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und man mußte sie ihm abnehmen.

      Die Pflegerin hatte, wie es fast immer der Fall ist, ihren Schützling liebgewonnen, und trug ihm nach seiner Genesung Herz und Hand an.

      Es versteht sich, daß Aubin den Antrag annahm. Er wurde zum größten Erstaunen seiner Bekannten einer der kleinen Grundbesitzer des Cantons.

      Leider war sein Glück nicht von langer Dauer. Seine Frau starb nach einem Jahre; ein von ihr hinterlassenes Testament wurde von ihren Verwandten wegen eines Formfehlers angegriffen, und da das Gericht ihnen die Erbschaft zusprach, so war Aubin wieder so arm wie zuvor.

      Wegen dieser kurzen Dauer seines Glückes hatten ihn die Einwohner von Montaigu, die ihn beneidet und sich seines Unglückes im Stillen gefreut hatten, den Spitznamen »Courte-Joie« gegeben.

      Die Erben, welche das Testament umgestoßen hatten, gehörten der liberalen Partei an, es war daher natürlich, daß Aubin’s Zorn über den Verlust des Prozesses auf die ganze Partei überging. Sein Haß gegen die Patrioten und die Richter, denen er die schreiendste Ungerechtigkeit zuschrieb, war durch die Ereignisse angefacht worden und erwartete nur eine günstige Gelegenheit, sich durch Thaten kundzugeben. Bei seinem düstern, durch sein Gebrechen verbitterten Charakter war allerdings sehr viel von ihm zu fürchten.

      Aubin konnte nicht mehr arbeiten, und trotz seines großen Widerwillens gegen das Stadtleben mußte er in der Stadt eine Zuflucht und einen Erwerb suchen. Mit den Trümmern seines kurzen Wohlstandes zog er nach Montaigu, mitten unter Menschen, die er haßte, und errichtete die Schenke, in welcher wir ihn achtzehn Jahre nach den eben erzählten Ereignissen wiederfinden.

      Die royalistische Meinung hatte im Jahr 1832 keinen wärmeren Vertheidiger als Aubin Courte-Joie; durch die Förderung dieser Sache befriedigte er ja zugleich seine persönliche Rache.

      Ungeachtet seiner hölzernen Beine war Aubin der thätigste, intelligenteste Anstifter des bevorstehenden Aufstandes. Er war gleichsam ein vorgeschobener Posten mitten in dem feindlichen Lager; er benachrichtigte die Führer der Vendéer von allen Maßregeln, welche die Regierung nicht nur im Bezirk Montaigu, sondern in den angrenzenden Départements zu ihrer Vertheidigung ergriff.

      Die herumziehenden Bettler, die von Niemand beachtet oder mit Argwohn betrachtet werden, waren seine Hilfstruppen, die er zugleich als Kundschafter und als Vermittler seines Verkehres mit den Landleuten sehr geschickt benützte.

      Seine Schenke war daher der Sammelplatz der sogenannten Chouans; es war das einzige Stadthaus, wo sie sich offen aussprechen konnten.

      An dem Markttage schien diese Schenke Aubin’s nicht so sehr mit Gästen angefüllt, als man hätte vermuthen können. In der ersten Stube saßen höchstens zwölf Bauern, welche offenbar der wohlhabenden Classe angehörten.

      Die Gaststube war von einem zweiten Zimmer, in welchem Aubin wohnte und schlief, durch eine mit bunten baumwollenen Vorhängen versehene Glaswand getrennt. In diesem Zimmer pflegte Aubin bei besonderen Gelegenheiten seine Freunde zu empfangen.

      Das zweite Zimmer war, dieser mehrfachen Bestimmung entsprechend, behaglicher eingerichtet, als die Schenkstube. Im Hintergrunde stand ein sehr niedriges Himmelbett mit grünen Vorhängen, und neben demselben lagen zwei große Fässer, aus denen man für die Gäste den Cider und Branntwein holte. Auf der andern Seite war ein breiter und hoher Kamin. In der Mitte stand ein eichener Tisch, von einer Bank umgeben. An einer Wand stand eine Truhe, und über derselben war ein Brett befestigt, auf welchem sechs Teller und sechs zinnerne Krüge standen.

      Die Verzierungen des Zimmers bestanden aus einem Crucifix, einigen Heiligenbildern von Wachs und grob colorirten Lithographien.

      Am Markttage hatte Aubin dieses Zimmer seinen zahlreichen Freunden geöffnet. Wenn sich in dem Schenkzimmer nur zehn bis zwölf Gäste befanden, so konnte man in der Hinterstube mehr als zwanzig Personen zählen.

      Die meisten dieser Leute saßen um den Tisch und tranken und sprachen sehr eifrig mit einander. Einige nahmen runde Brotkuchen aus großen Säcken, zahlten sie, legten sie in Körbe und reichten diese aus einer in der Ecke befindlichen Thür, vor welcher Weiber und Bettler warteten.

      Zu dieser Thür gelangte man aus dem oben erwähnten Seitengässchen über einen kleinen Hof.

      Aubin Courte-Joie saß auf einem hölzernen Armsessel unter dem Caminmantel. An seiner Seite saß ein Mann in einem ziegenledernen Rock und mit einer schwarzen wollenen Mütze. Zwischen seinen Füßen lagen zwei Hunde. Es ist unser alter Bekannter Jean Oullier.

      Hinter ihnen stand Aubins Nichte, eine junge hübsche Bäuerin, die er zur Bedienung der Gäste zu sich genommen hatte; sie schürte das Feuer und achtete auf ein Dutzend brauner Schalen, in denen der sogenannte »Ciderbraten« brodelte.

      Während Aubin sehr lebhaft, wenn auch leise, mit Jean Oullier sprach, ertönte in der Schenkstube ein leiser Pfiff, dem Schreien des Rebhuhnes ähnlich.

      »Wer kommt da?« fragte Aubin und beugte sich vor, um durch eine in den Vorhängen gelassene kleine Oeffnung zu schauen. »Der Mann von La Logerie! Achtung!«

      Sogleich herrschte in Aubin’s Zimmer die größte Stille und Ordnung. Die kleine Thür hatte sich leise geschlossen, die Weiber und Bettler waren verschwunden. Die Männer, welche die Brotkuchen zählten, hatten ihre Säcke zugebunden und sich darauf gesetzt. Die Trinker schwiegen, einige von ihnen waren sogar wie auf Commando eingeschlafen. Auch Jean Oullier hatte sich gegen das Feuer gekehrt, so daß seine Gesichtszüge nicht sogleich bemerkt werden konnten.

      II.

      Der Mann von La Logerie

      Courtin – denn er war’s, den Aubin den »Mann von La Logerie« genannt hatte – war wirklich in der Schenkstube erschienen.

      Abgesehen von dem leisen Pfiff, den man für den Schrei eines zahmen Rebhuhnes halten konnte, schien seine Anwesenheit in der Schenkstube gar kein Aufsehen zu machen. Die Gäste plauderten fort, aber das Gespräch wurde sehr lustig, sogar lärmend.

      Courtin sah sich um, und da er die Person, die er suchte, nicht zu finden schien, öffnete er ohne Zögern die Glasthür und schaute in das zweite Zimmer.

      Auch hier schien ihn Niemand zu beachten. Nur Mariette, die Nichte Aubins, welche die Gäste bediente, fragte ihn ganz unbefangen, wie einen täglichen Gast ihres Oheims:

      »Was steht zu Diensten, Herr Courtin?«

      »Eine Schale Kaffee,« antwortete Courtin, indem er alle Anwesenden musterte und in alle Winkel schaute.

      »Gut, setzt Euch,« erwiderte Mariette, »ich will ihn sogleich bringen.«

      Courtin war also genöthigt, näher zu treten.

      »Wie geht‘s, Aubin?«« fragte er den Wirth.

      »Wie Ihr sehet,« antwortete dieser, ohne sich umzudrehen..

      Courtin konnte leicht bemerken, daß man ihn in der Gesellschaft eben nicht gern sah; aber er ließ sich nicht so leicht abschrecken..

      »Gib mir einen Schämel, Mariette,« sagte er, »ich will mich zu deinem Oheim setzen.«

      »Es ist kein Schämel mehr da,« antwortete das Mädchen, »Ihr habt Gott sey Dank, gesunde Augen, um es zu sehen-«

      »Nun, dann muß mir dein Onkel seinen Schämel geben,« sagte Courtin mit kecker Vertraulichkeit, obgleich er sich durch den Empfang, den er fand, nicht sehr ermuthigt fühlte.

      »Wenn’s durchaus seyn muss,« murrte Aubin, »so sollst Du ihn haben; ich will mir nicht nachsagen lassen, daß ich einem Gast einen Schämel verweigert.«

      »Nun, so gib her, Du Schwätzer; denn ich sehe den, den ich suche.«

      »Wen suchst Du denn?« fragte Aubin aufstehend.

      Er hatte sogleich die Wahl zwischen zwanzig Schämeln, die ihm angeboten wurden.

      »Ich suche Jean Oullier,« erwiderte Courtin, »und mich dünkt, da sitzt er.«

      Jean Oullier sprang auf und fragte in fast drohendem Tone:

      »Was wollt Ihr von mir?«

      »Nun, Ihr

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