Werke gehen muß, um nicht durch zu viel Farbe die reinen Konturen zu verwischen, oder mit zu lebhaftem Kolorit auf eigene Hand hineinzumalen. Die Linien sind die einfachsten, klarsten, keuschesten, die jemals gezeichnet worden sind.

      Vor allen Dingen: keine Sentimentalität! Gretchen ist nicht empfindsam. Das Veilchen auf der Wiese ist es auch nicht, trotzdem es dazu von den klugen Menschen gemacht worden ist. Gretchen ist ein Veilchen: Es blüht bescheiden, aber duftet ganz kräftig.

      Und Gretchens Geschichte? Sie ist kaum eine andere als Bärbelchens und jedermann weiß, daß das eine sehr alltägliche Geschichte ist: Ein junges, verliebtes Ding verführt und verlassen, verzagend und verzweifelnd – manch einem Mädchen, das hold und gut, abends am Brunnen auf ein gefallenes Bärbelchen schmält und dann vor dem Schlafengehen sehnsüchtig ein Lied von Liebe und Treue singt, ergeht es, wie es dem guten Gretchen ergangen. Freilich der Muttermord und der Brudermord und dann, in einem schrecklichen Augenblick der unfreiwillige Kindesmord – das ist fürchterlich! Der Beilschlag des Henkers ist in dieser Tragödie der notwendige Schluß. Und der notwendige Schluß ist: das gerichtete, das gerettete Gretchen von triumphierenden Engelscharen in die geöffneten Himmel getragen.«

      Solcherart unterwies mich Fernow in Gretchens Geschichte, und erschloß mir so das volle Verständnis dieser allersüßesten Gestalt.

      »Ob dem Publikum Ihr Gretchen so gefällt wie mir, das ist allerdings etwas zweifelhaft,« bemerkte er mit einem Gesicht, über das ich lachen mußte.

      »Schlägt Ihnen das Gewissen, nachdem Sie die Tat verbrochen?« fragte ich ihn mit verstelltem Ernst. »Ich mache Sie für die Folgen verantwortlich!«

      Er starrte mich ganz erschrocken an.

      »Verantwortlich – Folgen? – – O weh, Doktor Axel Fernow, was haben wir da angerichtet?!« Aber sofort sprach er sich wieder Mut ein. »Pah, Folgen! Gutes kann nur gute Folgen haben. Unser Gretchen ist ein ganz anderes Geschöpf, als das junge Fräulein im Schleppkleide, welches auf unserem Theater ihrem Heinrich auf dem Kirchgang begegnet. Zuerst ist diese Demoiselle naiv, dann gefühlvoll, zuletzt hochtragisch; und diese Mosaik von Empfindungen heißt dann: ›Entwicklung!‹ Übrigens, wenn Sie meinen, daß ich Ihnen durch meine Gretchenvorträge gerade keinen Freundschaftsdienst erwiesen habe, so könnten wir ja einige pikante Nuancen einschachteln, damit die im ersten Rang das gute Kind nicht gar zu langweilig finden: so einige kräftige Drucker! Es ist gerade nicht schwer und wirkt ungeheuer. Sie können das schließlich, ohne sich dabei von mir helfen zu lassen. Eindruck, Effekt machen Sie jedenfalls mehr damit. Also, überlegen Sie's!«

      Ich lachte meinen klugen Lehrmeister aus.

      »Ich bin groß und spiele mein Gretchen: Ihr Gretchen! Und wollen sie uns nicht, nun, so ist man – wieder groß und verachtet. – – Ist es so recht, mein gewaltsamer Herr?«

      Dem war's recht.

      Fünfzehntes Kapitel

       Die Kerkerszene

       Inhaltsverzeichnis

      Ich übte an den Vormittagen den schrecklichen Auftritt ein, wobei Luise jedesmal händeringend zur Mutter kam: jetzt sei ich wahr und wahrhaftig toll geworden! und sich weigerte, allein in der Küche zu bleiben, solange ich daneben »herumrase«. Ganz unglücklich machte sie der Umstand, daß ich mich dazu »hergebe«,

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