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ihr. Sie waren so groß, dass Miriam sie sehen konnte, wenn sie den Kopf zur Seite neigte. Die Spannbreite ihrer Flügel war enorm und die roten und grünen Schuppen sahen toll aus — sie schimmerten, als seien sie nass.

      „Äh.“ Miriam starrte die Flügel an. Ihre Flügel? Mehr nebenbei fiel ihr auf, dass auch ihre Hände und Arme jetzt mit denselben schillernden Schuppen bedeckt waren. Im Essen waren Halluzinogene gewesen, anders war das überhaupt nicht zu erklären. Wenigstens juckten ihre Schultern nicht mehr.

      „Also gut, ich gebe zu, dass ihr hier richtig guten Stoff habt“, stieß sie hervor. „Aber ich bin nicht interessiert.“ Sie hechtete die Treppe hoch. Die Flügel folgten ihrer Bewegung und gaben jedem ihrer Schritte einen angenehmen Auftrieb. Es fühlte sich in etwa so an, wie schwerelos im Wasser herumzuspringen.

      Sie prallte gegen Mama Wu, die plötzlich über ihr auf der Treppe stand und den Weg blockierte. Wie war die so schnell hierhergekommen?

      „Was habt ihr mir gegeben?“, knurrte Miriam sie an.

      „Die Drachenrolle war nicht für dich bestimmt“, sagte Mama Wu und klang dabei ganz entspannt. Berauschte Kindergärtnerinnen, die sich für Drachen hielten und glaubten, ihre Blind Dates in Brand gesetzt zu haben, waren für Mama Wu offenbar Alltag. „Mei hat sie leider an den falschen Tisch geliefert.“

      „Du wolltest jemand anderem die Drogen unterjubeln?“

      Mama Wu lächelte amüsiert. „Ich würde niemals Drogen in meiner Küche dulden. Diese besondere Drachenrolle, einmal im Monat gegessen, verhindert, dass sich die Drachen gegen ihren Willen verwandeln.“

      Miriam lachte und versuchte, sich an Mama Wu vorbeizuschieben. „Klar.“

      Mama Wu war zwei Köpfe kleiner als Miriam und zart gebaut, aber sie stellte sich dennoch als ein unüberwindliches Hindernis heraus. Spielend wehrte sie Miriam ab und ließ sie nicht durch. „Wenn ein normaler Mensch sie isst, bewirken sie das Gegenteil. Für Minuten wird er zum Drachen. Aber das äußert sich meist nur in ein bisschen Rauch, vielleicht ein paar kleinen Feuerstößen.“

      „Ein paar kleinen Feuerstößen …“, wiederholte Miriam matt Mama Wus Worte. Sie zeigte auf ihre Flügel.

      Mit einem leisen Lachen zuckte Mama Wu die Schultern. „Du musst die Anlage zum Drachen in dir getragen haben, deshalb hast du dich verwandelt. Ab jetzt kommst du alle vier Wochen hierher und bestellt die … speziellen Drachenrollen.“ Bei den letzten zwei Worten blies sie zwei perfekte kleine Rauchkringel aus ihren Nasenlöchern. „Dann kannst du die Verwandlung kontrollieren.“

      Miriam seufzte. Diese Frau Wu war komplett abgedreht. „Klar doch, ich hatte Drachengene in mir. Meine Eltern sind in ihrer Freizeit auch Drachen und haben nur vergessen, mich darüber zu informieren. Ich ruf sie gleich mal an.“ Sie zog ihr Handy aus der Hosentasche. „Ach, was für ein Zufall: Ich habe hier unten gar kein Netz.“ So langsam wurde Miriam richtig mulmig zu Mute.

      „Nein, deine Eltern sind keine Drachen, sonst würde ich sie kennen.“ Mama Wu zuckte die Schultern. „Vielleicht Reinkarnation.“

      „Klar, Reinkarnation.“ Miriam hielt das Handy mit gestrecktem Arm über den Kopf, um zu sehen, ob sie dann Empfang hatte. Sie ignorierte dabei standhaft den Anblick ihrer schuppigen Hand und der langen türkisen Klauen, die aus jedem Finger sprossen. Türkise Klauen? Also bitte. Wenn schon Klauen, konnten die dann nicht schwarz sein? Drachenmädchenklauen, du meine Güte.

      „Alle kleinen Drachen finden ihren Weg zu Mama Wu.“ Die alte Frau lächelte – und wieder stiegen kleine Rauchwölkchen aus ihren Nasenlöchern. Sie hob beide Hände und legte sie sacht auf Miriams Schultern. „Schlaf jetzt, Drache, und vergiss, bis ich dich brauche. In vier Wochen kommst du heim zu deiner Mama Wu.“

      Miriam blinzelte. Sie saß immer noch Oliver gegenüber am Tisch, zwischen ihnen stand eine Schüssel mit zwei Kugeln Grüntee-Eiscreme. Jeder von ihnen hielt einen Teelöffel in der Hand. Soweit so gut, aber irgendetwas stimmte nicht. Sie hatten sich über Olivers Oldtimer-Reparaturen unterhalten, während Miriam etwas aß, das viel zu scharf war. Und dann … Was war dann passiert?

      Oliver unterbrach Miriams Grübeleien, als er einen Löffel voll sahnigem Eis auf ihren Mund zusteuerte. „Hier, zur weiteren Abkühlung.“

      Er lächelte sie an und Miriam spürte ihr Herz schneller klopfen. Oliver sah wirklich gut aus, mit einem markanten Kinn, das eine kleine kreisrunde Narbe zierte. Er hatte sich extra für ihr Blind Date frisch rasiert. Miriam kostete das Eis.

      „Nächstes Mal wollte ich dich eigentlich zum Mexikaner ausführen“, sagte Oliver und genehmigte sich auch einen Löffel der lindgrünen Eiscreme. „Aber wenn dir das Essen hier schon zu scharf ist, gehen wir vielleicht besser Burger essen.“

      Schmale knochige Hände schlossen sich von hinten um Olivers Schultern. Mama Wu, die Besitzerin des Lokals, war an ihren Tisch getreten, ohne dass Miriam sie bemerkt hatte.

      „Nein, ihr kommt natürlich wieder hierher“, sagte Mama Wu.

      Oliver und Miriam nickten gehorsam.

      „Natürlich“, sagte Oliver. „Das ist eine gute Idee.“

      Miriam nickte zustimmend.

      Mama Wu strich Miriam sacht übers Haar und flüsterte: „Hier ist der sicherste Ort für kleine Drachen wie dich. Hier bist du zu Hause.“

      Miriam hörte die Stimme nicht, aber ihr Körper verstand.

      DÖRTE MÜLLER, geboren 1967, lebt zurzeit mit ihrer Familie in den Niederlanden. Sie schreibt Kurzgeschichten, Kinder- und Jugendbücher, die im AAVAA Verlag erscheinen.

       Essen ist fertig

      „Mami, gehst du mit mir aufs Klo?“

      „Geh’ allein, ich koche gerade!“

      „Allein traue ich mich aber nicht …!“

      „Ich kann jetzt wirklich nicht mitkommen, ich bin gerade am Kochen …! Frag doch deine Schwester!“

      „Nee, die frage ich nicht!“

      „Katha, geh mal mit Max aufs Klo!“

       Schnell runter in den Keller, ich brauch noch das Gemüse. Oje, die Milch kocht über … Was riecht hier so angebrannt? Jetzt das Pulver rein, Topf von der Herdplatte … Wo sind eigentlich die Bratwürstchen? Noch im Kühlschrank, stimmt ja!

      „Mama, ich kann bald nicht mehr aufhalten!“

      „Dann geh doch endlich! Es ist nicht gut, wenn man aufhält!“

      „Ich habe aber Angst!“

      „Angst? Vor wem denn?“

      „Da ist ein Monster im Badezimmer!“

      „Quatsch! Es gibt keine Monster! Und schon gar nicht um zwölf Uhr mittags … Katha, jetzt geh’ doch endlich mit Mäxchen auf die Toilette!“

      „Hab’ keine Zeit, ich bin gleich auf Level drei!“

      „Ich muss kochen! Kann mir jemand mal aus dem Keller das Gemüse holen? Der Pudding brennt gerade an! Ulrich! Hilf mir mal schnell mit den Kindern!“

      „Elke, ich habe ein Problem. Hast du zufällig meine Brille gesehen? Eben hatte ich sie noch …!“

      „Im Badezimmer … Ulrich, kommst du mal schnell?“

      „Aber

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