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des SGB IX

      Erst am 01.07.2001 ist das neunte Buch des Sozialgesetzbuches mit dem Titel „Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen“ in Kraft getreten. Es kann aufgrund der langen Entstehungsgeschichte des Schwerbehindertenrechts insgesamt als das Ergebnis einer fast drei Jahrzehnte währenden Diskussion über das „Ob“ und „Wie“ eines einheitlichen Rehabilitationsrechts für behinderte Menschen angesehen werden.107

      Gegen Ende des 19. Jahrhunderts wurde mehr und mehr die Idee eines Staates geboren, der die Widersprüche zwischen formaler Gleichheit und tatsächlicher Unterlegenheit – sei es aufgrund körperlicher Benachteiligungen oder aufgrund wirtschaftlicher Abhängigkeit108 – versucht auszugleichen und so die Gesellschaft in ihrem Wirtschaftsleben nicht komplett sich selbst überlässt. Es wurde also die Idee eines Sozialstaates geboren, der zum Schutz Einzelner in die Gesellschaft ordnend eingreift.109 Kriegsgeschädigte, deren Anzahl mit dem technischen Fortschritt der Waffen immer mehr stieg, erlitten meist ein ähnliches Schicksal wie Personen, die Opfer von Betriebsunfällen geworden waren: Der Geschädigte erhielt zwar Schadensersatz im Rahmen des geltenden Haftpflichtrechts, letztlich konnte seine Versorgung dadurch aber nicht langfristig sichergestellt werden, so dass er meist auf die Armenpflege angewiesen war.110 Oberstes Ziel im Umgang mit Kriegsgeschädigten war es also, sie schnellstmöglich wieder erwerbsfähig zu machen und in das Wirtschaftsleben zurückzuführen.111 Ebenso wie die Weimarer Kirchenartikel wurde darum auch das Gesetz über die Beschäftigung Schwerbeschädigter vom 06.04.1920 bereits zu Zeiten der Weimarer Republik erlassen. Es sah eine Pflichtquote der Beschäftigung von Schwerbeschädigten für alle Arbeitgeber vor und legte zudem einen besonderen Kündigungsschutz fest.112 Nach dem Zweiten Weltkrieg und einer daraus resultierenden hohen Anzahl Schwerbeschädigter wurde das soziale Arbeitsschutzrecht dann weiter ausgebaut. 1950 wurde das Gesetz über die Versorgung der Kriegsopfer (Bundesversorgungsgesetz) erlassen und 1953 das Gesetz zur Beschäftigung Schwerbeschädigter neu gefasst. Ein entscheidender Schritt zur Förderung der Rehabilitation wurde schließlich im Jahr 1974 getan mit dem Erlass des Schwerbehindertengesetzes und des Gesetzes über die Angleichung der Leistungen zur Rehabilitation (RehaAnglG). Letzteres hatte schon damals die Angleichung der medizinischen und der berufsfördernden Leistungen zur Rehabilitation zum Ziel, weil deren Verteilung aufgrund der komplexen Gesetzeslage und der unterschiedlichen Behandlung der behinderten Menschen in den verschiedenen Versicherungszweigen als ungerecht empfunden wurde.113 Allerdings blieb der gewünschte Effekt aus bzw. wurde nur teilweise erreicht. Wegen der Unübersichtlichkeit des gesamten Rehabilitationssystems kam es nicht zu der für einen reibungslosen Ablauf notwendigen Zusammenarbeit der einzelnen Rehabilitationsträger und das System blieb für die Betroffenen weiterhin intransparent.114

      Erst 1994 konnte mit der Einführung des Benachteiligungsverbots gegenüber behinderten Menschen nach Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG der Grundstein für einen Paradigmenwechsel in der Behindertenpolitik gelegt werden, in der es fortan nicht mehr hauptsächlich um Fürsorge und lebenslange Versorgung ging, sondern deren zentrales Ziel die Gleichstellung und Selbstbestimmung behinderter Menschen war.115 1998 legten die Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen ein Eckpunktepapier vor, nach dem das Teilhaberecht als neuntes Buch in das Sozialgesetzbuch eingegliedert werden sollte. Nach eingehender sozialpolitischer Diskussion wurde schließlich am 16.01.2001 ein Referentenentwurf in den Bundestag eingebracht. Verbände und Organisationen der behinderten Menschen wurden bei der Schaffung des SGB IX bereits von Anfang an mit einbezogen und nicht erst ab Bestehen eines Gesetzesentwurfs, damit sie ihre Erfahrungen und ihr Fachwissen von Beginn an einbringen und die Regelungen maßgeblich mitgestalten konnten.116 Das heutige SGB IX haben der Bundestag letztendlich am 06.04.2001 und der Bundesrat am 11.05.2001 beschlossen. Nach Auffassung des Deutschen Bundestages sollte Mittelpunkt dieses neuen Gesetzes nicht mehr die Fürsorge und die Versorgung von behinderten Menschen sein, sondern ihre selbstbestimmte Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und die Beseitigung der Hindernisse, die ihrer Chancengleichheit entgegenstehen.117 Es ist somit Aufgabe des sozialen Staates, die Rahmenbedingungen für die Teilhabe behinderter Menschen als Gleichberechtigte am gesellschaftlichen Leben zu schaffen und Gefährdungen dieser Teilhabe durch Übergriffe Dritter abzuwehren.118 Auch die Erweiterung der Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung bereits zum 01.10.2000 war ein Schritt in Richtung selbstbestimmte Teilhabe der Betroffenen, da sie von der Schwerbehindertenvertretung in ihrem Interesse gegenüber dem Arbeitgeber unterstützt werden.119 Praktisches Ziel des neuen Gesetzes sollte es außerdem sein, das Rehabilitationsrecht in einem Buch des Sozialgesetzbuches zu vereinheitlichen und zusammenzufassen, um die Unübersichtlichkeit des alten Rechts zu beenden und Betroffenen damit die Verwirklichung ihrer Rechte zu erleichtern.120

      Das Rehabilitationsrecht insgesamt wird maßgeblich von nationalem Verfassungsrecht geprägt. Eine besondere Bedeutung nimmt hierbei das Sozialstaatsgebot des Grundgesetzes nach Art. 20 Abs. 1 und Art. 28 Abs. 1 GG ein. Die Stellung schwerbehinderter Menschen – nicht nur im Verhältnis Staat und Bürger – wird außerdem durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG geprägt.

      Wie bereits erwähnt ist es Aufgabe des Sozialstaates, die gleichberechtigte Teilhabe Schwerbehinderter am Leben in der Gesellschaft zu fördern und einer Benachteiligung entgegenzuwirken. Die verfassungsrechtliche Grundlage dazu liegt im Sozialstaatsgebot. Dieses Gebot ist ein Prinzip staatlicher Verantwortung für die ganze Gesellschaft im Gegensatz zu einem nur punktuell oder nicht intervenierendem Staat.121 Es gebietet dem Staat für Einzelne oder Gruppen der Gesellschaft, Vorsorge und Fürsorge zu leisten, wenn sie aufgrund persönlicher Lebensumstände oder gesellschaftlicher Benachteiligung, insbesondere wegen körperlicher oder geistiger Gebrechen, in ihrer Selbstbestimmung behindert sind.122 Als Mittel zu Erreichung dieser Ziele dient die Rechtsgestaltung. Durch Förderung, Lenkung und Zwang wahrt der soziale Rechtsstaat letztlich seine Verantwortung im Ganzen.123 Im Ergebnis soll im sozialen Rechtsstaat eine soziale Gerechtigkeit für alle Bürger geschaffen werden124, die es vor allem auch im Bereich des Arbeitslebens zu erreichen gilt. Gerade dort muss der soziale Rechtsstaat regulierend in die Privatrechtsgestaltung eingreifen, weil eine Integration allein mit staatlichen Einrichtungen und Mitteln des öffentlichen Rechts im Arbeitsleben nicht möglich ist.125 Bei der Erfüllung des Sozialstaatsprinzips geht es zum einen um die materielle Verteilungsgerechtigkeit, aber zum anderen auch um die Gestaltung einer Ordnung an und in der jeder teilnehmen kann.126 Zentrum ist dabei das Bestreben des Staates, allen Menschen die Möglichkeit der tatsächlichen Wahrnehmung ihrer Freiheitsgrundrechte zu ermöglichen.127 Formal stehen die Freiheitsgrundrechte zwar jedem Menschen zu, die tatsächliche Wahrnehmungsmöglichkeit kann allerdings infolge einer Behinderung stark eingeschränkt sein, wie etwa bei Art. 12 Abs. 1 GG, dem Freiheitsgrundrecht, das gewährleistet, dass jeder seinen Beruf sowie seine Ausbildungs- und Arbeitsstätte frei wählen und den gewählten Beruf ausüben kann. Ein behinderter Mensch kann beispielsweise seinen gewünschten Beruf nicht ausüben, wenn sein Arbeitsplatz nicht leidensgerecht gestaltet wird. Dieser Grundzusammenhang zwischen dem Sozialstaatsgebot und der Realisierung von Freiheitsgrundrechten ist für die Auslegung des SGB IX, das das Sozialstaatsgebot mit der Gewährung sozialer Rechte konkretisiert, von großer Bedeutung.128 Es ist also Aufgabe des sozialen Rechtsstaates, die tatsächlichen Möglichkeiten der Grundrechtswahrnehmung den formalen anzugleichen. Die arbeits- und sozialrechtlichen Regelungen des SGB IX greifen zu diesem Zweck zwar in das Arbeitsverhältnis gestaltend ein, im Ergebnis müssen aber die Interessen und Freiheitsgrundrechte des Arbeitgebers genauso wie die des Arbeitnehmers möglichst weitgehend verwirklicht werden.129

      Bei der möglichst weitreichenden Gewährung der Freiheitsgrundrechte hat der Gesetzgeber allerdings gleichzeitig zu beachten, dass er auch dem Gleichheitsgrundrecht verpflichtet ist und damit Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln muss. Allerdings ist für das Merkmal der Behinderung von der Verfassung nur die benachteiligende, nicht aber die bevorzugende Ungleichbehandlung ausgeschlossen, so dass

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