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daß der epische Dichter ein Gedicht in seinem ganzen Leben macht, während ein dramatischer Dichter zehn, zwanzig, dreißig Trauerspiele, und sogar mehr macht, ein Beweis davon ist Aeschylus, welcher deren vierzig machte, Sophokles, der deren hundert drei und zwanzig machte, Euripides, der deren vier und achtzig machte! Indem ich das Verzeichniß der Alten und der Modernen las, bemerkte ich daher auch mit Schrecken, daß sich nicht eine große Katastrophe ereignet hatte, daß es nicht einen großen König oder großen Feldherrn gegeben hatte, ohne daß die Katastrophe zum Thema, und der König oder Feldherr zum Helden irgend eines Trauerspieles oder irgend eines Dramas gedient hätte. Alles war benutzt worden: Aeschylus, der indessen die Wahl unter den Helden hatte, da er als der erste auftrat, war bis zu Prometheus, das heißt bis zu Titan, dem Schöpfer der Welt, hinaufgegangen; Racine, der als der letzte kam, war bis zu Bajazet, das heißt fast bis zu der Geschichte unserer Zeit hinabgegangen. Was die Anderen anbelangt, so hatten ,sie mit vollen Händen, zur Rechten und zur Linken, hier und dort geerntet; – Sophokles hatte Ajax, Philoktetes, Antigene, Elektra, König Oedipus, Oedipus auf Kolonos genommen; er hatte soviel davon genommen, daß er am Ende genöthigt gewesen war, dasselbe Thema zwei Male zu nehmen. Euripides hatte Hecuba, Alceste, Medea, Iphigenia in Aulis, Iphigenia auf Tauris genommen, ein Beweis davon ist, daß auch er am Ende, wie sein Vorgänger Sophokles, keine Themas mehr gefunden hatte; – Shakespeare hatte Hamlet, Macbeth, Richard II., Richard III., Julius Cäsar, Coriolanus, den König Lear, Heinrich VIII., Titus Andronicus, Perieles, Antonius und Kleopatra genommen, so daß es ihm eines Tages gleichfalls an historischen Helden fehlte, und, da die Geschichte von ihm und seinen Vorgängern erschöpft war, er deren von seiner Einbildungskraft verlangte, welche, gehorsam und fruchtbar, Othello, den Kaufmann von Venedig, die beiden Seigneurs von Verona, Romeo, Falstaff, Prospero . . . was weiß ich? gab… – Corneille hatte den Cid, die Horatier, Cinna, Attila, Sertorius, Polyeuctes, Rodogune, Pompejus, Hannibal genommen; so weit gekommen, hatten ihm die Themas dermaßen gefehlt, daß er zum großen Nachtheile seines Ruhmes seine Zuflucht zu Pertharites, zu Otto, zu Surena genommen hatte, so daß er, nachdem er mit jenem Feldherrn der Parther zu thun gehabt hatte, da er nicht mehr wußte, weder was, noch wen er in Verse setzen sollte, die Nachahmung Jesus Christus in Verse gesetzt hatte! Endlich hatte Racine Eteokles und Polynices, Alexander, Andromache, Brittanicus, Berenice, Mithridates, Iphigenia, Phädra genommen, wonach ihm die Themas dermaßen erschöpft geschienen, daß er zwölf Jahre lang müßig blieb, bevor er Esther schrieb, und vierzehn Jahre, bevor er Athalia schrieb! Die Commentatoren sagen wohl, daß es ein religiöser Grund war, der den großen Dichter in seiner langen Laufbahn aufhielt, aber ich sage, ich behaupte, ich versichere, daß die wahre Ursache das von seinen Vorgängern bewirkte dramatische Gemetzel war . . .

      Ich sage es mit um so mehr Grund, mein lieber Petrus, als es während dreier Jahre, in welchen ich ein Thema zu einem Trauerspiele oder einem Drama suchte, es mit dem Trauerspiele und dem Drama eben so war, als es mit dem Heldengedichte gewesen war. Ich schrieb den Titel von mehr als fünfzig Trauerspielen oder Dramen auf mein Heft; aber als ich nach Verlauf von drei Jahren sah, daß es mir unmöglich wäre, ein unbenutztes Thema zu finden, und da ich mich nicht zu dem Stande eines Plagiarius oder Abschreibers erniedrigen wollte, so verzichtete ich, – nachdem ich das letzte Blatt meines zweiten Buches Papier zerrissen, – darauf, ein großer Mann durch das Trauerspiel und das Drama zu werden, wie ich darauf verzichtet hatte, ein großer Mann durch das Heldengedicht zu werden.

      Man wird mir sagen, daß mir das Lustspiel, diese unerschöpfliche Quelle, übrig blieb, welches die Laster, die Lächerlichkeiten der Menschen, die Irrthümer und die Verkehrtheiten der Gesellschaft zum ewigen Stoffe hat; aber als ich versuchen wollte, von dem Trauerspiele und von dem Drama zu dem Lustspiele überzugehen, bemerkte ich, daß, da ich in Beeston oder in Southwell eben keine anderen Männer als meinen Vater und mich, unseren Vetter und den großen Pope gesehen hatte, da ich keine Gelegenheit gehabt hatte, weder irgend ein Laster, noch irgend eine Lächerlichkeit zu beobachten, ich die Menschen nicht züchtigen konnte, wäre es auch nur im Spaße; eben so als ich, da ich keine andere Gesellschaft, als die des kleinen Dorfes kannte, welches wir bewohnten, nicht im Großen die Irrthümer und die Verkehrtheiten der großen menschlichen Gesellschaften schildern konnte, von der Beeston mir nur eine unmerkliche Miniatur bot.

      Ich verzichtete daher auf das Lustspiel aus, wie Sie sehen, mein lieber Petrus, nicht weniger scheinbaren Gründen als die, welche mich bereits das Heldengedicht, das Trauerspiel und das Drama hatten aufgeben lassen.

      Außerdem trug sich im Laufe dieses dritten Jahres,—, welches das ein und zwanzigste meines Alters war, – ein doppeltes Ereigniß zu, welches, indem es mein ganzes Herz und alle meine Thränen für wahres und persönliches Unglück in Anspruch nahm, meinen Geist wenigstens für den Augenblick verhinderte, sich länger an fremdem oder eingebildetem Unglücke zu üben.

      Meine Mutter zuerst, und nachher mein Vater starben einen Monat nach einander.

      Der Tod meiner Mutter war für mich ein unermeßlicher Schmerz, der meines Vaters war zugleich ein unermeßlicher Schmerz und eine außerordentliche Verlegenheit.

      Wie das? Das will ich Ihnen in meinem nächsten Briefe erklären, mein lieber Petrus, da dieser nach meiner Meinung bereits die Grenzen eines gewöhnlichen Briefes überschritten hat.

      Aber ich bedurfte nicht weniger als der zehn bis zwölf Blätter, aus denen er besteht, um Ihnen zu erklären, wie ich, statt ein großer epischer Dichter wie Homer, Virgil, Dante, Petrarca, Tasso, oder ein großer dramatischer oder komischer Schriftsteller wie Aeschylus, Sophokles, Euripides, Aristophanes, Plautus, Shakespeare, Corneille, Molière oder Racine zu werden, ein einfacher Dorfpastor wie Swift bin, – dabei noch mit Ausnahme seiner tausend Pfund Sterling Einkünfte, die ich nicht beziehe, und seiner Reisen Gulliver’s, seines Mährchens von der Tonne, seiner Prophezeihung Bickerstaff’s und seiner Bücherschlacht, die ich nicht geschrieben habe, wobei ich aber dennoch nicht verzweifle, eines Tages Aehnliches zu schreiben.

      Denn obgleich ich gerade heute, meinem Geburtstage, mein sechs und zwanzigstes Jahr vollendet habe, ohne daß ich mich noch habe entschließen können, die erste Zeile des Buches zu schreiben, das mich berühmt machen wird, so habe ich doch immer noch die Hoffnung, mit Hülse des Herrn, der Nachwelt einen berühmten Namen hinterlassen zu können, wo nicht durch die Poesie, auf welche ich so ziemlich verzichtet habe, doch wenigstens durch irgend ein schönes Buch in Prosa, wie deren Rabelais, Montaigne und Daniel de Foë geschrieben haben.

       III.

      Erster Rath meines Wirthes, des Kupferschmieds

      Ich habe Ihnen in meinem letzten Briefe gesagt, mein lieber Petrus, daß der Tod meiner Mutter für mich ein , unermeßlicher Schmerz, aber daß der meines Vaters zugleich ein unermeßlicher Schmerz und eine außerordentliche Verlegenheit gewesen war.

      Ich habe Ihnen ferner gesagt, daß mein Vater nicht reich war; bei seinem Tode bemerkte ich, daß er nicht allein nicht reich war, sondern auch noch daß er arm, mehr als arm, – in dem Elende war!

      Obgleich von einem strengen und frostigen Aeußern, hatte mein Vater doch ein nachsichtiges und gutes Herz. Die Armen, mit denen er bei der Ausübung seines Amtes zu thun hatte, wußten es wohl und liebten ihn nicht ohne Grund. Wenn er von der Höhe der evangelischen Kanzel gegen die selbstsüchtigen, geizigen, gefühllosen Herzen donnerte, so geschah es, weil sein Geldbeutel leer war; so geschah es, weil, da er überall um sich herum Unglück sah, das er nicht erleichtern konnte, sein Unwille gegen die überströmte, welche Gott reich gemacht hat, damit sie die zweite Vorsehung der Armen wären, und die, indem sie ihr Herz den Klagen der Unglücklichen verschließen, auf eine unwürdige Weise gegen die Sendung fehlen, die sie vom Himmel erhalten haben.

      Mein Vater konnte in der That nicht zwei gefaltete Hände sehen, ohne sie durch ein Almosen zu öffnen, indem er nicht bedachte, daß er der erste Bedürftige seiner Gemeinde wäre. Seine Güte in dieser Beziehung war so sehr bekannt, daß ein armer Weber unseres Dorfes, der für sechszig Pfund Sterling Hanf, Flachs und Garn bei einem Handelsmanne in Nottingham gekauft hatte, und der durch das Abbrennen seines Hauses Alles verloren hatte und den Handelsmann nicht bezahlen konnte, der ihm die Waare geliefert, von diesem Handelsmanne verklagt und für diese Schuld verhaftet, sich, von den Gerichtsdienern

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