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Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche. Kathrin Loewe
Читать онлайн.Название Die Behandlung Schwerbehinderter im kirchlichen Arbeitsrecht der katholischen Kirche
Год выпуска 0
isbn 9783784134512
Автор произведения Kathrin Loewe
Серия Schriftenreihe zum kirchlichen Arbeitsrecht
Издательство Bookwire
2.„Eigene Angelegenheiten“
a.Allgemeines
Der unbestimmte Rechtsbegriff der „eigenen Angelegenheiten“ in Art. 137 Abs. 3 S. 1 WRV war lange Zeit umstritten.
Zu Zeiten der Weimarer Republik wurde die Ansicht vertreten, dass der Staat durch die Reichsverfassung selbst normiere, was eigene Angelegenheiten der Kirche seien bzw. die staatlichen Gerichte durch Auslegung der Reichsverfassung eine verbindliche Feststellung treffen könnten. Allerdings widerspricht diese Ansicht der in Art. 137 WRV garantierten Eigenständigkeit der Kirchen und Religionsgemeinschaften und ist deshalb abzulehnen. Die Neutralität des Staates gegenüber Kirchen und Religionsgemeinschaften wäre durch eine solche staatliche Normierung gerade nicht mehr gegeben, so dass das Grundgesetz in sich widersprüchlich ausgelegt würde.30
Nach anderer Lehrmeinung, der auch die frühere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gefolgt ist31, wurde vertreten, dass die Reichweite des Selbstbestimmungsrechts gerade nicht durch die Verfassung selbst normiert, sondern vorausgesetzt und in diesem vorausgesetzten Umfang gewährleistet werde. Eine Abgrenzung müsse nach objektiven Gesichtspunkten erfolgen. Als „eigene Angelegenheiten“ seien deshalb solche Angelegenheiten zu qualifizieren, die materiell, der Natur der Sache oder der Zweckbestimmung nach „eigene“ sind.32 Auch diese Auslegung des Begriffs der „eigenen Angelegenheiten“ erschien jedoch sehr weit gesteckt und bedurfte der weiteren Konkretisierung, nämlich wie die Natur der Sache oder Zweckbestimmung festzulegen sei.
Mittlerweile vertritt das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass maßgebend für die Qualifizierung einer Angelegenheit als „eigene“ im Sinne des Art. 137 Abs. 3 WRV Auftrag und Selbstverständnis der Kirchen und Religionsgemeinschaften sind.33 Es obliegt also den Religionsgemeinschaften darzulegen, dass eine Angelegenheit durch den kirchlichen Auftrag umschrieben ist und auf der Grundlage des kirchlichen Selbstverständnisses rechtlich gestaltet werden sollte. Die Angelegenheiten müssen einen Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG aufweisen, da nur solche Angelegenheiten als eigene verstanden werden können, die in Verbindung zum religiösen Bekenntnis stehen und dazu dienen, die religiöse Überzeugung zu äußern. Grundsätzlich dulden staatliche Instanzen keinen Staat im Staate, denn in allen Bereichen der Gesellschaft gilt primär die staatliche Ordnung. Nur wenn Angelegenheiten betroffen sind, die als nichtstaatliche, religiöse Angelegenheiten zu qualifizieren sind und also ein Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 GG gegeben ist, ist die Zuordnung zu den Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften auch plausibel.34 Nur durch diesen, den kirchlichen Auftrag betonenden Ansatz wird die in Art. 4 und Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV konstituierte religiös-weltanschauliche Neutralität des Staates gewahrt.35 Insgesamt werden daher als eigene Angelegenheiten Lehre und Kultus, Kirchenverfassung und Organisation, Ausbildung der Geistlichen, Rechte und Pflichten der Mitglieder, Kirchenmitgliedschaft, Vermögensverwaltung, und karitative Tätigkeit verstanden.36
b.Kirchliches Dienst- und Arbeitsrecht als „eigene Angelegenheit“
Das kirchliche Dienst- und Arbeitsverhältnis gehört ebenfalls zu den eigenen Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, denn theologische Grundlage des kirchlichen Dienstes ist der Sendungsauftrag der Kirche. Es ist kirchliche Aufgabe, dafür Sorge zu tragen, dass zwischen kirchlicher Ordnung und dem Tun der kirchlich Bediensteten kein Zwiespalt besteht. Die Ausgestaltung der Dienst- und Arbeitsverhältnisse in einer Form, in der sie mit dem kirchlichen Auftrag und den kirchlichen Besonderheiten in Einklang stehen, weist einen Bezug zum Schutzbereich des Art. 4 GG auf und ist eine eigene Angelegenheit der Kirche i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 WRV.37 Die Kirchen können gem. Art. 137 Abs. 3 WRV ihr Ämterwesen eigenständig regeln und zudem aufgrund des verfassungsrechtlich garantierten Status als Körperschaft des öffentlichen Rechts, der in Absatz 5 des Artikels geregelt ist, Dienstverhältnisse öffentlichrechtlich begründen.38 Allerdings steht es ihnen auch frei, sich der jedermann offenstehenden Privatautonomie zu bedienen, um Dienstverhältnisse einzugehen und zu regeln.39
III.Schranken des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts
Das allgemeine Selbstbestimmungsrecht wird jedoch nicht schrankenlos gewährt, sondern unterliegt, neben den allgemeinen Schranken40, den Schranken des „für alle geltenden Gesetzes“, Art. 137 Abs. 3 WRV. Zu Zeiten der Frankfurter Reichsverfassung von 1849, an die Art. 137 Abs. 3 WRV letztlich angelehnt ist41, hat sich der Staat von jeglichem Eingriff in die gesellschaftliche Ordnung enthalten. Dagegen hat sich diese gesamtpolitische Haltung schon zu Zeiten der Weimarer Republik stark gewandelt und der Gesetzgeber war zur Gestaltung der Gesellschaft und ihrer Funktionsbereiche nach der Reichsverfassung legitimiert – insbesondere im Bereich der Arbeitsverfassung nach Art. 157 bis 165 WRV.42 Der Schrankenvorbehalt des kirchlichen Selbstbestimmungsrecht in Form des „für alle geltendes Gesetzes“ bedarf schon deshalb einer genauen Auslegung, um eine übermäßige staatliche Einmischung abwenden zu können. In welchem Umfang die Religionsgemeinschaften bei der Ordnung und Verwaltung ihrer eigenen Angelegenheiten frei sind, hängt deshalb in großem Maße von der in der Vergangenheit viel diskutierten Definition dieser Schranken ab. Jenseits ihrer eigenen Angelegenheiten sind Religionsgemeinschaften aber dem Staat und dem staatlichen Recht genauso verpflichtet wie weltliche Organisationen.43 Die Schrankenklausel wirkt damit als Kollisionsregel: Sie beschreibt zum einen die Grenze der Regelungszuständigkeit der Religionsgemeinschaften und beschränkt zum anderen die Zuständigkeit des Staates, da nur solche Normen für die Religionsgemeinschaften bindend sein können, die für alle geltendes Gesetz sind.44
1.Ansatz von Johannes Heckel
Jahrelang hat die Rechtsprechung in der Bundesrepublik45 die Formel von Johannes Heckel angewendet, nach der ein „für alle geltendes Gesetz“ wie folgt interpretiert wurde: „Ein Gesetz, das trotz grundsätzlicher Bejahung der kirchlichen Autonomie vom Standpunkt der Gesamtnation als politische Kultur- und Rechtsgemeinschaft unentbehrliches Gesetz ist, aber auch nur ein solches Gesetz.“46 Diese Heckel’sche Formel begegnete allerdings vielen Einwänden und es wurde vorgebracht, dass sie das kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht zu sichern vermöge.47 Unter anderem wurde kritisiert, dass sie zu wenig präzise sei und damit praktisch kaum handhabbar. Außerdem sei die Grenzziehung in einer rational kaum nachvollziehbaren, freien Abwägung erfolgt und nicht in einem rechtlich und rational argumentierenden Prozess, um die praktische Konkordanz zwischen rivalisierenden Rechtsgütern herzustellen.48 Zudem ergibt sich aus dem Grundrecht der Glaubensfreiheit nach Art. 4 GG, dass der Staat nicht nur die Selbstbestimmung der Religionsgemeinschaften akzeptiert, sondern auch ihr bekenntnismäßiges Verständnis respektiert. Der Schrankenvorbehalt gibt dem Staat auch nicht im Rahmen von Gesetzen, die die Sozialordnung festlegen, das Recht für die Religionsgemeinschaften zu entscheiden, wie sie ihren Auftrag zu erfüllen hat.49
2.Bereichslehre und „Jedermann-Formel“
Das Bundesverfassungsgericht hat deshalb einen eigenen Weg zur Begriffsbestimmung der Schrankenklausel eingeschlagen. Danach dürfen die Kirchen innerhalb ihres Selbstbestimmungsbereichs nicht an das „für alle geltende Gesetz“ i.S.v. Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV gebunden sein, denn dadurch würde die verfassungsrechtlich garantierte Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der kirchlichen Gewalt geschmälert werden.50 Der Bereich der rein innerkirchlichen Angelegenheit, das „forum internum“, ist daher dem staatlichen Eingriff vollständig entzogen, im Gegensatz zu Sachverhalten, die unmittelbaren Bezug zur weltlichen Rechtsordnung haben (Bereichslehre).51
Dieser