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der gute Herr Müller, – dies war der Name des alten Professors, – bewohnte, lag über der Krankenstube; man war also zur äußersten Behutsamkeit genötigt, und der Boden war so dünn, daß man die leichtesten Tritte schallen hörte. Bei seiner Seelengüte hatte der alte Professor bange, die geringste Störung in der Ruhe der Kranken zu verursachen; aus diesem Grunde hatte er darauf Verzichtet, die einzige Leidenschaft, weiche je sein Herz schlagen gemacht, zu befriedigen: er betete die Musik an und spielte Violoncell mit der Wissenschaft und der Liebe eines deutschen Vinloncellisten.

      Seit den drei Jahren, die er dieses unglückliche Zimmer bewohnte, – ein Datum, das ungefähr mit dem Eintritt von Justin ins Collége zusammenfiel, – hatte er weder seinen Bogen, noch sein Violoncell berührt, und dennoch wartete er, ohne sich zu beklagen, auf den Augenblick, wo er in dem neuen Zimmer. das man für ihn bestimmte und ihm seit achtzehn Monaten versprach, seine Lieblingsbeschäftigung wieder aufnehmen könnte.

      Dieser sehnsüchtig erwartete Tag kam endlich.

      Es war eine süße Ueberraschung für Justin, als er den in seine neue Wohnung eingesetzten, geliebten Meister die ersten Arcorde dem Violoncell, diesem Instrumente so ernst und schwermüthtig wie eine Klage der Wälder, entlocken hörte.

      Justin gerieth in eine tiefe Extase, und so lange Herr Müller spielte, hörte er mit gefalteten Händen zu.

      Von diesem Augenblick an ließ Justin nicht eine Minute seinem alten Professor Ruhe, bin er ihm von diesen so lange eingeschlafenen Harmonieschätzen mitgetheilt, welche erwachend alle Fibern seiner Seele in Bewegung gesetzt hatten.

      Jeden Tag kam Justin, um seine Lection zu nehmen, das heißt, jeden Tag widmete der junge Mensch der Musik die Zeit, die er vorher der Recreation gewidmet, welche übrigens nie etwas Anderes, als eine unter dem Anscheine des Vergnügens verkleidete Arbeit gewesen war.

      Dann entzifferte man die Werke der Meister, man verglich die Alten mit den Neuen, Porpora mit Weber, Bach mit Mozart, Haydn mit Cimarosa; man brandmarkte die Plagiatoren, man machte die Geschichte der Musik seit ihrem Anfange beim Gregorianischen Gesang bis auf Gui von Arezzo und von Gui von Arezzo bis auf unsere Tage; – sodann kam man von der Musik, – jedoch nur in der Art der Episode, – aus die Malerei und die Poesie, diese zwei Schwestern. zurück; kurz, wie der Lehrer einst seinen Zögling auf die grünen Ebenen der Wissenschaft geführt hatte, führte er ihn nun auf die azurblauen Ebenen der Kunst.

      Aber diese durch eine sanfte und zugleich geschickte Hand in das Herz des Knaben geworfenen Samen keimten, blühten und trugen Früchte in der Vereinzelung Beider.

      Die Vereinzelung hat das Gute, daß sie den Menschen zwingt, die unaussprechliche Zartheit zu begreifen, welche in ihm ist, eine Zartheit, von der er, verloren in dieser egoistischen Gesellschaft. die uns die Hälfte unseres Lebens, raubt, nie etwas müßte; die Vereinzelung gewöhnt den Menschen daran, eine beständige Rückkehr zu sich selbst zu machen: das ist die tägliche Sammlung.

      Es ist eine ganze Religion in der Einsamkeit! die Vereinzelung macht die Schlechten gut, die Guten besser. Ja der Stille spricht Gott zum Herzen der Menschen; in der Einsamkeit spricht der Mensch zum Herzen Gottes.

      Die Vereinzelung zu zwei ist noch besser, als die alleinige Vereinzelung! die Vereinzelung zu zwei ist ein Traum, ein Feenmährchen.

      Das war der Traum des alten Lehrers und seines Zöglings, ein Traum von sieben Jahren, dem sie der Kummer plötzlich entzog.

      Eines Morgens, an einem Sonntag im Februar 1814, kam der wöchentliche Brief, der Familienbrief.

      Er war schwarz gesiegelt.

      Das war nicht die Handschrift des Vaters, das war nicht die Handschrift der Mutter.

      War der Vater gestorben? war die Mutter gestorben?

      Wenn der Vater oder die Mutter lebte, warum verkündigte nicht der überlebende Theil die erschreckliche Nachricht?

      Justin entsiegelte zitternd den Brief.

      Das Unglück ging weiter, als die traurige Ahnung hatte vorhersehen können

      Die Kosaken hatten die Ernte verwüstet, die Speicher geplündert, den Pachthof in Brand gesteckt; der Mutter, die sich auf das Bett ihrer Tochter geworfen, um sie den Flammen zu entreißen waren, die Augen verbrannt worden.

      Die Mutter war blind!

      Doch der Vaters warum hatte der Vater nicht geschrieben?

      Der Vater, ein alter Soldat der Republik hatte, als er den Umfang seines Unglücks gesehen, den Kopf verloren; er hatte seine Flinte genommen und eine Jagd auf Kosaken angefangen.

      Er tödtete neun derselben.

      In dem Augenblick aber, wo er auf den zehnten anlegte, ohne zu bemerken, daß er selbst in einen Hinterhalt gefallen war, gingen ein Dutzend Schüsse zugleich los: zwei Kugeln durchbohrten seine Brust; eine dritte zerschmetterte ihm den Schädel!

      Er stürzte todt zu Boden.

      Der Lehrer theilte den Gram des Schülers; die Thränen des Greises und die des Kindes vermengten sich; aber Thränen und Klagen Vermochten nichts: man mußte sich verlassen.

      Justin umarmte seinen zweiten Vater; – der Professor verdiente wohl diesen Namen, denn hatte der junge Mensch vom Ersten das Leben des Körpers empfangen, so hatte er vom Zweiten das Leben der Seele erhalten; und die zwei Freunde trennten sich.

       XIV

      Der Kampf des Lebens

      Der Vater todt, die Mutter blind, die Schwester noch zu jung, um zu arbeiten, das Haus verbrannt, die Ernte vernichtet, – was konnte der arme Justin thun? – Ein Knabe von sechzehn Jahren!

      Er schrieb Alles dies seinem alten Professor, und bat ihn um Rath.

      Die Antwort ließ nicht auf sich warten.

      Herr Müller rieth Justin lebhaft, nach Paris zurückzukommen. War Paris nicht das Land der Mittel und Quellen?

      Ueberdies würde er da seien um ihn mit allen seinen Kräften zu unterstützen.

      Der wackere Mann war arm; doch er hatte Niemand auf der Erde, und so war er reich.

      Er stellte seinen kleinen Schatz, die Ersparnisse von zehn Jahren, zur Verfügung von Justin, und er lud ihn ein in einem Hause in der Nähe des seinigen abzusteigen.

      Es wäre Hochmuth gewesen, dies auszuschlagen; Justin kam nicht einmal ein solcher Gedanke: er nahm an.

      Da geschah es, daß er sich in Paris in dem Hause des Faubourg Saint-Jacques, wo Jean Robert und Salvator eingetreten waren, niederließ.

      Er nahm sein Quartier in der elenden Stube, von der wir unsern Lesern einen Begriff zu geben versucht haben.

      Ein Jahr lang bewarb er sich vergebens auf allen Seiten um Lectionen.

      Jeder lachte diesem Professor von fünfzehn und einem halben Jahre ins Gesicht.

      Erst im zweiten Jahre erhielt er einige Repetitionen; doch das wenige Geld, das sie eintrugen, genügte entfernt nicht für die Nahrung von drei Personen.

      Diese Repetitionen nahmen ihm nur drei Stunden im Tage weg; er suchte, welchen andern Erwerbszweig er betreiben könnte.

      Da erfuhr er, die Stelle eines Musiklehrers an einem Pensionat von jungen Mädchen sei erledigt: er präsentierte sich, versehen mit einem Empfehlungsbriefe von Herrn Müller an die Vorsteherin der Anstalt.

      Justin wurde mit offenen Armen empfangen.

      Der gute alte Meister hatte in seinem Briefe gesagt, man würde ihm einen wahren Dienst erweisen, wenn man seinen Schößling annähme und ihm die erledigte Stelle gäbe. Der junge Mann habe es nötig, fügte er bei.

      Die Vorsteherin der Anstalt, welche wußte, daß Herr Müller arm war, dachte, sie werde wohlfeilen Kaufes ihren Zweck erreichen.

      Sie bot ihm zwanzig Franken monatlich an.

      Der alte Professor, der auf seinen Zögling stolz war, rieth ihm, dies auszuschlagen.

      Justin nahm das Gebot an.

      Mit diesen zwanzig Franken monatlich

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