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zu Boden. Caroline grinste noch breiter und verließ beschwingt den Raum.

      Die kühle Luft draußen tat ihren überforderten Sinnen gut. Schnell erholte sie sich und das Stimmengewirr in ihrem Kopf ließ deutlich nach.

       Wenn ich diese Hellhörigkeit nicht in den Griff bekomme, werde ich noch irre.

      Seufzend rieb sie sich die Schläfen. Und plötzlich war es wieder da. Carolines Nackenhaare stellten sich auf.

       Nicht schon wieder. Was soll das?

      Fröstelnd zog sie die Jacke über, klappte den Kragen hoch und machte sich auf den Weg nach Hause.

      2

      Am nächsten Tag rief Lydia an. Sie sprudelte vor Freude über und Caroline konnte nur mit Mühe herausbekommen, dass der Abend für Lydia ein voller Erfolg gewesen war. Kevin hatte sie eingeladen, ein paar Tage mit ihm zu verbringen. Lydia war überglücklich. Auch wenn sie dadurch die letzten gemeinsamen Ferientage nicht mit Caroline verbringen konnte. Caroline beschwichtigte Lydia. Schließlich würden sie ja auch in Zukunft weiter Freundinnen bleiben und noch viel gemeinsam unternehmen. Caroline konnte hören, wie Lydia erleichtert aufatmete, bevor sie auflegte. Nun musste Caroline sich eine Beschäftigung suchen, bis ihre Reise in ein paar Tagen losgehen würde.

      Also konzentrierte sie sich auf das Packen der Koffer. Was anderes blieb nicht zu tun. Ungeduldig fragte sich Caroline, was sie wohl erwarten würde. Wie würden die anderen sein? Außer ihren Eltern hatte sie noch keine anderen Geweihten kennengelernt. Würde sie ihre Großmutter Leana endlich einmal persönlich kennenlernen? Wehmütig dachte sie an Lydia, die ihre Oma fast täglich besuchte und immer eine lustige oder spannende Geschichte darüber zu erzählen wusste. Doch Leana war nicht nur Carolines Oma, sondern auch das Oberhaupt einer Dynastie. Und Caroline wusste, dass es in der Geschichte ihrer Sippe auch dunkle Kapitel gegeben hatte. Leana hatte vermutlich auch heute noch zu viel zu tun, um sich um ihre Enkel aus Übersee zu kümmern. Zumal es ihnen gut ging und keine Gefahr in Sicht war.

      Gedankenverloren spielte Caroline an ihrer Halskette. Was würde sie lernen? Wie stark würden ihre Fähigkeiten tatsächlich werden?

      Caroline begann, sich darauf zu freuen, ihre neuen Kräfte endlich einmal ausprobieren zu dürfen. Sie konnte es kaum abwarten, ihre Kräfte mit anderen zu messen. Ob es noch weitere junge Geweihte wie sie geben würde? Wo sie wohl herkamen? Wer sie wohl waren?

      Je näher der Tag der Abreise rückte, umso unruhiger wurde Caroline. Ihre Mutter erteilte ihr fortlaufend gut gemeinte Ratschläge und half beim Packen. Doch das machte Caroline nur noch nervöser, bis sie schließlich völlig genervt ihre Mutter aus ihrem Zimmer warf und nachdrücklich die Türe hinter ihr schloss. Dann warf Caroline sich erleichtert aufs Bett und versuchte, sich ein wenig zu entspannen.

      Caroline musste wohl eingeschlafen sein, denn als sie erwachte, lag ihr Zimmer vollkommen im Dunkeln. Sie fragte sich schlaftrunken, warum sie wohl wach geworden war. Hatte sie etwas gehört? Nein, ihre innere Stimme sagte ihr, dass sie nichts gehört hatte. Aber dass etwas nicht stimmte, spürte sie trotzdem sofort. Plötzlich war sie hellwach. Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass jemand unbefugt ihr Heim betreten hatte. Sofort sprang sie auf und schlich im Dunkeln durch den Flur zur Treppe, die hinunter in die Wohnräume führte. Ohne ein Geräusch zu verursachen, glitt sie behände die Treppe hinunter. Das Licht ließ sie aus. Ihre neue Sicht zeigte ihr deutlich, wo sie sich befand. Eine Bewegung im Wohnzimmer erregte ihre Aufmerksamkeit. Vorsichtig schlich sie sich zur halb offenen Türe. Trotz der Finsternis konnte Caroline den Einbrecher deutlich sehen. Das Licht seiner Taschenlampe glitt über die Wohnzimmermöbel.

      Die Gestalt war dunkel gekleidet und hatte eine Maske übergezogen. Plötzlich erfasste der Lichtkegel Caroline. Der Einbrecher hatte sich wohl eher zufällig zu ihr umgedreht, um nach Wertgegenständen zu suchen. Er schien wie paralysiert. Dann ließ er die Taschenlampe vor Schreck fallen. Caroline erkannte deutlich, wie der Einbrecher hektisch begann, an seiner Tasche zu nesteln. Erstaunt bemerkte sie, dass er eine Waffe zog. Beiläufig fragte sich Caroline, ob er noch irgendetwas sagen würde, als sie sah, wie er den Abzug durchdrückte. Fast gleichzeitig nahm sie das aufblitzende Mündungsfeuer wahr. Caroline schien es, als ob die Kugel auf sie zu schweben würde. Irgendwie kam ihr die Geschwindigkeit des Geschosses viel zu langsam vor. Erstaunt beobachtete sie, wie die Kugel langsam, aber unerbittlich näherkam. Obwohl die Waffe offensichtlich einen Schalldämpfer besaß, machte sie einen Höllenlärm, wie Caroline fand. Sie wurde plötzlich wütend. Was fiel diesem Fremden ein, in ihrem Heim auf sie zu schießen? Sie setzte zu einem Sprung an. Während sie nach vorne hechtete, drehte sie sich in der Luft um die näher kommende Kugel herum. Der Dieb hatte keine Chance. Er registrierte erst, dass etwas nicht normal verlief, als er durch den Aufprall von Caroline umgerissen wurde und mit ohrenbetäubendem Lärm gegen das Schreibpult krachte.

      Das Nächste, was Caroline bewusst wahrnahm, waren ihre Eltern. Beide kamen über das Geländer auf sie zu gesprungen. Es sah aus, als ob sie sich in Zeitlupe bewegen würden.

      Sie wirkten bedrohlicher als sonst. Bei beiden waren die Eckzähne gut sichtbar. Ihre Gesichter waren zu Fratzen verzerrt und ein tiefes Knurren ging von ihnen aus.

      Caroline schaute wieder zu Boden. Sie kniete auf dem Einbrecher. Beide Hände hatte sie um die Hand mit der Waffe geschlossen. Ein tiefes Knurren erfüllte auch ihren Brustkorb. Der Mann unter ihr schien wie versteinert.

      „Caroline, ist dir was passiert?“ Ihre Mutter beugte sich über sie, während ihr Vater das Licht anschaltete. Kurz war Caroline von der plötzlichen Helligkeit geblendet.

      „Nein, ist alles in Ordnung. Nix passiert. Hab jemanden rumschleichen hören und wollte nur nachsehen.“ Caroline rappelte sich benommen auf.

      Ihr Vater griff sich den Eindringling, der noch immer wie hypnotisiert zu Caroline herüberstarrte. Er konnte nicht fassen, was er soeben gesehen oder, besser gesagt, nicht gesehen hatte.

      Caroline betrachtete erneut ihre Eltern. Sie sahen nun aus wie immer. Der Dieb begann, vor sich hin zu wimmern, während er verstört die neue Szenerie beobachtete.

      „Ich glaube, ich bringe Caroline lieber in die Küche. Kümmerst du dich um den Einbrecher?“ Behutsam drehte Johanna ihre Tochter herum und schob sie vorsichtig in Richtung Küche. Ein Lächeln huschte über das Gesicht ihres Vaters.

      „Keine Sorge, er wird sich an nichts erinnern.“ Mit dieser Geste deutete er auf die jämmerliche Gestalt, die er am Kragen festhielt.

      Total verwirrt blickte Caroline von einem zum anderen und ließ sich anschließend widerstandslos von ihrer Mutter in die Küche führen. Dort setzte sie sich auf einen Stuhl.

      „Wirklich alles in Ordnung?“

      Caroline nickte.

      „Ja irgendwie schon. Aber ich fühle mich, als würde ich schweben.“

      Ihre Mutter zeigte dasselbe Lächeln wie vorhin ihr Vater.

      „Das glaub ich dir sofort.“

      Ungläubig schaute Caroline an sich runter und ihre Füße schwebten tatsächlich einige Zentimeter über dem Boden.

      Beruhigend nahm Johanna Caroline in den Arm.

      „Keine Sorge, das vergeht gleich wieder. Ich hatte ja so gehofft, dass du zu den Glücklichen gehörst. Nur wenigen Geweihten ist es möglich, diese Form der Fortbewegung zu nutzen. Sie erfordert viel Konzentration und Kraft. Und vielen, wie mir und deinem Vater, fehlt es schlicht an den notwendigen Fähigkeiten.“

      „Wie ist das möglich? Wie ist es möglich, dass ich das jetzt kann?“

      Ihre Mutter reichte ihr den verchromten Toaster.

      „Vielleicht liegt es an deinem Gesicht.“

      Caroline konnte nicht glauben, was sich im Toaster widerspiegelte. Ihre braune Mähne war länger, dicker und zotteliger als sonst. Ihre grünen Augen schienen durchdringend zu leuchten und ihr Gesicht besaß eine Vielzahl von fleischigen Wülsten, die sowohl anziehend als auch bedrohlich wirkten.

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