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schüttelte den Kopf.

      »Du lügst!« lief die alte Mademoiselle, deren Zorn in demselben Maße zunahm, in dem sie die Gewißheit erlangte, daß die Lage der Dinge ernst war; du lügst! noch am letzten Sonntag hat man dich in der Seufzerallee mit der Billotte gesehen.

      Mademoiselle Angélique log; doch zu jeder Zeit haben sich die Frömmlerinnen für berechtigt geglaubt, zu lügen, kraft des jesuitischen Axioms: Es ist erlaubt, das Falsche vorzugeben, um das Wahre zu erfahren.

      »Man hat mich nicht in der Seufzerallee gesehen, erwiderte Ange; das ist unmöglich, denn wir sind bei der Orangerie gegangen!«

      »Ah! Unglücklicher! du siehst wohl, daß du mit ihr warst.«

      »Aber, meine Tante,« entgegnete Ange errötend, »es handelt sich hier durchaus nicht um Mademoiselle Billot.«

      »Ja, nenne sie Mademoiselle, um dein Spiel zu verbergen. Unreiner! Aber ich werde den Beichtvater von diesem Zieraffen benachrichtigen.«

      »Aber, meine Tante, ich schwöre Ihnen, daß Mademoiselle Billot kein Zieraffe ist.«

      »Ah, du verteidigst sie, während du der Entschuldigung bedarfst. Gut, ihr versteht euch immer besser. Oh! mein Gott, wie weit kommt es noch!  . . . Kinder von sechszehn Jahren!«

      »Meine Tante, ganz im Gegenteil, ich verstehe mich nicht mit Katharine, Katharine jagt mich immer fort.«

      »Siehst du, wie du dich verhaspelst! nun nennst du sie Katharine kurzweg. Ja, sie jagt dich fort, die Heuchlerin, wenn man sie beobachtet.«

      »Ah!« sagte Pitou plötzlich erleuchtet zu sich selbst, »ah! daran hatte ich nicht gedacht.«

      »Siehst du!« rief die alte Mademoiselle, den naiven Ausdruck ihres Neffen benützend, um ihn der Genossenschaft der Billotte zu überweisen; »aber nur zu, ich will das alles ins Reine bringen. Herr Fortier ist ihr Beichtvater; ich werde ihn bitten, dich einsperren zu lassen und auf, vierzehn Tage auf Wasser und Brot zu setzen, und was Mademoiselle Katharine betrifft, wenn sie das Kloster braucht, um ihre Leidenschaft für dich zu mäßigen, wohl! so soll sie es kosten, wir schicken sie nach Saint-Remy.«

      Die alte Mademoiselle sprach ihr letztes Wort mit einer Autorität und einer Ueberzeugung von ihrer Macht, daß Pitou bebte.

      »Meine gute Tante,« sagte er die Hände faltend. »Sie täuschen sich, wenn Sie glauben, Mademoiselle Billot habe irgend eine Schuld an meinem Unglück.«

      »Die Unkeuschheit ist die Mutter aller Laster,« unterbrach ihn salbungsreich Mademoiselle Angélique.

      »Meine Tante, ich wiederhole Ihnen, der Herr Abbé hat mich nicht weggeschickt, weil ich unkeusch bin, sondern er hat mich weggeschickt, weil ich zu viel Barbarismen, vermischt mit Solécismen, die mir auch von Zeit zu Zeit entschlüpfen, machte, und die mir, wie er sagt, alle Aussicht benehmen, das Stipendium des Seminars zu erhalten.«

      »Wie, alle Aussicht? also wirst du das Stipendium nicht erhalten, also wirst du nicht Pfarrer werden, also werde ich nicht deine Haushälterin sein?«

      »Mein Gott! nein, meine Tante.«

      »Und, was wirst du denn werden?« fragte die alte Mademoiselle ganz bestürzt.

      »Ich weiß es nicht.« Pitou schlug die Augen ganz wehmütig zum Himmel auf. Was es der Vorsehung aus mir zu machen gefällt, fügte er bei.

      »Der Vorsehung? Ah! ich sehe, was es ist, rief Mademoiselle Angélique, man hat ihm etwas in den Kopf gesetzt, man hat ihm von den neuen Ideen gesprochen, man hat ihm Grundsätze der Philosophie eingeprägt.«

      »Das kann es nicht sein, meine Tante, da man nur in die Philosophie eintreten darf, nachdem man seine Rhetorik gemacht hat, während ich nie meine dritte zu übersteigen imstande gewesen bin.«

      »Bah! bah! ich spreche nicht von dieser Philosophie, ich spreche von der Philosophie der unglücklichen Philosophen; ich spreche von der Philosophie des Herrn Arouet, ich spreche von der Philosophie des Herrn Jean Jacques, von der Philosophie des Herrn Diderot, der die Nonne gemacht hat.«

      Mademoiselle Angélique bekreuzte sich.

      »Die Nonne?« fragte Pitou; »was ist das, meine Tante.«

      »Du hast sie gelesen. Unglücklicher.«

      »Meine Tante, ich schwöre Ihnen, nein.«

      »Darum willst du nichts von der Kirche.«

      »Meine Tante, Sie täuschen sich, die Kirche will nichts von mir.«

      »Dieser Bursche ist entschieden eine Schlange. Ich glaube, er widerspricht.«

      »Nein, meine Tante, ich antworte nur.«

      »Oh! er ist verloren,« rief Mademoiselle Angélique mit allen Zeichen der tiefsten Niedergeschlagenheit, während sie in ihren Lieblingslehnstuhl sank.

      Die Gefahr war groß. Die Tante Angélique faßte einen äußersten Entschluß: sie erhob sich, als ob eine Feder sie auf ihre Beine geschnellt hätte und lief zum Abbé Fortier, um sich Erklärungen von ihm zu erbitten, und besonders, um einen letzten Versuch bei ihm zu wagen.

      Pitou folgte mit den Augen seiner Tante bis auf die Schwelle der Türe; dann, als sie verschwunden war, trat er ebenfalls auf diese Schwelle und sah sie mit einer Geschwindigkeit, von der er keinen Begriff hatte, nach der Rue de Soissons gehen. Von da an blieb ihm kein Zweifel mehr über die Absichten von Mademoiselle Angélique, und er war überzeugt, sie begebe sich zu seinem Lehrer.

      Das bedeutete wenigstens eine Viertelstunde Ruhe. Pitou beschloß, diese Viertelstunde, die ihm die Vorsehung bewilligte, zu benützen. Er raffte die Ueberreste des Mittagsmahles seiner Tante zusammen, um seine Eidechsen zu füttern; er haschte ein paar Fliegen für seine Ameisen und seine Frösche; dann öffnete er nach und nach den Brotkasten und den Schrank, und sorgte für seine eigene Sättigung, denn mit der Einsamkeit war bei ihm der Appetit wiedergekehrt.

      Als er alle seine Anordnungen getroffen hatte, lauerte er an der Thüre, um nicht bei der Rückkehr seiner zweiten Mutter überrascht zu werden.

      Mademoiselle Angélique betitelte sich die zweite Mutter von Pitou.

      Während er so lauerte, kam eine hübsche junge Person am Ende des Pleux, dem Gäßchen folgend, das von der Rue de Soissons nach der Rue de l'Ormet führt, vorüber. Sie saß auf dem Kreuz eines mit zwei Körben beladenen Pferdes, wovon der eine mit Hühnern, der andere mit Tauben gefüllt war; das war Katharine. Als sie Pitou auf der Schwelle seiner Tante erblickte, hielt sie an.

      Pitou errötete seiner Gewohnheit gemäß; dann verharrte er mit aufgesperrtem Mund und schaute, d. h. bewunderte, denn die Billotte war für ihn der höchste Ausdruck menschlicher Schönheit.

      Das junge Mädchen warf einen Blick in die Straße, grüßte Pitou durch ein leichtes Nicken mit dem Kopf und zog ihres Weges.

      Pitou erwiderte den Gruß, bebend vor Behagen.

      Diese kleine Scene dauerte gerade lange genug, daß der große Schüler, ganz seiner Betrachtung hingegeben und beständig nach dem Platze schauend, wo Katharine gewesen war, seine Tante nicht gewahrte, die vom Abbé Fortier zurückkam und ihn plötzlich, erbleichend vor Zorn, bei der Hand faßte.

      Durch diese elektrische Erschütterung, die bei ihm immer das Berühren von Mademoiselle Angélique verursachte, unversehens aus seinem schönen Traume aufgeweckt, wandte sich Ange um, richtete seine Augen vom zornigen Gesicht seiner Tante auf seine eigene Hand und sah sich zu seinem Schrecken mit einer ungeheuren Hälfte von einer Semmel versehen, auf der, zu freigebig aufgestrichen, zwei Lagen frische Butter und darüber weißer Käse erschienen.

      Mademoiselle Angélique stieß einen Schrei der Wut und Pitou einen Seufzer der Angst aus. Angélique hob ihren gekrümmten Finger auf, Pitou neigte das Haupt: Angélique bemächtigte sich eines Besenstiels, der nur zu nahe bei ihr stand, Pitou ließ seine Semmel fallen und lief ohne weitere Erklärung davon.

      Diese zwei Herzen hatten sich verstanden, sie hatten begriffen, daß fortan nichts mehr unter ihnen bestehen könne.

      Mademoiselle Angélique

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