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      »Mein lieber Bruder«, sagt sie salbungsvoll, »du denkst zuviel, und wenn du damit anfängst, kommt nie etwas Gescheites dabei heraus. Fahr mich nach Hause – oder?«

      »Du bist ein unerhört freches Ding«, schnauzt er sie an. »Man sollte dich –«

      »– verprügeln«, vollendet sie seelenruhig und breitet ihren schwingenden Rock behutsam um sich aus. »Das wolltest du doch sagen, mein Bruderherz. Ich möchte dir empfehlen, es einmal zu versuchen.« Sie sieht ihn herausfordernd aus schrägen Augenwinkeln an. »Du würdest dich acht Tage mit einem blauen Veilchen um deine bildschönen Augen über die Hände deiner Kundinnen neigen müssen.«

      »Kröte«, knirscht er, geht um den Wagen herum und schwingt sich neben sie. Sie sitzt wie ein Unschulds­engel neben ihm, blickt interessiert in die Fahrtrichtung. Plötzlich muß er hellauf lachen. »Du hast doch der Madame Cläre irgendeinen Streich gespielt, sonst säßest du nicht hier.«

      Sie schürzt verächtlich die Lippen. »Der und einen Streich spielen? Das mache ich nur mit Menschen, die ich leiden mag. Diese Person ist mir verhaßt. Sie ist unehrlich.« Aufgeregt dreht sie sich ihm zu. Ihre Augen funkeln ihn an. »Glaube mir, Christian, diese Person ist nicht astrein.«

      »Und du hast einen Vogel«, erwidert er trocken. Gar nicht beleidigt lehnt sie sich auf dem Sitz zurück.

      »Gut, dann habe ich eben einen Vogel, stört mich nicht im geringsten. Andere aber auch, und die merken es nicht einmal.«

      Kopfschüttelnd steuert Christian den Wagen durch den Verkehr. Er muß seine ganze Aufmerksamkeit der Fahrbahn zuwenden. Nach einer Weile bohrt sie abermals.

      »Was machst du denn unterwegs? Hast du denn nichts zu tun?«

      »Das geht dich einen Schmarrn an«, sagt er grob, und sie hebt nur leicht die Schultern: »Ich fahre zum Tennis, bin mit den anderen verabredet.«

      »Wenn du gestattest«, spricht er und macht hinter dem Lenkrad eine kleine spöttische Verbeugung, »ich auch!«

      *

      In drei Wagen fahren Christian, seine Schwester und Freunde zu den Tennisplätzen. Es ist an einem Donnerstag im September, und die Sonne verschwendet sich noch einmal mit all ihrer Wärme und ihrem Glanz. Sie haben die Verdecke zurückgeschlagen, lachen und lärmen und benehmen sich ganz wie sorglose junge Menschen, die glauben, ihnen läge die ganze Welt zu Füßen.

      Sie verlassen die Stadt, und über eine schnurgerade Allee kommen sie nach einer ungefähr einstündigen Fahrt in den nächsten kleineren, aber sehr reizvollen Ort.

      Plötzlich wendet sich aus Christians Wagen Klaus Bildermann an seinen Nachbarn. »Ich habe furchtbaren Durst.« Und dann erhebt er sich und macht den folgenden Wagen das Zeichen des Trinkens. Er wird auch sofort verstanden. Christian steuert den Wagen rechts heran, direkt vor einen Neubau, auf dem noch fleißig gearbeitet wird.

      Auf der gegenüberliegenden Seite ist ein Rasthaus entstanden. Modern, mit breiten Fenstern und viel Blumen.

      Die jungen Menschen krabbeln aus ihren Wagen. Die Herren bleiben ein paar Minuten vor dem Schacht stehen, an dem soeben gearbeitet wird.

      »Kommt doch, wir verdursten«, drängt Liane Held. Sie schiebt ihren Arm unter den Christianes, aber diese steht wie angewurzelt.

      Einer der arbeitenden Männer in beschmutzter Arbeitskleidung nicht weniger schwitzend wie die anderen, dreht sich um und steht wie gelähmt.

      Seine Zwillinge stehen inmitten ihrer Freunde. Er reckt sich in den breiten Schultern und scheint unter den starren Blicken seiner Kinder und der anderen noch zu wachsen.

      »Papa!« flüstert Christiane, und sie ist bis in die Lippen erblaßt. Sie möchte hinlaufen zu dem Mann, dessen helle Augen abwartend auf ihr ruhen. Aber sie kann nicht. Ein geradezu unheilvolles Schweigen herrscht um sie. Da schlägt sie die Hände vor das Gesicht und rennt über die Straße.

      »Weitermachen«, befiehlt Rudolf Hermann den Arbeitern und wendet sich aufreizend langsam der Kolonne wieder zu. Er nimmt dem nächsten Arbeiter den Spaten aus der Hand, und unter seinen kraftvollen Bewegungen fliegen die Erdbrocken den jungen eleganten Menschen direkt vor die Füße, so daß sie mit einem Laut der Entrüstung beiseite springen und dann der entfliehenden Christiane über die Straße in das Rasthaus folgen.

      Rudolf Hermann arbeitet wie besessen. Sein Gesicht ist verschlossen und seine Züge hart. Die Lippen hat er zu einem schmalen Strich zusammengepreßt. Er hört den entsetzten Ausruf seiner Tochter. Er sieht die weit geöffneten Augen seines Sohnes und das verächtliche Lächeln um den Mund und wie er sich brüsk von ihm abgewendet hat. Er will nicht daran denken, aber das Bild verfolgt ihn förmlich.

      Sie haben sich seiner geschämt – kann er nur denken – sie haben getan, als würden sie ihn nicht kennen. Er fühlt einen bohrenden Schmerz in seiner Brust. Um diesen Schmerz zu betäuben, arbeitet er pausenlos. Er ist Baumeister und gleichzeitig sein erster Arbeiter.

      Die kleine, merkwürdig still gewordene Gesellschaft hat sich im Hintergrund des Rasthauses an einem Rundtisch niedergelassen.

      Christiane hat den Kopf auf den Tisch gelegt und weint hemmungslos.

      »Schmachvoll«, stößt Christian mit kalkigem Gesicht hervor. »Wie kann sich Vater soweit erniedrigen? Arbeitet mit Hacke und Schaufel wie ein gewöhnlicher Arbeiter. Denkt er denn gar nicht an Mama und uns?«

      Komisch! Er findet kein Echo. Sie machen alle recht betretene Gesichter. Christianes Kopf ruckt empor.

      »Schmachvoll nennst du das?« fährt sie den Bruder an. Ihr Gesicht ist naß von Tränen, die immer wieder nachstürzen.

      »Beherrsche dich gefälligst«, zischt Christian ihr zu. »Was sollen die Leute von uns denken.«

      Christiane schnellt in die Höhe. »Was diese Leute von mir denken, ist mir gleichgültig. Vielleicht sind es auch Nichtstuer wie wir –«

      »Erlaube mal –«

      »Jetzt rede ich«, fährt sie erregt dazwischen. »Nicht gleichgültig ist es mir, was Papas Arbeiter von mir denken. Oh, ich hätte in die Erde sinken mögen vor Scham. Alles hat Papa hergegeben für uns, für Mama, für dich und für mich. Er arbeitet, hört ihr, er arbeitet mit Hacke und Schaufel, und das ist nicht schmachvoll, sondern höchst ehrenhaft.«

      Keiner wagt ihr etwas zu entgegnen. Zaghaft tritt die Bedienung an den Tisch, und Christian ist es, der sich zuerst wiederfindet und mit überlauter Stimme seine Bestellung für den ganzen Kreis aufgibt.

      »Ich mag nichts trinken«, sagt Christiane bockig und schiebt ihr Glas von sich. »Ich möchte heim. Wer fährt mich zurück?«

      Stille.

      »Ich kann auch mit der Bahn zurückfahren«, beharrt sie, immer noch weinend.

      »Wir fahren alle zurück«, läßt Klaus Bildermann sich ruhig vernehmen. »Laß uns die Kleinigkeit trinken, Christiane«, richtet er das Wort direkt an sie und drückt sie auf ihren Platz zurück. »Mir ist auch die Lust vergangen.«

      *

      Cornelia hat bereits in der Veranda, die ihr Aussehen völlig verändert hat – sie ist zu einem richtigen gemütlichen, Behaglichkeit ausströmenden Eckchen geworden – den Abendbrottisch gedeckt.

      Mit einem Buch hat sie es sich auf der Liege bequem gemacht. Manchmal hebt sie den Kopf und blickt hinunter auf die Straße und hält nach dem Vater Ausschau.

      Sie sieht einen dunklen Mercedes vorfahren, dessen Chrom in der untergehenden Sonne nur so blitzt und eine Männergestalt aussteigen, bei deren Erkennen sie sich rasch erhebt.

      Stefan Rietberg! Kommt er zu ihnen?

      Sie streicht ihr Kleid glatt und lauscht in die Stille der Wohnung. Tatsächlich schlägt die Klingel an, und langsam geht sie zur Tür.

      »Guten Abend, Fräulein Hermann.« Stefan Rietberg verneigt sich höflich.

      »Guten Abend«,

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