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das Ende des Monats Mai, waren Colombau und Carmelite, schauend und athmend, jedes an seinem Fenster; das Mädchen war wie geblendet von dem Schauspiel, wie berauscht von dem Wohlgeruche.

      Den ganzen Tag war die Hitze erstickend gewesen; es hatte drei bis vier Stunden geregnet, und gegen sieben Uhr Abends, als sie ihr Fenster öffnete, war Carmelite erstaunt, da sie ganz in Blumen dieses Rosenfeld sah, welches sie am Morgen in Knospen gesehen hatte. Sie begriff ebenso wenig dieses plötzliche Aufblühen der Pflanzen, als sie an einem Schmerzenstage, dessen Andenken ihrem Geiste immer gegenwärtig war, den plötzlichen Übergang vorn Leben zum Tod begriffen hatte.

      Als am Abend Beide in den Garten hinabgegangen und nur durch die Hecke der schon verblühten Syringen von einander getrennt waren, befragte auch Carmelite Colombau über diese rasche Verwandlung der Knospen in Blumen.

      Carmelite war sehr unwissend in der Botanik; denn in der Zeit, wo die Ereignisse vorgehen, die wir erzählen, wurde diese Wissenschaft als ziemlich überflüssig beider Erziehung eines Mädchens betrachtet. Colombau der mehr als einmal Gelegenheit gehabt hatte, diese Unwissenheit wahrzunehmen, fing nun, immer durch die bewegliche grüne Mauer, einen Cursus der Pflanzenphysiologie an, wobei er dieses reizende Studium von den genauen, aber, für die Frauen besonders, unverständlichen Worten befreite, mit denen es die Gelehrten überhäuft haben.

      Er beschrieb ihr die Organisation der Pflanzen auf eine höchst einfache Art, indem er sie auf die drei Elementarorgane zurückführte, welche durch ihre Vereinigung alle Pflanzengewebe konstituieren, Gewebe vergleichbar im Princip einer Gummiauflösung, die sich verdichtend ihre feinen Fasern mit einander verwickelt, in welchen Fasern sich allmählich zahllose Zellen bilden; er machte ihr begreiflich, diese drei Elementarorgane enthalten den inkrustirenden Stoff des Holzes, die kristallisierten Säfte, das Salzmehl, den Klebestoff, die flüchtigen Oele und die verschiedenen Färbestoffe, unter denen der bedeutendste der grüne Stoff.

      Von den Elementarorganen kam er zu den zusammengesetzten Organen, indem er von der Haut sprach, die ihnen als Uebergang diente er nahm eine Pflanze im embryonären Zustand, in der Periode, wo sie, kaum geboren, noch am mütterlichen Stängel hängt, und ließ sie alle Phasen des Wachsthums bis zu dem Augenblicke verfolgen, wo diese Pflanze, fähig, sich von ihrem Stamme loszumachen, sich selbst reproduziert.

      Nachdem er so seiner jungen Nachbarin eine rasche und klare Definition von allen Organen der Pflanzen, – Wurzeln, Stängel, Blätter, Knospen, – gegeben hatte, erklärte er ihr die Verwandlungen, bei mehreren von diesen Vegetabilien, gewisser Organe von ihnen in Dorne, – wie bei den Disteln, den Sauerdornen, den falschen Acacien, – oder in Ranken, wie bei der Rebe, den Erbsen und den Passionsblumen.

      Er machte sie mit der zwischen allen Reichen der Natur bestehenden Solidarität bekannt; wie der Mensch ebenso wenig der Pflanze entbehren kann, als die Pflanze des Menschen; wie Alles in dieser Welt auf eine so harmonische Weise eingerichtet ist, daß das Eine unter der Abwesenheit des Andern leiden würde; er entdeckte ihr die Geheimnisse der Nahrung bei den Pflanzen; er sagte ihr, wie sie zugleich durch die Wurzel und die Blätter im Boden und in der Luft die für ihre Entwickelung nothwendigen Elemente schöpfen; er setzte ihr auseinander, wie der Saft, – der nichts Anderes ist als die Circulation des Blutes bei den Pflanzen, – sich von unten nach oben erhebt, und ließ sie durch einen frisch abgeschnittenen Zweig eines Weinstocks den Ausfluß des Saftes genannt die Thränen der Rebe sehen; er lehrte sie endlich, daß die Pflanzen schlafen, athmen, sich wieder erzeugen wie die Thiere, und er erfüllte ihren jungen Verstand mit Erstaunen, da er ihr enthüllte, gewisse Pflanzen haben natürliche Bewegungen, welche mit der gewöhnlichen Unbeweglichkeit der Vegetabilien contrastiren.

      Zehnmal wollte er sich unterbrechen, aus Furcht, sie zu ermüden oder wenigstens zu langweilen; doch hätten nicht die Nacht und das Blätterwerk das Gesicht von Carmelite verschleiert, so würde er im Gegentheil darin das tiefste Entzücken gelesen haben.

      Plötzlich, als man einen Stern vorüberziehen sah, kam man von der Pflanzenphysiologie auf die Astronomie; man ließ die von den Menschen allen diesen unbekannten Welten, Gegenständen ihrer ewigen Neugierde, gegebenen mythologischen Namen die Revue passieren; der Himmel, die Erde, das Meer, die modernen Zeiten, das Altertum, Griechenland, Aegypten, Indien wurden in Contribution gesetzt, um diese ersten Stunden der Vertraulichkeit zwischen zwei jungen Leuten in einer Frühlingsnacht zu feiern.

      Sie dachten nicht an die Menschen; sie dachten nicht einmal an sich selbst; sie ahnten nicht einen Augenblick, daß die Blumen, die Welten, die Wolken, die Sterne, die Lüfte, auf denen sie seit der Abenddämmerung reisten, sie unfehlbar allmählich in die ätherischen Regionen der platonischen Liebe führen mußten.

      Und was war denn dieser leidenschaftliche, glühende Eifers mit dem Colombau die Harmonien der Natur beschrieb, wenn nicht eine leuchtende Kundgebung der frischesten und mächtigsten Liebe, welche je, eine Pflanze des Lebens oder des Todes, im Herzen eines jungen,Mannes gekeimt?

      Diese Kraft der Aufmerksamkeit, das Entzücken des Mädchens während dieser Revue der Wunder der Schöpfung, welche so rasch und fast ohne mehr Spuren zu hinterlassen, als der Stern, den sie hatten hinschweben sehen, vorübergezogen, was war es denn, wenn nicht die Offenbarung der ersten Liebe?

      Und fügt dieser Gemüthsverfassung von siebzehn Jahren bei der Einen, von zweiundzwanzig Jahren beim Andern bei, daß der Tag stürmisch gewesen, daß die Luft lau und von Wohlgerüchen erfüllt war, und daß bei dem Strahlen der Sonne, bei der Liebkosung dieser Lüfte ein ganzes Rosenfeld am Morgen in Knospen, am Abend in Blumen stand!

       XXXIX

      Das Grab der la Vallière

      An diesem Abend also, berauscht durch den Wohlgeruch der Rosen, der sie umhüllte, wie jene duftende Wolle, worin Virgil seine Göttinnen verbirgt, unter diesem leuchtenden Himmel, dessen Sterne sich verliebt wie eben so viele Apollos und Daphnes zu verfolgen schienen, in dieser durch den Regen des Tages abgekühlten Atmosphäre, mit einem Worte, in dieser ersten ruhigen, heiteren, balsamischen Frühlingsnacht erschlossen sich die Herzen der zwei jungen Leute der Liebe, wie sich dem befeuchtenden Thau am Abend der Kelch der Blumen erst schloß.

      Nachdem sie Mitternacht schlagen hörten, als sie die hellen Glockenklänge bis zwölf zählten, bebten sie, gaben einen Schrei von sich, wechselten einen raschen guten Abend und gingen zitternd wie Schuldige hinauf.

      Nachdem sie zum zweiten Stocke gelangt waren, blieben sie stehen. Das Fenster des Bodens war offen; der Mond beleuchtete schweigsam und melancholisch das von Rosen umgebene Grab.

      »Was für ein Grab ist das?« fragte Carmelite,während sie sich mit dem Ellenbogen auf das Fenstergesims stützte.

      »Es ist das Grab von Mademoiselle de la Vallière,« antwortete der junge Mann, der sich neben ihr in dem engen durch die Oeffnung des Fenster gegebenen Raume auflehnte.

      »Wie, das Grab von Mademoiselle de la Vallière findet sich hier?« fragte Carmelite.

      »Alle diese Terrains, die Sie hier sehen,« antwortete Colombau, bildeten einst den Garten eines dem Orden, dessen poetischen Namen Sie führen, gehörenden Klosters; mitten in diesem Garten war eine Kirche, nach den alten lutecischen Sagen auf den Ruinen eines Tempels der Ceres erbaut; man kennt nicht genau die Epoche der Stiftung dieser Kapelle; nur glaubt man, sie datiere aus der Zeit der Regierung von Robert dem Frommen; gewiß ist, daß sie schon am Ende des zehnten Jahrhunderts Benedictiner-Mönche der Abtei von Marmoutier inne hatten, welche sie als Priorei bis zum Jahre 1604 besaßen, wo sie den Carmeliterinnen von der Reform der heiligen Therese abgetreten wurde. – Catharina von Orleans, Herzogin von Longueville, erhielt, angetrieben von einigen Devoten, die ihr den Titel Stifterin anboten, vom König, durch die Unterstützung von Maria von Medici, alle für die Gründung dieser Anstalt nötigen Vollmachten. Mit der Erlaubniß von König Heinrich IV. und dem Gutheißen von Papst Clemens VIII. ließ man von Avila nach Paris sechs Cameliterinnen kommen, welche durch die seraphische Heilige Therese de Cepedes formiert worden waren. Diese sechs Nonnen waren die ersten ihres Ordens in Frankreich; sie bewohnten das Kloster, welches hier war und nicht mehr existiert; beteten, sangen, starben in dieser Kirche, von der nur noch das Grab übrig ist, nach dessen Namen Sie fragen.«

      »Oh!

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