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einem warmen Händedruck von ihm Abschied, warf ihren Mantel über und ging fort.

      Aber vor der Thüre fand sie Michel, der, ohne das Gespräch zu verstehen, das Fräulein von Souday keinen Augenblick aus dem Gesichte verloren hatte und sie nun vor der Thür erwartete.

      »Was geht denn vor, mein Fräulein?« fragte er, »und was haben Sie erfahren?«

      »Nichts,« sagte Bertha.

      »O, wenn Sie nichts erfahren hatten so wären Sie nicht fortgegangen, ohne sich um mich zu kümmern, ohne Abschied von mir zu nehmen, ohne mir einen Wink zu geben!«

      »Warum sollte ich denn Abschied von Ihnen nehmen? Sie begleiten mich ja, und vor dem Schloßthore ist immer noch Zeit, Ihnen zu danken.«

      »Wie! Sie erlauben?«

      »Was! Daß Sie mich begleiten? Sie sind ja dazu berechtigt – vorausgesetzt, dass Sie nicht zu ermüdet sind —«

      »Ich – ermüdet! Mit Ihnen oder Fräulein Mary würde ich bis an’s Ende der Welt gehen! Ich bin gar nicht müde.«

      Bertha lächelte und sah den jungen Baron von der Seite an.

      »Schade, sagte sie für sich, »daß er nicht zu uns gehört! Doch aus einem solchen Charakter kann man machen, was man will.«

      »Warum sprechen Sie so leise, mein Fräulein?« sagte Michel, »ich habe Sie nicht verstanden.«

      »Weil ich es für den Augenblick wenigstens nicht laut sagen kann.«

      »Aber später?«

      »Ja, später vielleicht.«

      Der junge Baron bewegte nun ebenfalls die Lippen, aber ohne daß sein Mund einen Laut hervorbrachte.

      »Was bedeutet diese Pantomime?« fragte Bertha.

      »Daß ich ebenfalls leise rede – nur mit dem Unterschiede, dass ich es Ihnen, wenn ich dürfte, gern laut sagen möchte. – Nun, ich wills wagen: Ich sah mit tiefem Bedauern, daß Sie in eine unvermeidliche, unnütze Gefahr stürzen.«

      »Was für eine Gefahr meinen Sie, lieber Nachbar?« fragte das Fräulein von Souday mit etwas spöttischem Tone.«

      »Die Gefahr, von welcher der Doctor Roger eben mit Ihnen sprach: es wird ein Aufstand in der Vendée erwartet.«

      »Wirklich?»

      »Sie werden es nicht läugnen —«

      »Warum sollte ich es läugnen?«

      »Sie werden mit Ihrem Vater daran theilnehmen?«

      »Sie vergessen meine Schwester,« sagte Bertha lachend.

      »O nein, ich vergesse Niemand,« erwiderte Michel mit, einem Seufzer. »Erlauben Sie mir, Ihnen als wohlmeinender Freund zu erklären, daß Sie Unrecht haben.«

      »Warum habe ich denn Unrecht, mein wohlmeinender Freund?« fragte Bertha mit einem Anfluge von Spott, den sie aus ihrem Charakter nicht ganz verbannen konnte.

      »Weil die Vendée im Jahre 1832 nicht mehr ist, was sie 1793 war, oder vielmehr, weil es keine Vendée mehr gibt.«

      »Das wäre sehr schlimm für die Vendée, aber zum Glück, Herr Nachbar gibt es noch einen Adel. Und überdies gibt es noch eine Rücksicht, die Ihnen vielleicht noch nicht bekannt ist, aber von Ihren späten Nachkommen gewiß erkannt werden wird: der Adel legt große Verpflichtungen auf.«

      Der junge Baron fuhr auf.

      »Jetzt,« setzte Bertha hinzu, »lassen Sie uns von anderen Dingen reden; ich würde Ihnen über diese Angelegenheit keine Antwort geben, denn Sie sind, wie der arme Tinguy sagte, nicht von unserer Partei.«

      »Aber wovon soll ich denn sprechen«?« sagte Michel, durch die Härte des Fräuleins tief verletzt.

      »Wovon Sie wollen. Sprechen Sie von der schönen Nacht, von dem herrlichen Mondschein, von den funkelnden Sternen, von dem blauen Himmel.«

      Michel seufzte und ging schweigend neben ihr her. Was hätte er auch sagen sollen? Er hatte, in der Stadt gelebt, in Büchern studirt, er verstand die schöne Natur nicht. Er war nicht, wie Bertha, seit seiner Kindheit mit allen Wundern der Schöpfung bekannt geworden; er hatte vielleicht noch nie einen Sonnenaufgang gesehen, nie auf den Gesang der Lerche gelauscht, und die Nachtigall kannte er vielleicht nur dem Namen nach. Er hatte Vieles aus den Wissenschaften gelernt, was Bertha nicht wußte, aber Bertha hatte Vieles aus der Natur gelernt, was Michel nicht wußte.

      O, wenn sie gesprochen hätte, wie aufmerksam wurde er zugehört haben! Aber Bertha schwieg; ihr Herz war voll von Gedanken und Gefühlen, die sich nicht durch Geräusch und Worte, sondern durch Blicke und Seufzer äußern.

      Er war ebenfalls in Gedanken vertieft; er sah im Geiste die sanfte Mary statt der ernsten, schonungslosen Bertha an seiner Seite. O, wie redselig wäre er dann gewesen! wie viel hätte er ihr zu sagen gehabt! Mit Mary wäre er der Lehrer und Meister gewesen, mit Bertha war er der Schüler, der Sclave.

      So gingen die Beiden wohl eine Viertelstunde schweigend neben einander. Plötzlich stand Bertha still und gab Michel einen Wink ebenfalls stehen zu bleiben.

      Er gehorchte; bei Bertha blieb ihm ja sonst nichts übrig.

      »Hören Sie?« fragte Bertha.

      »Nein,« sagte Michel.

      »Aber ich höre,« sagte Bertha lauschend.

      »Was hören Sie denn.«

      »Die Hufschläge meines Pferdes – und den des Pferdes meiner Schwester. Man sucht mich, es muß etwas vorgefallen seyn.«

      Sie lauschte wieder.

      »Mary sucht mich,« setzte sie hinzu.

      »Woran erkennen Sie das?« fragte der junge Baron.

      »An dem Galopp der Pferde. Kommen Sie, lassen Sie uns schneller gehen.«

      Die Hufschläge kamen schnell näher, und nach fünf Minuten sah man in der Dunkelheit eine Gruppe, bestehend aus zwei Pferden und einer Reiterin, die auf dem einen Pferde saß und das andere am Zügel führte.

      »Sehen Sie wohl,« sagte Bertha, »es ist meine Schwester.«

      Der junge Baron hatte Mary erkannt, obschon weniger an den Umrissen ihrer Gestalt als an den raschen Pulsen seines Herzens.

      Mary hatte ihn auch erkannt, sie gab ihr Erstaunen durch eine Geberde zu erkennen.

      Sie hatte offenbar erwartet, ihre Schwester allein oder mit Rosine, aber keineswegs in Begleitung des jungen Barons zu finden.

      Michel bemerkte den Eindruck, den seine Gegenwart machte und trat vor.

      »Mein Fräulein,« sagte er zu Mary, »ich begegnete Ihrer Schwester, die sich zu dem kranken Tinguy begeben wollte, und habe sie begleitet, um sie nicht allein zu lassen.«

      »Sie haben sehr wohl gethan, Herr Baron,« sagte Mary.

      »Du verstehst nicht,« antwortete Bertha lachend, »er glaubt mich und vielleicht sich selbst entschuldigen zu müssen. Man muß Nachsicht mit ihm haben, seine Mutter wird ihm tüchtig den Text lesen. Was gibts denn, Blondine?« fragte sie, sich an den Sattelknopf lehnend.

      »Der Aufstand in Marseille ist mißlungen,» antwortete Mary.

      »Ich weiß es schon. Die Prinzessin hat sich wieder ein- geschifft —«

      »Das ist nicht wahr, sie hat erklärt, daß sie Frankreich nicht verlassen wolle.«

      »Wirklich?«

      »Sie ist jetzt auf dem Wege in die Vendée, wenn sie nicht schon angekommen ist.«

      »Woher weißt Du das?«

      »Von einem Boten, der diesen Abend im Schlosse Montaigu während der Versammlung angekommen ist.«

      »Welch ein muthiges Herz!« sagte Bertha in ihrer Begeisterung.

      »Mein Vater kam eilends nach Hause, und als er erfuhr, wo Du warst, befahl er mir, die Pferde zu nehmen und Dich zu holen.«

      »O! ich bin da!« sagte Bertha

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