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Tiere und selbst für die kleinsten Geschöpfe. Der Onkel kannte keine Barmherzigkeit, liebte sie nicht und hielt sie für Schwäche. Unnachsichtige Strenge setzte er über alle Nachsicht. Daher herrschte im Hause und in den zahlreichen Dörfern, die diesem reichen Gutsbesitzer gehörten, eine ewige Trauer, die mit den Menschen auch die Tiere teilten.

      III

      Mein seliger Onkel war leidenschaftlicher Liebhaber der Hetzjagd. Er pflegte oft mit seiner Meute auszureiten und Wölfe, Hasen und Füchse zu jagen. In seinem Zwinger gab es auch eigens für die Bärenjagd bestimmte Hunde. Diese Hunde nannte man »Blutegel«. Sie bissen sich in das Tier dermaßen fest, daß man sie nicht wieder losreißen konnte. Es kam vor, daß der Bär, in den sich so ein Blutegel festgebissen hatte, ihn mit einem Schlag seiner schrecklichen Tatze totschlug oder zerriß, es kam aber niemals vor, daß der Blutegel lebend vom Tiere abließ.

      Heute, wo die Bärenjagd nur noch mit dem Spieß und als Klapperjagd betrieben wird, scheint die Rasse der Blutegel in Rußland ausgestorben zu sein; aber in der Zeit, als sich diese Geschichte zutrug, gehörten sie zum Bestande eines jeden Zwingers. In unserer Gegend gab es damals auch sehr viel Bären, und die Bärenjagd zählte zu den beliebtesten Vergnügungen.

      Wenn es gelang, ein ganzes Bärennest auszuheben, nahm man die Jungen oft lebend nach Hause mit. Sie wurden gewöhnlich in einem großen gemauerten Stalle mit kleinen, ganz oben unter dem Dach angebrachten Fenstern gehalten. In den Fenstern gab es keine Scheiben, sondern nur feste Eisengitter. Die Bärenjungen kletterten manchmal übereinander bis zu den Fenstern hinauf und hielten sich mit ihren kräftigen Krallen an den Gittern fest. Nur auf diese Weise konnten sie aus dem Kerker in Gottes freie Welt hinausschauen.

      Wenn man uns am Vormittag spazieren führte, gingen wir gerne an diesem Stalle vorbei, um uns die drolligen Bären, die durch die Gitter hinausschauten, anzusehen. Unser deutscher Hauslehrer Kolberg pflegte ihnen mittels eines langen Stockes Brotstücke zu reichen, die wir uns zu diesem Zweck beim Frühstück aufsparten.

      Die Bären pflegte und fütterte ein junger Jäger namens Ferapont; das einfache Volk konnte diesen Namen schwer aussprechen und nannte ihn »Chrapon« oder noch öfter »Chraposchka«. Ich kann mich seiner noch gut erinnern. Chraposchka war von mittlerem Wuchs, gelenkig, kräftig und etwa fünfundzwanzig Jahre alt. Er galt als hübscher Bursche: er hatte ein weißes Gesicht, rosige Wangen, schwarze Locken und große, schwarze, etwas hervorquellende Augen. Dazu zeichnete er sich durch ungewöhnlichen Mut aus. Seine Schwester Annuschka, die die Gehilfin der Kinderfrau war, erzählte uns oft höchst unterhaltende Dinge über den ungewöhnlichen Mut ihres kühnen Bruders und über seine Freundschaft mit den Bären, in deren Stalle er im Sommer wie im Winter zu schlafen pflegte, wobei sie sich um ihn drängten und ihre Köpfe auf ihn wie auf ein Kissen legten.

      Vor dem Hause meines Onkels befand sich ein großes rundes, von einem Schmuckgitter eingefaßtes Blumenbeet, dahinter erhob sich das breite Tor; in der Mitte des Beetes, dem Tore gegenüber, ragte eine hohe, glattgehobelte Stange, die man den »Mastbaum« nannte. An der Spitze des Mastbaumes war eine kleine Plattform angebracht.

      Unter den gefangenen jungen Bären wurde immer der »klügste«, das heißt einer, der den zuverlässigsten und intelligentesten Eindruck machte, gewählt. Dieser Bär wurde von der übrigen Gesellschaft getrennt und durfte ganz frei auf dem Hofe und im Parke herumspazieren, hatte aber die Obliegenheit, am Mastbaume vor dem Tore Posten zu stehen. Auf diesem Posten verbrachte er den größten Teil des Tages. Er lag oft auf dem Stroh am Fuße des Mastbaumes und hielt sich mit besonderer Vorliebe oben auf der Plattform auf, wo er vor der Zudringlichkeit der Menschen und Hunde sicher war.

      Nicht alle Bären hatten ein Anrecht auf dieses schöne freie Leben, sondern nur die klügsten und gutmütigsten unter ihnen und selbst diese nicht ihr Leben lang, sondern nur solange sie nicht ihre tierischen, für das Zusammenleben mit anderen Geschöpfen ungeeigneten Eigenschaften zeigten, d. h. solange sie sich ruhig verhielten und weder Gänse noch Hühner, weder Kälber noch Menschen anrührten.

      Wenn ein Bär auch nur einmal den Burgfrieden störte, wurde er sofort zum Tode verurteilt, und keine Macht der Welt konnte ihm Begnadigung erwirken.

      IV

      Mit der Auswahl dieses »klügsten« Bären wurde Chrapon betraut. Da er mehr als alle andern mit den Bären zu tun hatte und als großer Kenner ihres Charakters galt, wurde natürlich angenommen, daß er besser als jemand anderer diese Wahl vornehmen könne. Chrapon hatte auch die volle Verantwortung für die Folgen seiner Wahl zu tragen. Er wählte gleich das erstemal einen ungewöhnlich gelehrigen und klugen Bären, der einen sehr seltsamen Namen erhielt; während fast alle Bären in Rußland »Mischka« heißen, wurde dieser mit dem spanischen Namen »Sganarell« ausgezeichnet. Er hatte bereits fünf Jahre in Freiheit gelebt und noch keinen einzigen dummen Streich verübt. Wenn man von einem Bären sagte, daß er »Streiche mache«, so meinte man, daß er seine Tiernatur bereits irgendwie gezeigt habe.

      Einen solchen »Streichemacher« setzte man zunächst in den »Graben«, der auf der geräumigen Wiese zwischen der Tenne und dem Walde angelegt war; nach einiger Zeit ließ man ihn auf die Wiese hinaus, indem man einen Balken in den Graben steckte, über den er dann selbst herauskletterte, und hetzte ihn mit jungen »Blutegeln«. Wenn die jungen Hunde mit dem Bären nicht fertig werden konnten und die Gefahr bestand, daß er in den Wald entrinnen könne, traten zwei geschickte Jäger, die im Hinterhalt aufgestellt waren, mit ihren ausgewählten Meuten in Aktion und machten dem Bären ein schnelles Ende.

      Und wenn auch diese Hunde sich so ungeschickt anstellten, daß der Bär sich auf die »Insel«, d. h. in den Wald, der mit den weiten Brjansker Wäldern zusammenhing, flüchten konnte, so feuerte auf ihn ein eigens bereitgestellter Schütze aus einer langen schweren Kuchenreuterschen Gabelmuskete die tödliche Kugel ab.

      Es war noch nie vorgekommen, daß ein Bär allen diesen Gefahren entronnen wäre; das wäre auch zu schrecklich gewesen, denn die Schuldigen wären wohl kaum mit dem Leben davongekommen.

      V

      Die kluge und solide Natur Sganarells hatte zur Folge, daß es eine solche Hetzjagd oder Bärenhinrichtung schon seit fünf Jahren nicht gegeben hatte. Sganarell war in dieser Zeit zu einem großen Bären von ungewöhnlicher Kraft, Schönheit und Gelenkigkeit herangewachsen. Er hatte eine runde, stumpfe Schnauze und einen recht schlanken Körperbau, so daß er eher einem riesengroßen Griffon oder Pudel, als einem Bären ähnlich sah. Sein Hinterteil war etwas schmächtig und von kurzem, glänzenden Fell bedeckt, aber die Schultern und das Genick waren stark entwickelt und üppig behaart. Sganarell war so gescheit wie ein Pudel und konnte einige, bei Bären sehr seltene Kunststücke: er verstand gut und schnell auf den Hinterbeinen vorwärts und auch rückwärts zu laufen, eine Trommel zu schlagen und mit einem langen Stock, der wie ein Gewehr angemalt war, zu exerzieren; ebenso gerne und sogar mit größerer Freude schleppte er mit den Bauern die schwersten Säcke zur Mühle und trug mit unnachahmlicher drolliger Eleganz einen hohen, spitzen, mit einer Pfauenfeder oder einem Strohwisch geschmückten Filzhut auf dem Kopfe.

      Aber auch für Sganarell schlug einmal die Schicksalsstunde: die Tiernatur gewann die Oberhand. Kurz vor meinem Besuch im Hause des Onkels hatte sich Sganarell mehrere Verfehlungen zu schulden kommen lassen, von denen eine schwerer war als die andere.

      Das Programm der verbrecherischen Handlungen Sganarells war dasselbe wie bei allen seinen Vorgängern: als erste Kraftprobe riß er einer Gans einen Flügel ab; dann legte er seine Tatze einem Füllen, das seiner Mutter nachlief, auf den Rücken und brach ihm das Rückgrat; zuletzt erregten irgendein blinder alter Bettler und dessen Führer sein Mißfallen; er wälzte sich mit ihnen im Schnee und zerquetschte ihnen Arme und Beine.

      Der Blinde und sein Führer kamen ins Krankenhaus, Chrapon aber erhielt den Befehl, Sganarell in den Graben zu bringen, aus dem es nur einen Weg – in den Tod – gab.

      Als Annuschka mich und meinen kleinen Vetter abends zu Bett legte, erzählte sie uns, daß es bei der Überführung Sganarells in den Graben, wo er auf die Todesstrafe zu warten hatte, allerlei Rührendes gegeben habe. Chrapon habe ihm nicht den üblichen Ring durch die Nase gezogen und überhaupt nicht die geringste Gewalt angewandt, sondern nur gesagt:

      »Tier,

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